
Fichte und Buche leiden wegen des Klimawandels – dieser Baum wird künftig die Schweizer Wälder prägen
In einem Waldstück bei Bonstetten im Zürcher Säuliamt stehen zwei Bäume beieinander, der eine ragt in die Höhe, 30 Meter ungefähr. Der andere steht in seinem Schatten, mannshoch erst.
Die angeschlagene Buche von Bonstetten. © Sandra Ardizzone
Beide Bäume sind Buchen, doch ihr Leben wird nicht gleich verlaufen, da ist sich Andreas Rigling sicher. Eben ist Rigling noch durch das Unterholz gestapft. Jetzt steht er neben den beiden Bäumen und schaut von der grossen Buche zur kleinen. Dort bleibt sein Blick hängen. «Ich glaube nicht, dass sie hier eine Zukunft hat», sagt Rigling, der an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) forscht.
Weit über seinem Kopf ragt die Krone der grossen Buche auf, grün sollte sie zu dieser Jahreszeit eigentlich sein, voller Blätter. Doch die Krone ist nicht grün. Sondern grau und kahl. Der Klimawandel macht dem Baum zu schaffen. So sehr, dass Rigling sagt, er wisse nicht, ob «diese Buche noch einmal kommt», soll heissen: wieder voll und ganz ergrünt.
Waldforscher Andreas Rigling. © Sandra Ardizzone (2. Juni 2020
So wie der Buche von Bonstetten geht es vielen Bäumen im Land: sie kämpfen mit dem Klima, das immer trockener wird und wärmer. Das gilt gerade für die Buchen und die Fichten, die beiden wichtigsten Schweizer Bäume. Sie machen 55 Prozent der Bestände aus. Doch lange wird das nicht mehr so bleiben, ihre Zeit läuft ab, gerade in tiefen Lagen. «Das Gesicht des Schweizer Waldes wird sich in Zukunft stark verändern», so Waldforscher Rigling.
Die trockenen Jahre häufen sich…
Rigling ist im Kanton Schaffhausen aufgewachsen, hat dort die Lehre als Forstwart gemacht und später an der ETH Forstwissenschaften studiert. 25 Jahre setzt er sich schon mit dem Wald auseinander. Er sagt, er sei sein Leben. Der 56-Jährige leitet die Einheit Walddynamik der WSL.
© Sandra Ardizzone (2. Juni 2020
Die Frage, welche Faktoren den Wald beeinflussen, steht dort im Mittelpunkt. Und das Klima wird als Antwort auf sie immer wichtiger. Das beschäftigt auch das Parlament: Morgen wird es vom Bundesrat eine Gesamtstrategie für die Anpassung des Waldes an den Klimawandel fordern. Und auch die Klimapolitik, die gerade neu aufgestellt wird, hat unter anderem den Schutz des Waldes zum Ziel.
Forscher Rigling macht die zunehmende Trockenheit schon länger Sorgen. Er kann die Jahre, in denen aussergewöhnlich wenig Niederschlag fiel, auswendig aufzählen. Er fängt dann weit in der Vergangenheit an – 1921, 1946, 1976 – und je näher er der Gegenwart kommt, desto kürzer werden die Abstände: 2003, 2011, 2015, zuletzt 2018. Damals ging Rigling durch Schweizer Wälder und konnte nicht glauben, was er sah: im ganzen Land, von Schaffhausen über das Baselbiet bis in den Jura, warfen insbesondere die Buchen schon im Juli ihre Blätter ab. Bäume, teilweise ganze Waldstücke, verfärbten sich plötzlich rot. «So etwas habe ich in diesem Ausmass vorher noch nie beobachtet», sagt Rigling.
Der Herbst begann damals für manchen Baum drei Monate zu früh, weil er sich wegen der Trockenheit nicht mehr anders zu helfen wusste. Insbesondere passierte das an Standorten, an denen der Boden sowieso schon trockener war als anderswo. Das Wasser ist das Lebenselixier der Bäume. Ihre Wurzeln ziehen es aus dem Boden. Ohne Wasser gibt es keine Photosynthese, also keine neuen Wurzeln, keine Knospen, kein Wachstum. Wenn es fehlt, schalten die Bäume in den Überlebensmodus. Deshalb ist die Krone der Bonstetter Buche tot, weiter unten am Stamm aber spriesst sie immer noch grün.
… und hinterlassen ihre Spuren
Die Frage ist, was trockene Sommer langfristig mit den Bäumen machen. Und was es für sie bedeutet, wenn deren Häufigkeit zunimmt – so, wie das Klimaforscher voraussagen. Andreas Rigling sagt, Forschungsergebnisse zeigten, dass der Trockenstress sich kumuliert, die Bäume anfälliger macht. Dass der frühe Blätterabwurf von 2018 seinen Anfang schon früher nahm. Nach der damaligen Rekorddürre haben WSL-Forscher 1000 angeschlagene Bäume markiert um zu untersuchen, wie sie sich erholen. Die Hälfte war auch im Jahr darauf noch gezeichnet, durch abgestorbene Kronen oder kaputte Rinde etwa. Rigling befürchtet, dass weitere trockene Jahre diesen Bäumen den Todesstoss versetzen könnten.
Ein anderes Waldstück, nur ein paar Kilometer entfernt von Bonstetten, Kanton Aargau bereits. Der Wind zupft an Ästen, Vogelgezwitscher, aber auch: tote Bäume dicht an dicht.
© Sandra Ardizzone
die Äste schlaff. Andreas Rigling hat ein Sackmesser aus der Tasche gezogen, schneidet die Rinde einer Fichte auf, bricht ein Stück heraus.
© Sandra Ardizzone
Über ihre Innenseite ziehen sich feine Bahnen, ein Schädling hat sie gezogen, den Baum von innen befallen, ihn langsam getötet: der Borkenkäfer.
© Sandra Ardizzone
Er mag die Hitze, weil er sich dann besser vermehren kann. Und er mag Bäume, die geschwächt sind, durch Stürme oder Dürre etwa.
Der Borkenkäfer setzt der Fichte zu
Die Fichtengruppe im Aargauer Waldstück ist nicht mehr zu retten, das steht fest, anders als bei der Bonstetter Buche. Rigling sagt, er befürchte, dass sich solche Bilder häufen. Zuletzt, 2019, im Nachgang zum Dürrejahr 2018, waren so viele Bäume vom Borkenkäfer befallen wie nur einmal zuvor, nach dem Hitzesommer 2003. Es ist vor allem die Fichte, die darunter leidet. Sie ist immer noch der wichtigste Schweizer Baum, auch wenn der Bestand im Mittelland seit 2005 um ein Drittel abgenommen hat. 37 Prozent der Bäume in den hiesigen Wäldern sind immer noch Fichten, 18 Prozent Buchen.
Der Schweizer Wald leidet, aber es ist nicht etwa so, dass er verschwindet. Gut ein Drittel des Landes ist mit Wald bedeckt, in den letzten Jahren hat die Waldfläche sogar zugenommen. Andreas Rigling mag den Begriff «Waldsterben» nicht. Er sagt, der Wald werde nicht kleiner, aber er werde schon bald ganz anders aussehen.
Was das konkret bedeuten könnte, zeigt eine Karte, die der Schaffhauser auf seinem Laptop gespeichert hat. Darauf sind jene Gebiete rot markiert, die sich aufgrund der klimatischen Voraussetzungen als Standort für gewisse Baumarten eignen. Im Fall von Buche

und Fichte

wandern die roten Flächen mit den Jahren immer weiter vom Mittelland in die Voralpen. Dorthin, wo dereinst klimatische Bedingungen herrschen, wie man sie heute noch in tieferen Lagen antrifft.
Natürlich ist das alles mit Unsicherheiten behaftet. Das trifft auch auf die Klimamodelle zu. Vor allem aber weiss niemand, wie Bäume tatsächlich reagieren werden, wenn es noch wärmer und noch trockener wird. «Wir befinden uns an einem Ort, den wir so noch nicht kennen», sagt Rigling. Gerade deshalb sei es wichtig, dass die Waldbesitzer den Klimawandel in ihre Entscheidungen einfliessen lassen. «Das Klima ist nicht nur wichtig für den Wald, sondern auch umgekehrt. Deshalb muss der Wald klimafit gemacht werden», sagt Rigling.
Die Aufgabe der Waldeigentümer ist riesig. Wenn sie die Zukunft ihres Waldes planen, dann müssen sie das mit einem Zeithorizont von 50 und mehr Jahren tun. Lange war das nicht so schwierig, man hat auf Bewährtes gesetzt. Eben etwa auf die Buche, die eigentlich stets im Ruf stand, besonders robust zu sein. Oder die Fichte. Doch nun, da das Klima sich wandelt, müssten gerade im Mittelland viele Waldbesitzer – ein Drittel der Schweizer Waldfläche gehört Privaten, zwei Drittel der öffentlichen Hand – umdenken.
Waldbesitzer fordern mehr Geld vom Bund
Daniel Fässler ist Ständerat und Präsident von WaldSchweiz, dem Verband der Waldeigentümer. Der Innerrhoder ist in einer Sägerei aufgewachsen, und er besitzt heute selbst 2 Hektaren Wald. Fässler sagt, die Waldeigentümer kämpften schon lange mit Problemen, vor allem, dass sie mit ihrem Holz kaum kostendeckende Erlöse erzielen. Privateigentümer, aber auch Bürgergemeinden und Korporationen ohne Steuerhoheit seien deshalb oft nicht mehr in der Lage oder gewillt, in ihren Wald zu investieren. Hinzu komme, dass ein Grossteil des in der Schweiz verbauten Holzes importiert werde. «Es ist im Interesse aller, dass der Schweizer Wald bewirtschaftet wird», sagt Fässler, «auch aus klimapolitischen Gründen».
Der CVP-Ständerat sagt, es brauche Knowhow für die Waldeigentümer – vor allem aber Geld, denn «heute stellt der Eigentümer seinen Wald der Allgemeinheit zur Verfügung, aber er hat kaum etwas davon». Fässler stellt sich etwa vor, dass die Erschliessung der Wälder gezielt verbessert wird und der Bund Geld zur Verfügung stellt, wenn Eigentümer ihren Wald mit einer angepassten Bewirtschaftung klimafitter machen.
Neben den toten Fichten im Kanton Aargau liegt ein gerodetes Stück Wald. Auch dort standen einst Fichten. Dann kam der Borkenkäfer. Nun stecken Plastikrohre im Waldboden, sie sollen die jungen Eichen schützen, die anstelle der toten Fichten gepflanzt wurden.
© Sandra Ardizzone
Noch ist die Eiche ein seltener Baum in der Schweiz, ihr Anteil beträgt nur zwei Prozent. Doch Waldforscher Andreas Rigling sagt, sie sei im Mittelland der Baum der Zukunft. Denn mit der Trockenheit kann sie besser leben als Buche und Fichte.