
Endo Anaconda vor der «Endosaurusrex» -Tour: «Ich bin immer so wahnsinnig nervös»
Stiller Has in der Schützi
Samstag, 3. März 2018, Türöffnung 19.30 Uhr; Konzert 20.30 Uhr, Schützi Olten.
Vorverkauf: www.ticketfrog.ch (Stehplätze und unnummerierte Sitzplätze)
Der Mann läuft über: Geschichten, Gedanken, Aphorismen, Bonmots liefert er schier ungefragt. Andreas Flückiger, 62, besser bekannt unter dem Namen Endo Anaconda, erzählt. Sitzend, stehend, rauchend. Klar, man weiss: Den Namen Endo hat er sich zugelegt, weil Ändu überregional nicht verstanden wurde. So stehts in Wikipedia nachzulesen. «Stimmt», sagt er. Aber Anaconda für Flückiger? «Ja, mit Flückiger kannst du doch in dieser Branche nicht auftreten. Mit Huber übrigens auch nicht.»
Er ist direkt, aber nicht ohne Charme. Und genau der ists, der ihn sagen lässt: «Ich bin eher für eine unfreundliche Kassierin im Supermarkt denn für einen Strichcode. Weil ich ihr vielleicht ein Lächeln entlocken kann. Bei einem Strichcode ist das unmöglich.» Abgesehen davon, schiebt er nach, sei er schon mehrfach wegen einer Kassierin in den Supermarkt gegangen. Er lacht und sagt: «Ich habe gern Menschen.» Und man glaubt ihm dies ebenso sehr wie sein Statement, die allgegenwärtige Digitalisierung sorge für eine Geringschätzung des Personals, bei Kunden wie bei der Geschäftsführung. E-Banking ist ihm ein Gräuel.
Aber eben, dieser andere Flückiger. Wer ist dieser Anaconda, der mit Stiller Has und seinem aktuellen Programm Endosaurusrex auf Tour geht. Wer ihn reden hört, glaubt einen Rebellen, einen Revolutionär, einen Polterer vor sich zu haben. Weder noch. «Anaconda ist der Anarchist, Flückiger der blosse Bürger, der seine Steuern und Rechnungen zahlt», sagt Anaconda. Und wie er so am Tisch sitzt, meint er noch: «Und beide haben ein Herz. Und das schlägt links.»
Kaum einer in dieser Branche hält mit seinen politischen Ansichten so wenig hinter dem Berg wie Anaconda. Oder Flückiger. Er bezeichnet die Schweiz als humanistischen Schurkenstaat. Janusköpfig eben, zwei Gesichter präsentierend. Früher mal Mitglied der kommunistischen Partei, plädiert er heute für die soziale Marktwirtschaft, «für den «gesunden, fairen Kapitalismus», wie er sagt. Woher der Wandel? «Man wird doch reifer», federt er seine Gesinnungsmodulation ab und gesteht: «Ich bin froh, dass der Kommunismus nicht gesiegt hat.»
Zwei Oltner sind dabei
Jetzt tritt der Mann, der sich in keiner Art und Weise etikettieren lassen will, mit Stiller Has in der Schützi auf. Mit dabei zwei Oltner: Roman Wyss und sein Sohn Andreas. Dort habe man sich auch kennen gelernt, sagt Anaconda. «Drei, vier Mal bin ich bei ‹Nachtfieber› zu Gast gewesen», erklärt der Autor und Sänger in – wie Mundartpuristen jeweils behaupten – unechter Berner Mundart. Anaconda zuckt darob gleichgültig mit der Schulter. Er rede halt so eine «Mittellandmundart», wie er es nennt. Aber item: So sei er auf Roman Wyss gestossen.
Da passt, dass Olten gefällt. «Ein Ort der Arbeiterbewegung, Generalstreik eben.» Und die Band, sagt er, sei super. Dabei lässt sich in Standardsprache kaum ausdrücken, wie er sich mit ihr fühlt: «Eg ha Fröid draa» meint er. Lapidarer und klarer kann mans nicht sagen. Es mache ihnen allen Spass, seine Lieder und blöden Sprüche musikalisch zu tempieren, unterstützen, verstärken. Die Bemerkung der «blöden Sprüche» ist wohl als ausgereiftes Understatement zu verstehen. Aber: «Ich bin vor einem Auftritt immer wahnsinnig nervös», räumt Anaconda ein.
Ein Glück, dass die Bandmitglieder da nicht jedes Wort auf die Goldwaage legten, ihn zurückholen würden. Diese Nervosität ist seinem Wesen geschuldet. Denn Unsicherheit, Menschenscheu und volatiler Selbstwert sind dem Riesen, der in näherer Zukunft auch aus beruflichen Gründen in die Region ziehen wird, nicht fremd. «Hinzu kommt, dass ich an mich hohe Ansprüche stelle, gelegentlich den Eindruck habe, mir selbst nicht zu genügen.»
Überraschende Sätze aus dem Mund eines Mundartorkans, der die Wörter in den Konzerten mal so in den Raum katapultiert, als wolle er sie an der gegenüberliegenden Wand zerschmettert sehen und sie dann wieder fast hoffnungsvoll von der Bühne huschen lässt, als wären sie Seelentrost für sein Publikum, von dem er übrigens sagt: «Es gibt kein schlechtes Publikum. Denn im Publikum sitzen immer Menschen, ob 200 oder bloss 10. Für mich macht das keinen Unterschied.» Aber ob 200 oder 10: Sie alle will er zum Denken bringen. «Aber was sie denken, das kann ich nicht willentlich beeinflussen.»
Die feine Nase, das gute Gespür
«Er arbeitet mit untrüglichem Instinkt für Text und Musik; das ist herausfordernd und spannend.» So umschreibt Keyboarder Roman Wyss die Zusammenarbeit, die mittlerweile seit anderthalb Jahren anhält. Schwierig zu interpretieren zwar und jenseits der ausschliesslich getakteten Musik. Und darum anspruchsvoll. Aber im Arbeitsprozess würden sie sich finden. Wie sich schliesslich die beste und damit passende Version im Studio von Wyss ergibt, bleibt ein Geheimnis. «Es ist wohl auch eine Sache des Sich-mögens, des Vertrauens», so der Keyboarder.
Stiller Has und Endo Anaconda haben den Sprung ins weitere deutschsprachige Europa nie angestrebt. Ja, der Leader hatte noch nicht einmal im Sinn, Berufsmusiker zu werden. Der Umstieg ist dem «Landjäger» von 1994 zu verdanken, dem Erstling unter den mittlerweile zwölf Alben. «10’000 Platten davon wurden verkauft», erinnert sich Anaconda. Da konnte er nicht mehr anders.
Jetzt präsentiert Stiller Has in der Schützi neben alten und neuen Liedern «Endosaurusrex». Ein archaischer Titel, der sich überraschend leicht erklärt. In seinem allerengsten Bekanntenkreis nennt man ihn Mammut. Eine seiner Töchter hatte die Idee, ihn als Saurier zu apostrophieren. Saurier sind zwar aus der Zeit gefallen, aber noch immer schwer in Mode. Und dass Rex König bedeutet, braucht der Mann, der in Burgdorf geboren und später einen Teil seiner Kindheit in Biel verbracht hat, nicht nachzuschieben. Fehlt noch Endo: Das griechische Präfix kommt der Übersetzung «innerhalb» nahe: Also: der König unter den Sauriern. Passt doch.
Und wie geht der König unter den Sauriern mit seiner Bekanntheit jenseits von Konzertsaal und Bühne um? «Es scheint die Eigenart der Menschen hier zu sein, doch eher auf Distanz zu gehen. Das hat im Übrigen auch mit Respekt zu tun und das schätze ich sehr», sagt Anaconda. Trotzdem wird er gelegentlich auf der Strasse angesprochen. Mit Anaconda oder Flückiger? «Mit Flückiger schon gar nicht», lacht der Mann. Aber er sei auch schon «Häsu» genannt worden. Alles andere als eine typische Bezeichnung für einen Saurier.