
Fasziniert vom Klang der Kugeln – Teil 1 der Sommerserie «Sport oder nicht»
Zugegeben: Es wirkt nicht besonders sportlich, wenn jemand am Billardtisch steht und mit einem nur knapp 600 Gramm schweren Holzstab ein paar Kugeln bewegt. Die Anstrengung steckt jedoch im Detail. «Man muss körperlich und psychisch bereit sein, um im Poolbillard Partien über längere Distanzen spielen zu können», sagt Burim Ljumanoski. Der 39-jährige Egerkinger ist Präsident des Medela Sports Team, dessen mit Snooker- und Billardtischen ausgestattetes Klublokal im Bleicheareal in Zofingen liegt. Ljumanoski zählt zu den Top-15-Poolbillardspielern der Schweiz.
Für ein ein- oder zweitägiges nationales Turnier steht er am Wochenende jeweils um 9 Uhr auf der Matte, je nach Grösse des Teilnehmerfelds ist erst weit nach Mitternacht wieder Schluss. Obwohl Ljumanoski zwischen den unterschiedlich intensiven Spielen pausieren kann, muss er die Konzentration den ganzen Tag über aufrecht halten. So überrascht es nicht, wenn Ljumanoski abends völlig fertig in sein Bett fällt. «Ein 20-Jähriger geht nach dem Wettkampf etwas trinken, ich dagegen bin kaputt», sagt er.
Begünstigt wird dieser Zustand durch weitere Faktoren: «Ich bin beruflich sehr engagiert, darf ein Billardcenter führen und habe eine Familie», sagt der in der Immobilienbranche tätige Investmentmanager. Am Turnier selber entstehe durch die Wartezeiten viel Leerlauf, zudem sei man stets auf den Beinen und ernähre sich oft schlecht. «Das wirkt sich nach 12 bis 13 Stunden aus», sagt Ljumanoski.
Um für die langen Wettkampftage gerüstet zu sein, bieten sich Fitnessübungen, Waldläufe oder Schwimmen als Ausgleich zu den zwei- bis drei Trainingseinheiten pro Woche im Klublokal an. Im Vergleich zu den professionellen Poolbillardspielern, die einen strikten Ernährungs- und Trainingsplan befolgen, sind die Unterschiede gross. «In der Schweiz ist Billard ein Einzelsport im Amateurbereich», spricht Burim Ljumanoski Klartext. Jeder entscheide für sich selber, «wie er sein Spiel verbessern kann.» Aufwand und Ertrag müssen insofern stimmen, dass er und seine Teamkollegen mit einem gewissen Spassfaktor in der Nationalliga mit den besten 32 Spielern der Schweiz mithalten können.
Eine sehr kleine Szene
Beim Poolbillard, einer Variante des Billards, werden mit einem weissen Spielball farbige Objektbälle nach bestimmten Regeln in sechs Taschen eingelocht. Der aus Phenolharz bestehende Spielball, 170 g schwer, wird als einzige Kugel mithilfe des Queues gespielt. Ein nicht korrekter Stoss wird als «Foul» bezeichnet. Der neun Fuss grosse Billardtisch hat eine genormte Spielfläche von 2,54 m x 1,27 m. Unter den zahlreichen Disziplinen zählen 8-Ball, 9-Ball, 10-Ball sowie 14-und-1-endlos zu jenen mit der grössten Bedeutung. In der Schweiz gibt es bis zu 350 lizenzierte Poolbillardspieler, die sich auf rund 35 Vereine aufteilen. «Die Szene ist überschaubar, man kennt sich», sagt Burim Ljumanoski, Präsident des Medela Sports Team aus Zofingen. Zum Vergleich: Alleine in Ostdeutschland hat es in etwa so viele Klubs wie hierzulande Spieler. Die bekanntesten europäischen Akteure sind Thorsten Hohmann (De), Niels Feijen (Ho), Darren Appleton (En), David Alcaide (Sp) oder die Geschwister Albin und Jasmin Ouschan (Ö).

Trotz dieses Efforts wird Burim Ljumanoski für seine Lieblingsbeschäftigung immer wieder belächelt – selbst im engsten Freundeskreis. «Man bezeichnet Billard als Kneipenspiel», sagt er. Die meisten Leute verbinden ein Billardcenter mit einem dunklen Raum, in dem geraucht und Alkohol getrunken wird. Dabei habe sich die Sportart von diesem liederlichen Gesamtbild längst verabschiedet. «Billard hat sich in den letzten sieben, acht Jahren extrem weiterentwickelt», sagt Ljumanoski und erwähnt den World Cup of Pool, ein Nationenturnier mit 250 000 Dollar Preisgeld, oder den Mosconi Cup, bei dem sich ein Team aus Europa und den USA duellieren.
Zumindest international scheint das Interesse am Poolbillard tatsächlich gewachsen zu sein. Darauf lassen die steigenden Besucherzahlen auf den sozialen Medien und die konstanten Umsatzzahlen der Lieferanten von Billardzubehör schliessen. Meist hilft auch ein Gespräch mit den «unwissenden» Personen. «Da merken sie ziemlich schnell, dass mehr dahinter steckt», sagt Burim Lujmanoski.
Aufnahme ins Förderprogramm des Bundes als Wunschszenario
Damit Poolbillard auch in der Schweiz von der breiten Öffentlichkeit anders wahrgenommen wird, sind nicht nur die einzelnen Vereine auf ihren Werbeplattformen, sondern vor allem der Verband gefordert. «Als oberste Institution müsste Swiss Olympic Massnahmen ergreifen und die Vorgaben strukturiert umsetzen. Dann sind Fortschritte möglich», sagt René Schellschmidt. Der 38-jährige Technische Leiter des Medela Sports Team aus Wauwil wünscht sich die Aufnahme des Poolbillards in das Jugend-und-Sport-Förderungsprogramm des Bundes, um einen einfacheren Zugang zum Nachwuchs zu erhalten. «Es läuft selten jemand einfach so in unser Klublokal rein und sagt, dass er jetzt Billard spielen will», sagt Schellschmidt, der 2012 den Schweizer-Meister-Titel im 8-Ball gewann.
Derzeit beschränkt sich die Suche nach Talenten hauptsächlich auf den Bekanntenkreis. Das Problem ist jedoch stets das gleiche. «Die Jugendlichen haben heute so viele Möglichkeiten, um ihre Freizeit zu gestalten», sagt Schellschmidt, der durch blanken Zufall in die Szene reingerutscht ist. «Mich fasziniert der Klang der Kugeln, wenn sie in die Taschen fallen», schwärmt der im Aussendienst tätige Luzerner, «und man kann den Gegner mit einfachsten Mitteln vom Platz fernhalten.» Ausserdem könne er am Tisch abschalten, ohne dass der Kopf permanent am Arbeiten sei.
Auch Burim Ljumanoski sieht im Poolbillard einen idealen Ausgleich zum beruflichen Alltag. «Sobald ich den Tisch abdecke und mein Queue zusammenschraube, konzentriere ich mich total auf die Kugeln», sagt er. Sein Ehrgeiz, Spiel für Spiel zu gewinnen und die Technik zu perfektionieren, hat sich früh entwickelt. Als Jugendlicher spielte Ljumanoski mit Kollegen in einem Pub um Geld. «Wer den Sieger der vorherigen Partie herausfordern wollte, musste jeweils zehn Franken hinblättern», erzählt er. Weil Ljumanoski immer verlor, kaufte er sich ein eigenes Queue und trainierte ein paar Monate. «Dann ging ich zurück ins Pub, zockte alle ab und holte mein Geld zurück», sagt er und lacht.
Dieser Wille, gepaart mit viel Fleiss und Selbstdisziplin, sind für einen guten Poolbillardspieler unabdingbar – und das über eine längere Zeit. Denn wer Fortschritte erzielen will, braucht vor allem eines: Geduld. «Ein gewisses Anfangsniveau ist schnell erreicht. Bis zur Spitze kann es aber lange dauern, weil die Luft oben extrem dünn ist», erklärt René Schellschmidt. Auf einer Skala von eins bis zehn könne man sich innert vier Jahren bis auf Stufe sieben hocharbeiten. «Für die restlichen drei ist es aber gut möglich, dass nochmals zehn Jahre nötig sind», so Schellschmidt.
Besonders in dieser zweiten Phase sei Disziplin gefragt. Er siehts positiv: «Poolbillard ist eine Schule fürs Leben. Wer sich hier durchbeisst, schafft das auch in der Geschäftswelt.»