
Farbige Fassaden im Aargau: Kunst oder Ärgernis?



Einzureichende Unterlagen
Wer ein farbiges Haus bauen oder einem bestehenden Gebäude eine neue Fassadenfarbe verpassen möchte, sollte eine Reihe von Unter-lagen für die Behörde bereithalten. Notwendig sind etwa der Beschrieb der Farbigkeit und der Materialisierung der sichtbaren Bauteile. Weiter braucht es ein Farbkonzept der sichtbaren Bauteile sowie einen Beschrieb der Farbigkeit und der Materialisierung der wichtigsten Elemente des Aussenbereichs im Umgebungsplan. (AZ)
Farbkultur im Aargau
Das Forschungsprojekt «Farbkultur im Aargau» untersucht die Farbigkeit der Architektur im Kanton. Es geht dabei um das Sichtbarmachen von regionaler Farbkultur im Spannungsfeld von historischer Architektur, Wachstum und Erneuerung. Ziel des Projektes ist es, die Bevölkerung und alle am Bau Beteiligten für die Besonderheiten des Lokalen zu sensibilisieren. Letztlich gehe es auch um unsere Verantwortung gegenüber dem öffentlichen Raum, erklärte Projektleiterin Stefanie Wettstein, die auch der Zürcher Fachschule «Haus der Farbe» vorsteht. (AZ)
Farbige Häuser fallen auf. Sie heben sich ab von der blassfarbigen Umgebung. Sie bleiben auch in der Erinnerung haften. Findige Geschäftsleute haben das längst erkannt und die Farbe zu ihrem Markenzeichen gemacht; man kennt «s’ gäle Huus» als Jeansladen in Oftringen genauso wie das «Rote Huus» als Verkaufsshop der Industriellen Betriebe in Wohlen.
Farbige Häuser polarisieren aber auch; grelle Farben bewegen oft mehr als die Architektur. Architekturkritiker Benedikt Loderer hat das zynisch kommentiert: «Man kann die hässlichsten Häuser bauen. Wenn man sie dann in Eierschalenweiss anmalt, ist das in Ordnung. Baut man aber ein architektonisch hervorragendes Haus und malt es farbig an, hat man sofort alle Nachbarn am Hals.»
Kunterbunt in Villmergen
Wer sein Haus farbig anmalt, hat unter Umständen nicht nur die Nachbarn, sondern auch die Behörde am Hals. Denn das uneingeschränkte Recht auf eine freie Wahl der Fassadenfarbe gibt es im Aargau nicht. Zwar gibt es keine pauschalen Vorschriften oder Richtlinien. Die Regelungen unterscheiden sich oft auch je nach Gemeinde und Bauordnung. Der Heimatschutz kann sich einmischen und die kantonale Denkmalpflege ebenfalls, wenn es etwa um ein öffentliches Interesse an einem harmonischen Erscheinungsbild geht oder um historische Aspekte.
Farbkultur im Aargau
Die Künstlerin Brigitte Hundt hat in Villmergen, mitten im Dorf und nahe bei der Kirche, nach und nach die Fassade ihres Hauses mit kräftigen Ornamenten auffällig und eigenwillig bemalt. «Ich habe das einfach gemacht, weil ich Lust dazu hatte», erklärt Hundt. Eine Bewilligung dazu hat sie nicht eingeholt, es hat sich niemand über die «Villa Kunterbunt» beschwert. Auch die Gemeinde hat nicht interveniert. «Ich glaube, auch den Leuten im Dorf gefällt unser farbiges Haus», sagt Hundt. Und bei Dorfführungen zeige man inzwischen neben den Sehenswürdigkeiten wie Kirche oder Mühle auch auf das Wohnhaus der Familie Hundt an der Kirchgasse.
Paar musste Haus neu streichen
Generell gilt in den meisten Gemeinden, dass, wer an seinem Gebäude eine äusserliche Veränderung vornehmen will, ein Baugesuch einreichen muss. Eine Veränderung der Fassadenfarbe kann als solche Veränderung interpretiert werden. Deshalb empfiehlt es sich, in einem solchen Fall vor dem Anstrich mit der Behörde Kontakt aufzunehmen. Denn nicht in allen Gemeinden sind Nachbarn und Behörden so tolerant wie in Villmergen.
Wer nur den bestehenden Anstrich auffrischt, braucht dafür dann aber keine zusätzliche Bewilligung. Wer einfach drauflosmalt, ohne sich vorher zu informieren, was erlaubt ist uns was nicht, kann unliebsame Überraschungen erleben. So sorgte ein Fall in Biel für Aufsehen: Ein Paar wurde verpflichtet, sein Haus neu streichen zu lassen, weil es den Behörden zu orange war. Das Paar zog die Konsequenzen, verkaufte das Haus und emigrierte nach Kenia.
Bitte kein Zitronengelb
Auch wenn im Aargau kein derartiger Fall bekannt ist, beschäftigen die farbigen Häuser auch immer wieder Gemüter und Behörden in den Gemeinden. Hilfreich bei der Wahl der passenden Fassadenfarbe ist ein Merkblatt des Kantons. Es gibt Empfehlungen zur Farb- und Materialwahl bei Häusern vorab in ländlicher Umgebung. «Es hat sich gezeigt, dass es schwierig ist, über Farben zu reden, wenn man nichts zeigen kann», erklärt Andrea Mader, Fachberaterin Siedlungsentwicklung und Ortsbild bei der Abteilung Raumentwicklung. «Das Merkblatt soll Gemeinden, Architekten und Bauherren die Arbeit erleichtern.»
Siedlungen sind historisch gewachsen und mit einer regionalen Bautradition verbunden. Vorhandene Rohstoffe und konstruktive Möglichkeiten beeinflussten die Kunst des Bauhandwerks und prägten die Farbkultur. Heute sei die einst selbstverständliche Einpassung in die Landschaft durch die Verfügbarkeit einer Vielzahl neuer Produkte nicht mehr gegeben, heisst es im Merkblatt. Daher sei eine sorgfältige Auseinandersetzung mit der Materialisierung und der Farbigkeit von Gebäuden unumgänglich, heisst es im Ratgeber des Kantons. Bei Um- und Neubauten sollen die Materialentscheidungen hinsichtlich eines guten konstruktiven Aufbaus und einer langen Haltbarkeit getroffen werden.
«Lieblingsfarben sind nicht immer geeignet als Fassadenfarbe», sagt Andrea Mader. Das Merkblatt erklärt, warum das so ist: Häuser sind in der Landschaft oft von weit her sichtbar. Das Zusammenspiel von natur- und Architekturfarbigkeit ist deshalb von grosser Bedeutung. Orientierungspunkte bilden Farben, die in der Natur grossflächig in allen Jahreszeiten auftreten. Diese «geerdeten» Farben decken das ganze Buntspektrum ab.
Abgeraten wird in der Farbgestaltung von einem kühlen Weiss, auch auf künstlich und störend wirkende Farben wie Zitronengelb oder Hellblau, und ebenso auf cremige und süsse Farben wie Vanillegelb, Apricot oder Rosatöne sollte verzichtet werden, schlägt der Kanton vor. Wobei der Kanton aber keine Verbote ausspreche, sondern nur Empfehlungen abgebe, hält Andrea Mader fest.