Fall Gränichen: SVP-Nationalrat Luzi Stamm kritisiert Bundesrichter

Waren die Aargauer Gerichte im Mordfall Gränichen zu streng mit dem Angeklagten? Nein, findet Luzi Stamm. Der SVP-Nationalrat verteidigt das Bezirksgericht Aarau und das Obergericht – und kritisiert das Bundesgericht: «Die erste Instanz kann tendenziell am besten feststellen, was passiert ist», sagt der ehemalige Richter. Der Bezirksrichter erlebe den Angeklagten live: «Man sieht manchmal am Zögern und in den Augen: Der erzählt nicht die Wahrheit.» Der Bundesrichter wälze hingegen Akten und habe keinen persönlichen Eindruck. Das Bundesgericht bezeichnet Stamm als «in manchen Fällen abgehoben und weltfremd».

Es geht um den Mordfall Gränichen: Vor fast sechs Jahren wurde David M. in einer Garage erschossen. Die Aargauer Gerichte verurteilten den Bosnier Zeljko J. wegen Mordes – bis ihn das Bundesgericht Ende März freisprach. Es gebe keine Beweise, die «eine allfällige Täterschaft von Zeljko J. hinreichend belegen würden», lautete die Begründung. Weder lag ein Geständnis vor noch fand man die Tatwaffe.

Die Aargauer Staatsanwaltschaft sieht nach dem aufgehobenen Mordurteil wie die Verliererin aus. Experten nehmen sie in Schutz. «Die Staatsanwaltschaft hat zu Recht angeklagt», sagt der ehemalige Kriminalkommissär Markus Melzl. Urs Oswald, erfahrener Strafverteidiger, pflichtet ihm bei: «Der Staatsanwalt muss im Zweifel anklagen. Das Gericht muss im Zweifel freisprechen.»

Er moniert indes, die Staatsanwaltschaft habe wohl zu lange gebraucht, bis die Anklage stand. Der Europäische Gerichtshof in Strassburg verlange eine schnellere Gangart. Stamm sieht in der Dauer ein «Riesen-Problem». Entsprechend der Dauer fällt die Entschädigung für J. höher aus. Bei wichtigen Fällen soll die Justiz in jeder Instanz «auch über das Wochenende arbeiten», fordert er.

Er und Oswald trafen 1989 in einem spektakulären Fall vor Gericht aufeinander: Alfredo Lardelli hatte in Würenlingen zwei Prostituierte und den Ehemann seiner Geliebten erschossen. Er gestand die Tat, zog das Geständnis später jedoch zurück. Stamm verurteilte Oswalds Mandanten zu 20 Jahren Haft. Heute sagt Stamm, er habe genau gewusst, wann Lardelli ihn anlog. Oswald sagte damals, er sei von der Unschuld seines Mandanten überzeugt. Will er die Wahrheit seines Klienten überhaupt wissen? «Ich will möglichst nahe an die Wahrheit herankommen.» Er müsse aber mit dem arbeiten, was der Klient ihm sage und dessen Interessen bestmöglich vertreten.