
Fake News aus dem Einwohnerrat?
Im Zofinger Einwohnerrat passt die Stimmung nicht zur Jahreszeit. Sie ist, gelinde gesagt, frostig. Von Führungsmängeln ist die Rede und davon, dass das Theater um die Sitzung, die nächsten Montag hätte stattfinden sollen, nicht zu einer Institution passt, die demokratische Ideale hochhält. Was vorgefallen ist, ist für die Öffentlichkeit schwer nachvollziehbar, weil spärlich oder – schlimmer – höchst einseitig informiert wurde und wird. Was also ist geschehen?
Vor gut einer Woche erfuhr man in einer ebenso kurzen wie lapidaren Mitteilung, dass die Einwohnerratssitzung vom nächsten Montag nicht stattfinde. Beschlüsse würden trotzdem gefasst, und zwar auf dem Korrespondenzweg. Der Rat trifft sich also nicht wie üblich im Stadtsaal, sondern stimmt schriftlich ab. Weltbewegendes steht nicht auf der Traktandenliste, Umstrittenes sehr wohl.
Was in der Mitteilung nicht stand: Abgeblasen hat die Sitzung das Ratsbüro unter der Leitung der Einwohneratspräsidentin. Diese hatte die Fraktionspräsidien angefragt, wie sie zu einer physischen Sitzung stehen. Die Meinungen waren geteilt: Die FDP beispielsweise war dezidiert für eine Zusammenkunft, die SVP dagegen. Am Schluss votierte eine knappe Mehrheit gegen eine physische Sitzung. Das Ratsbüro befand, die Traktanden seien nicht wirklich erheblich, eine schriftliche Abstimmung ohne Diskussion deshalb vertretbar. So weit, so gut. Dass sich ein Stadtparlament während einer Pandemie für einmal selbst aus dem Rennen nimmt, ist zwar unschön, aber nachvollziehbar.
Unmittelbar nach diesem Entscheid tagte am 23. April die Finanz- und Geschäftsprüfungskommission, kurz FGPK. Die FGPK ist die mit Abstand wichtigste Kommission der Stadt. Sie schaut dem Stadtrat auf die Finger und prüft die Geschäfte, die in den Einwohnerrat kommen. An ihrer Sitzung befand die neunköpfige FGPK, die für den 11. Mai traktandierten Geschäfte seien sehr wohl erheblich. Eine Diskussion darüber sei durchaus nötig– zum Beispiel über die Mindestgebühren für Baugesuche, die angehoben werden sollen. Schliesslich fällte die FGPK bei drei Geschäften einen sehr ungewöhnlichen Entscheid: Im Grundsatz stimme man den Vorlagen zu; falls aber die Abstimmungen wie vom Ratsbüro angekündigt ohne Debatte und auf dem Korrespondenzweg stattfinden sollten, sei man für eine Rückweisung an den Stadtrat. Zu diesem Zeitpunkt ging die FGPK offenbar davon aus, das Ratsbüro könnte seinen Entscheid rückgängig machen und die Sitzung vom 11. Mai doch stattfinden lassen. Das geschah aber nicht, wie wir inzwischen wissen.
Klar ist, dass die FGPK mit ihrem Vorgehen entgegen dem Entscheid des Ratsbüros eine Debatte ermöglichen will: Denn falls die Einwohnerräte nun der Kommission folgen und die Geschäfte am Montag tatsächlich zurückweisen, kommen sie im Juni an einer zusätzlichen Sitzung erneut auf den Tisch. Und man kann darüber diskutieren.
So weit, so gut. Die Geschäftsprüfungskommission will debattieren und die Vorlagen nicht einfach durchwinken. Das ist ihr Job.
Ihr Job wäre es aber auch, die Öffentlichkeit summarisch über ihre Beschlüsse zu informieren. Wenn man indes ihre Medienmitteilung vom 27. April liest, reibt man sich die Augen: Von einer Rückweisung der Geschäfte steht da kein Wort. Warum der Kommissionspräsident diesen zentralen Fakt bis heute nicht nachgeliefert hat, ist nicht nachvollziehbar. Wie man das absichtliche Weglassen von wichtigen Sachverhalten nennt, wissen ja inzwischen alle: Man nennt es Fake News.
Die Geschäftsprüfungskommission will Fragen zulassen, will debattieren, will den Gestaltungswillen des Einwohnerrats verdeutlichen – aber bitte unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die soll nichts von den Auseinandersetzungen erfahren. Dabei sind die aufgeworfenen Fragen zentral und interessieren die Wählerinnen und Wähler sehr wohl: Wie soll das städtische Parlament der Pandemie trotzen? Was sind «unerhebliche»Traktanden? Gibt es so etwas für ein Parlament überhaupt? Die Debatte durch Nicht-Kommunikation zu unterdrücken, ist definitiv der falsche Weg.