
Ende des Selbstbedienungs-Antiquariates: 50’000 Büchern droht die Entsorgung
109 Kindergärten
sind mit dem Erlös des Selbstbedienungs-Bücherantiquariats unterhalten und 2740 Kinder geschult worden. Die Einnahmen ermöglichten die Durchführung von 53 Frauenförderungs-Programmen zugunsten von 1060 Frauen und finanzierten 30 jungen Frauen eine Berufsausbildung.
«Ausverkauf» steht auf einem weissen A4-Blatt, dass an der Eingangstüre des Safenwiler Selbstbedienungs-Buchantiquariats hängt. Nach elf Jahren schliesst es für immer. Dies, weil das braune, alte Schindelhaus an der Striegelstrasse zu den Färbi-Fabrikgebäuden gehört, die demnächst abgerissen werden (wir berichteten). Ende Mai läuft der Mietvertrag für das Buchantiquariat mit der Solothurner Liegenschaftsbesitzerin Espace Real Estate AG aus.
«Wir wussten, dass dieser Zeitpunkt irgendwann kommt», sagt Christine Camenzind, Mitbegründerin und Geschäftsführerin des Schweizer Vereins Village Reconstruction Organisation kurz VRO. Seit 28 Jahren engagiert sich die Frau aus Steg im Tösstal für den gemeinnützigen Verein. Das im Februar 2007 in Safenwil eröffnete Buchantiquariat generierte in den vergangenen elf Jahren mit dem Verkauf von Büchern und Tonträgern gesamthaft 220 570 Franken. Abzüglich der jährlichen Raummiete von 3000 Franken, total 33 000 Franken, flossen 187 570 Franken in diverse Projekte in Südostindien. So konnten das Ausbildungszentrums Arogyanagar für junge Männer aufgebaut, Kindergärten unterhalten und verschiedene Frauen-Förderungsprojekte finanziert werden (siehe Box).
Ehrenamtliche Helfer
«Das Bücherantiquariat war nur dank dem unermüdlichen Engagement verschiedener ehrenamtlicher Helfer möglich», betont Christine Camenzind. Von Anfang an war Hedy Honauer dabei. Die Geschäftsführerin des Safenwiler Färbiladens half mit, das Leseparadies einzurichten und betreut es seither mit ihrem Mitarbeiterteam. «Ohne sie und ihre Mitarbeiterinnen wäre es nicht gegangen», sagt Camenzind und betont: «Sie öffnen von Montag bis Samstag um 8.30 Uhr die Türe, leeren täglich die Wandkasse und schliessen um 18.30 Uhr beziehungsweise samstags um 16 Uhr wieder zu.»
Während vieler Jahre halfen zudem Thomas Kern und Werner Boss tatkräftig mit. Die beiden haben ehrenamtlich jede Woche die angelieferten Bücher sortiert, eingeordnet und auch unzählig viel zerfledderten, schmuddeligen Lesestoff in Mulden für die Entsorgung nach Kölliken deponiert. «Dies war der Nachteil, dass es keine Abgabekontrolle gab und während den Öffnungszeiten die Ware in Schachteln deponiert werden konnte», sagt Christine Camenzind. Sie erklärt, dass sich das Vertrauen in die Kunden jedoch gelohnt habe. «Auch ohne Kontrolle war jeden Tag etwas im Kässeli. Die Mehrheit war ehrlich, redlich und treu beim Kaufen, aber auch Beliefern.» Damit ist ab sofort Schluss. Gebrauchte Bücher, DVDs, CDs und auch Gesellschaftsspiele werden nicht mehr angenommen. «In den Regalen stehen geschätzt 50 000 Bücher und Tonträger, die es bis Ende Mai zu verkaufen gilt», sagt Christine Camenzind.
Ausverkauf bis Ende Mai
Der teilweise gebrauchte und auch neue Lese-, Hör- und Sehstoff ist für 2 Franken das Stück zu haben. Für eine angemessene Spende kann auch das Mobiliar mitgenommen werden. Der gesamte Erlös fliesst nach wie vor in das Indienprojekt zugunsten Schulungsprogrammen. «Jedes Buch ist eine doppelte Spende», sagt Christine Camenzind und zeigt sich vom Grundgedanken begeistert: «Schön finde ich, dass Menschen jeden Alters bei uns günstig Bücher erstehen und damit automatisch Gutes tun.»
Das bevorstehende Ende erfülle sie mit etwas Wehmut vor allem aber mit tiefer Dankbarkeit. «Mahatma Gandhis Vision leitet uns. Er wusste, dass die Armut nur mit Hilfe zur Selbsthilfe durchbrochen werden kann. Genau hier setzt die VRO an.» Dank der Unterstützung der Safenwiler Buchspender und -käufer konnte das von Freiwilligen geführte Hilfswerk aktiv der grossen Armut in Südostindien begegnen, Menschen fördern und so teilweise die Abwanderung der Dorfbevölkerung in die Slums der Städte verhindern. Auch wenn die Einnahmequelle durch die Schliessung in Safenwil versiegt, so wirkt die VRO in Indien unter Pater Peter Daniel weiter. Durch Schweizer Hilfe konnten 76 Dörfer in Südostindien eingeweiht werden. Für 2000 Franken kann ein Haus gebaut und mit 100 000 Franken ein mittleres, 50 Familien zählendes Dorf errichtet werden.
Vielleicht entsteht in Safenwil oder anderswo ein neues Selbstbedienungs-Bücherantiquariat. Die ehrenamtlichen Helfer Thomas Kern und Werner Boss suchen für eine Nachfolgelösung eine geeignete Lokalität. «Wie und in welchem Sinn es weiter geht, ist offen. Fest steht, dass das vom VRO initiierte Selbstbedienungs-Bücherantiquariat Ende Mai der Vergangenheit angehört», sagt Christine Camenzind. Die jahrzehntelange VRO-Geschäftsführerin freut sich altersbedingt künftig etwas kürzer zu treten.
Gebrauchte Bücher nimmt nun das Buch-Antiquariat, Kasinostrasse 19 in Aarau, nur nach Vereinbarung mit Thomas Kern (Telefon 079 215 95 05 oder Email: thkern@bluewin.ch) entgegen. Ideen für eine Nachfolgelösung an ihn und Werner Boss (Email: wboss@hispeed.ch).