Falls Massnahmen verschärft werden: Beamte befürchten einen Aufstand der Geimpften

Sie skandierten «Gemeinsam für Freiheit und Grundrechte». Oder: «Mein Körper, meine Regeln». Am Samstag marschierten in Luzern wieder Tausende Menschen auf, um gegen die coronabedingten Einschränkungen und die Impfkampagne zu demonstrieren. Sie warfen der Berner Politik unter anderen vor, mit den Schutzimpfungen indirekt eine Zweiklassengesellschaft schaffen zu wollen.

Noch sind es vor allem sogenannte Covid-Skeptiker – und die von ihnen provozierten Gegendemonstranten –, die auf die Strasse gehen. Bald jedoch könnte ein anderes Motiv für Proteste sorgen: der Unmut der Geimpften. Im Herbst rechnen Fachleute mit steigenden Fallzahlen und unter Umständen auch mit einem erneuten Anstieg der Spitalbelegung.

Einschätzung der Lage derzeit nicht leicht

Zu dieser Einschätzung kommt auch der Koordinierte Sanitätsdienst (KSD) der Armee, dem in der Krisenbewältigung beim Bund eine zentrale Rolle zukommt. Seine Experten überwachen landesweit die Gesundheitsversorgung und haben die Auslastung der Spitalbetten im Blick. Ihre fachlichen Urteile haben Gewicht.

In einer internen Lageeinschätzung, die CH Media vorliegt, zeichnet der KSD ein bemerkenswertes Bild. Eine Einschätzung sei aufgrund von Unsicherheiten derzeit nicht leicht. Zum einen habe sich die ansteckendere Delta-Variante in der Schweiz schneller ausgebreitet als angenommen, heisst es. Und zum anderen liessen sich weniger Menschen impfen als ursprünglich vorhergesagt.

Unter diesen Rahmenbedingungen sei es «sehr schwierig, einen erneuten Anstieg der Spitalbelegung durch Covid-19 in den Spitälern im Herbst zu verhindern». Somit sei es wahrscheinlich, dass auch «nicht-pharmazeutische Massnahmen» wieder notwendig würden; eigentliche Beschränkungen des öffentlichen Lebens also. Als Beispiel werden explizit auch Lockdowns genannt. Und dies könnte «wiederum zu weiteren Protesten, diesmal vermutlich auch im geimpften Teil der Bevölkerung führen», heisst es in der aktuellen Lageeinschätzung weiter. Das Papier datiert von vergangener Woche.

Massnahmen für den Herbst rücken in den Fokus

Was die Bundesexperten da ansprechen, führt zu Fragen von grundsätzlicher Bedeutung: Sollen allfällige Einschränkungen nur noch Nichtgeimpfte treffen? Gilt es die Freiheiten von Geimpften und Genesenen besser zu schützen – zumal die Gefahr der Ansteckung durch sie geringer ist?

Blickt auf den Herbst: Lukas Engelberger, oberster Gesundheitsdirektor.

Blickt auf den Herbst: Lukas Engelberger, oberster Gesundheitsdirektor.

Bild: Keystone

Behörden und Politiker aller Couleur diskutieren derzeit über Massnahmen für den Herbst. So hält es Lukas Engelberger, Basler Regierungsrat und Präsident der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren, durchaus für möglich, dass die Massnahmen dann allenfalls wieder verschärft werden müssen. Dies, um eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern. «Wenn es draussen kühler wird, werden wir sehen, ob wir gut aufgestellt sind», erklärte Engelberger in der «Sonntagszeitung».

Offen ist, welche Nachteile die Ungeimpften sodann in Kauf nehmen müssten. Bundespräsident Guy Parmelin stellte am Wochenende zumindest öffentlich in Frage, ob die Covid-19-Tests noch gratis sein sollen, wenn erst einmal alle geimpft sind, die das wollen. Dass das Covid-Zertifikat an weiteren Orten zur Pflicht werden könnte, wenn die Zahl der Hospitalisierungen steigt, ist absehbar.

Spricht Klartext, wenn's um Impfen geht: FDP-Mann Philippe Nantermod.

Spricht Klartext, wenn’s um Impfen geht: FDP-Mann Philippe Nantermod.

Bild: Keystone

Die drei G-Kategorien – Genesene, Geimpfte und Getestete – sind heute gleichgestellt. Dass dies keinesfalls sakrosankt bleiben muss, zeigen Äusserungen von Politikern. Klartext sprach jüngst etwa FDP-Nationalrat Philippe Nantermod. Wenn eine neue Welle komme, müssten Leute, die nicht geimpft sind, zumindest am Anfang Einschränkungen akzeptieren, sagte er dieser Zeitung. «Und nicht jene Leute, die geimpft sind.»

Einschränkungen nur noch für Nichtgeimpfte als Möglichkeit

Deutlich umriss unlängst auch Mitte-Nationalrat Lorenz Hess eine mögliche Verschärfung, sollten die Zahlen wieder ansteigen:

«Es kann ein Thema werden, dass nur noch Genesene und Geimpfte Zutritt zu Grossveranstaltungen haben. Sonst wird das Testen das neue Impfen, und das ist nicht gut.»

Tatsächlich gibt es solche Überlegungen in der Bundesverwaltung schon. Der Koordinierte Sanitätsdienst verweist in seiner internen Lageeinschätzung auf Übertragungsketten an Grossveranstaltungen. Getestete Besucher könnten sich auch nach Erhalt des Covid-Zertifikats anstecken; zumal die Delta-Variante einfacher übertragbar und ein negatives Testresultat bis zu 72 Stunden gültig ist.

Die Experten regen deshalb an, zumindest bei Grossveranstaltungen einen auf Geimpfte und Genesene beschränkten Einlass zu prüfen. Soll heissen: Aus drei würden zwei G-Kategorien.