
Frauenhände, die eine Tonne heben: die erste Kranexpertin der Schweiz kommt aus Brittnau

Wie kommt eine Rolltreppe in ein Einkaufszentrum? Wie wird eine Orgel in der Kirche aufgebaut? Und wie kann ich einen schweren Kronleuchter von der Decke holen, um ihn zu reinigen? Die Brittnauerin Beatrice Burch hat nicht nur die Antworten auf alle diese Fragen, sie kann die Arbeit gleich selber erledigen. Sie ist nämlich Kranexpertin – die erste Frau in der ganzen Schweiz.
Denkt man an das Wort «Kran», so blitzen bei den meisten Bilder von hohen Maschinen auf, die mit einer Betonkugel ein ganzes Gebäude zum Einsturz bringen können. Das ist bei Beatrice Burch nicht der Fall. Die 34-Jährige betreibt mit ihrem Mann seit zwei Jahren die Nellos AG in Brittnau. Vorher führten ihre Eltern den Betrieb, seit 1999. Das Fünf-Personen-Geschäft arbeitet unter anderem mit Miniraupen- und Kompaktkranen. Diese werden in Japan hergestellt und via Schweden nach Europa importiert.
Die Nellos AG importiert als Schweizer Vertreter, verkauft und vermietet die Maschinen. «Wir besitzen um die 50 Mietgeräte», so Burch, die eine Lehre als Industriepolsterin gemacht hat. «Es hat mir gefallen. Ich habe gelernt, sehr genau zu arbeiten. Aber die Lehrauswahl war nicht weitsichtig.» Damit spricht sie den kleinen Arbeitsmarkt an. «Als ich von meiner langen Reise nach der Lehre zurückkam, hatten viele Firmen geschlossen», so Burch. Eigentlich wollte sie nie im elterlichen Betrieb arbeiten. Als das Geld nach der Reise fehlte, schlug ihr Vater vor, sie übergangsweise bei sich anzustellen. «Es hat mir den Ärmel reingezogen. Nach zehn Jahren Probezeit haben wir das Geschäft schliesslich gekauft», scherzt sie. An ihrem Beruf gefalle ihr am meisten, dass kein Tag wie der andere sei. «Es ist sehr abwechslungsreich. Ich bin nie an einem Ort über längere Zeit, aber dafür immer Mal wieder.»
Den Titel des Kranexperten vergibt die Suva. Damit ist man unter anderem berechtigt, die Sicherheitsprüfungen an den Kranen durchzuführen, den Betrieb für eine weitere Periode zu erlauben oder einzustellen, falls der Kran nicht betriebsfähig respektive ein sicheres Arbeiten nicht möglich ist. Eigentlich braucht man dafür eine technische eidgenössische Ausbildung. Nachdem Burch über zehn Jahre jeden Tag mit Kranen zu tun, diverse Weiterbildungen in Schweden absolviert hatte und die Ausbildung zur technischen Kauffrau mit eidgenössischem Fachausweis abschloss, bewarb sie sich um das Zertifikat – vergebens. «Sie haben mich abgewiesen, weil sie wollten, dass ich noch den Instandhaltungsfachmann mache», so Burch, die ergänzt: «Ich habe mehr Wissen als viele andere, weil ich auch ohne die Ausbildung jeden Tag Krane repariert und instand gehalten habe. Ich kenne jeden Kran in- und auswendig. Das Zertifikat war eigentlich nur eine administrative Sache.»
Das Know-how ist ihr wichtiger als ein Diplom
Das Diplom zum Kranexperten gibt es seit 1999. Es hat also über 20 Jahre gedauert, bis sich die erste Frau Kranexpertin nennen darf. Doch Beatrice Burch ist nicht etwa stolz oder gerührt deswegen. Viel zu lange sei sie schon eine der wenigen Frauen in der von Männern dominierten Branche. Sie habe sich längstens daran gewöhnt und geht gar einen Schritt weiter: «Als erste Frau muss ich nun sehr gut aufpassen, dass mein Ruf nicht leidet.» Sie wolle sich eher über ihre Expertise beweisen als über ein Zertifikat.
Grundsätzlich mache es ihr nichts aus, ihren Alltag mit Männern zu verbringen. «Mit Männern zu arbeiten, ist für mich sehr angenehm.» Sie spricht von den stereotypischen Charakterzügen: direkter, offener, ehrlicher. Doch sie weiss auch, dass die Schubladisierung von Mädchen und Jungs eine Mitschuld trägt, wenn es für ungewohnt empfunden wird, dass Männer Coiffeur werden – oder eben Mädchen Kranexpertinnen. Zum Glück gäbe es heute solche Beispiele immer mehr, denn: «Jeder und jede soll das machen, wofür er oder sie ein Talent hat.»
Als eine Woche Arbeit fast für die Katz war
Beatrice Burch hat ihr Talent definitiv gefunden. So ist sie jedes Jahr an der Art Basel, der internationalen Kunstmesse, wo sie mit ihren Kranen die Werke installiert. Das interessanteste und zugleich kurioseste Erlebnis hatte sie mit einem Kunstwerk des verstorbenen österreichischen Künstlers Franz West. Dieser hatte eine Installation in Auftrag gegeben, die den menschlichen Darm darstellte, zehn auf fünf auf fünf Meter gross. Viel Geduld und Fingerspitzengefühl waren dabei von Burch gefragt. Nach einer Woche stand das Kunstwerk – doch laut den Verantwortlichen im falschen Winkel. Anders wäre halt doch schöner. «Zum Glück hatten wir keine Zeit mehr bis zum Messebeginn, alles wieder auseinander- und wieder zusammenzubauen», erzählt sie mit einem Lachen. Das Werk wurde dreimal für mehrere Millionen Franken verkauft. «Das ist sicher das Teuerste, was ich jemals ‹gekränlet› habe.»
