Familie Flöz: Betörendes Spiel hinter den Kulissen

Wer glaubt, wer sich eine Maske aufsetzt, sei geschützt, sieht sich bei der Berliner Theatergruppe Familie Flöz eines Besseren belehrt. Mit ihrem Maskentheater stellen sie Menschliches und Allzumenschliches bloss, belassen ihnen aber jederzeit ihre individuelle Würde. Die maskierten Figuren agieren stumm, Gestik und Bewegung sind Sprache genug, um in diesem dramatischen Geschehen Wahrheit herzustellen.

Jeder Konflikt, so sagt die Gruppe über ihre eigene Arbeit, manifestiere sich zuerst im Körper. Schon in der minimsten Bewegung kündigt sich die Emotion und Motivation der Figur an. Wer den Figuren zuschaut, erwischt sich dabei, wie er in den holzschnittartigen, mit karikaturhaft sinnlichen Nasen und vollen Mündern versehenen Gesichtern eine Mimik erkennt, die so gar nicht da sein kann. Emotionen aus den Aktivitäten der Figuren heraus zu erzeugen, zu deuten, zu lesen und zu glauben, bereitet grossen Genuss.

Raffinierte Verwandlungskunst

Das Stück «Delusio», das die lediglich aus drei Darstellern bestehende Gruppe auf Einladung von Musik und Theater Zofingen zum Besten geben, strotzt von fein beobachteten Charakterstudien. Das Geschehen spielt nicht vor, sondern hinter der Bühne. Hier machen einander drei Bühnentechniker gegenseitig das Leben schwer. Der linkisch verträumte Bernd, der trotz Höhenangst auf Leitern klettern muss, der selbstverliebte Kraftprotz Bob und Ivan, der dickbäuchige Chef, der die Kontrolle zu behalten versucht: Im Applaus des Publikums können sie sich nicht sonnen. Stattdessen erleben sie, wie die Protagonisten vor der Bühne hinter der Bühne ihr wahres Gesicht zeigen. Orchestermusiker, die eigenartige Rituale pflegen oder sich am liebsten gleich vor der Aufführung drücken würden. Darsteller eines Mantel- und Degen-Dramas, die ihre Konflikte auf die Hinterbühne tragen. Oder Opernsängerinnen, die von Verehrern bedrängt werden.

Ganze 30 Figuren spielen auf diesem Raum hinter der Kulisse während rund 80 Minuten ein Drama der menschlichen Eitelkeiten. Dargestellt werden sie von drei grandiosen Pantomimen. Dank grosser Verwandlungskunst, raffinierter Kostümierung und klug eingesetzter Sound- und Lichttechnik gelingt die Täuschung perfekt.

Nackter Wunsch und Begehren

Der Prolog zum Stück ist eine Apotheose des Flöz-Universums. Im Trio bewegen die Darsteller eine weibliche Puppe über die Bühne und hauchen ihr Leben ein. In der Folge macht es auch bei den 30 direkt dargestellten Figuren den Anschein, als würden sie an unsichtbaren Fäden geführt. Es ist ihr Wünschen und Begehren, das wie von Geisterhand an ihnen zupft, zieht und zerrt. Als sich Bernd in eine Ballerina verliebt, klirren hinter den Kulissen plötzlich die Degen. Die Figuren geben einander Saures, ringen miteinander und manchmal auch umeinander. Jeder und jede kämpft und behauptet sich und nimmt sich offen, wenn nötig auch heimlich, was ihm zusteht. Die Schaulust des Publikums auf die geheimen Laster und Gebrechlichkeiten, der sich unbeobachtet glaubenden darstellenden Künstler wird reichlich bedient. Platt ist das «Teatro Delusio», das einen mit so viel Extraklasse und stupendem Figurenwitz bei Laune hält, dabei aber nie. Es gibt genügend der poetischen Momente, in denen Musiker, Balletttänzer, Drama-Kings und Drama-Queens sowie die Bühnentechniker auf sich selbst zurückgeworfen sind und in dieser Vereinzelung trotz aller Komik Tragik und Tiefe herstellen.

Es ist ein bunter Reigen an Bildern und Situationen, der auf das Publikum einprallt. Grosse Gesten und stille Verletzlichkeiten geben einander die Hand. Für einmal können die drei Bühnenarbeiter Bob, Bernd und Ivan den Bühnenglanz setzen. Und zwar gerade weil sie einander mit Lampen, Leitern und Kabelsalaten gegenseitig fast ins Grab bringen. Die nachdenkliche Heiterkeit dieses Stücks überzeugt mindestens ebenso wie die unglaubliche Kunstfertigkeit in der Darstellung und die Präzision in der tänzerisch angehauchten Gestik.

Urkomisch ist die Zugabe, als Bob und Ivan mit dem Tattergreis von Violisten noch einen abrocken. Verletzlichkeit und Vitalität geben einander noch einmal kongenial die Hand. Selten so klug, abgründig und human unterhalten.