
Frauen*streik in Zofingen: Viele Forderungen von 1991 sind heute noch aktuell


1991
wurde nicht nur 700 Jahre Eidgenossenschaft gefeiert, in diesem Jahr war auch der Gleichstellungsartikel seit zehn Jahren Teil der Bundesverfassung. Dies war der Anlass für den Frauenstreik.
ir fordern mehr Gerechtigkeit.» Damit luden die Frauen der autonomen Frauengruppe Zofingen am 14. Juni 1991 zur Kundgebung auf den Gerechtigkeitsplatz, den «ehemaligen» Thutplatz, in Zofingen ein. Um 17 Uhr verhüllten die Frauen, unterstützt von Männern aus dem Läbige Zofige (LäZ), die Brunnenfigur des Niklaus Thut mit einem weissen Tuch und übergaben dem Stadtrat eine Petition: Anstelle des Niklaus Thut solle die Justitia wieder auf den Brunnensockel gestellt werden. Diese stand bis 1894 auf dem Gerechtigkeitsbrunnen und wurde dann durch die Niklaus-Thut-Figur ersetzt. Die Petition war sowohl ernst gemeint als auch symbolisch. Symbolisch, weil im Rahmen des landesweiten Frauenstreiks die geltenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen hinterfragt wurden. «Der Frauenstreik 1991 ist aus einem anderen gesellschaftlichen Umfeld heraus entstanden als der Frauenstreik dieses Jahr. Die Betroffenheit war damals viel grösser», sagt Susanna Meier. Als sie volljährig wurde, musste sie noch ein Jahr warten, bis sie abstimmen durfte. Sie ist mit dem Kampf für Frauenrechte aufgewachsen, genauso wie die anderen Frauen von der Frauenbibliothek Zofingen. Sie waren massgeblich für die Vorbereitung des Frauenstreiks in Zofingen verantwortlich. Mit Karin Wegmüller und Katharina Sulzer erinnert sich Susanna Meier an die damalige Zeit zurück. «Uns wäre es nie in den Sinn gekommen, für den Streik nach Bern oder nach Zürich zu fahren», sagt Karin Wegmüller. Vor Ort, hier in Zofingen, wollten sie auf die frauenspezifischen Anliegen aufmerksam machen.
Mal eine Pause machen
Der Frauenstreik im Jahr 1991 stand unter dem Motto «Wenn Frau will, steht alles still», abgeleitet vom Bundeslied des deutschen Arbeitervereins. «Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.» Um dies aufzuzeigen, gingen die Frauen – auch hier tatkräftig unterstützt durch ein paar «LäZ-Männer» – zu den Verkäuferinnen in Coop, Migros und den Läden in der Zofinger Altstadt und boten ihnen einen Stuhl an, damit sie sich hinsetzen, mal Pause machen konnten. «Uns hat interessiert, wie die Frauen ihre Arbeit und die Familie unter einen Hut bringen», sagt Karin Wegmüller. Gemeinsam hätten sie anschliessend über Löhne, Weiterbildung und Aufstiegschancen diskutiert. Doch nicht alle Frauen haben eine Pause gemacht – aus Angst vor Konsequenzen. Die Filialleiter waren gar nicht begeistert, dass in violette T-Shirts gekleidete Frauen ihre Mitarbeiterinnen von der Arbeit abhalten wollten.
Die Themen des 14. Juni 1991 waren aber nicht nur lokal oder national: Das Patriarchat, aber auch internationale Solidarität mit Frauen, die unter Gewalteinfluss litten, damals aktuell die Kriegswirren im zerfallenden Jugoslawien, wurden diskutiert. Der Streik wurde damals vom Gewerkschaftsbund unterstützt, politische Parteien äusserten sich zurückhaltend oder gar kritisch. «Den Streik zu unterstützen war gefährlich», erinnert sich Katharina Sulzer, «die Parteien wussten ja nicht, was ihre Wähler dazu sagen werden.» Im Herbst wurden National- und Ständerat neu gewählt.
Einen ganzen Tag lang streiken, das konnten nur die wenigsten Frauen. Darum war die Kundgebung auf dem Niklaus-Thut-Platz – oder eben dem Gerechtigkeitsplatz, wie er früher hiess – auf 17 Uhr angesetzt. Susanna Meier beispielsweise war als Lehrerin in Oftringen tätig. Als Staatsangestellte, aber vor allem weil sie verantwortlich für die Kinder in der Klasse war, konnte und wollte sie ihren Arbeitsplatz nicht verlassen. Zwischen zwei Schulstunden hat sie jedoch mit Kolleginnen violette Ballone steigen lassen. Auch im Gesundheitswesen war es unmöglich, die Arbeit niederzulegen. Die Frauen haben stattdessen die Haare violett gefärbt und violette T-Shirts angezogen. «So waren sie eben eine farbige Irritation in der Arbeitswelt», wirft Karin Wegmüller ein.
Neben der Petition, die Justitia wieder auf ihren angestammten Platz zu stellen, gab es auch nationale politische Forderungen. Der Gleichstellungsartikel, der damals seit zehn Jahren Teil der Verfassung war, sollte endlich umgesetzt werden: Gleiche Rechte für alle in Beruf, Familie und Gesellschaft. So anders waren die Themen damals nicht als heute. «Eigentlich deprimierend», sagt Karin Wegmüller. «Und trotzdem war das Bewusstsein ein ganz anderes als heute. Ein Mann mit Kinderwagen beispielsweise war eine Seltenheit», sagt Katharina Sulzer. Jetzt seien eben die jungen Frauen an der Reihe, für ihre Forderungen einzustehen.
Trotzdem ist für Susanna Meier, Karin Wegmüller und Katharina Sulzer klar, dass sie am Freitag am Frauenstreik teilnehmen werden. Aus Solidarität. Und weil sie gespannt sind, wie die neue Generation ihre Anliegen durchbringen will.
Keine Antwort auf Petition
Auf ihre Petition, die Justitia wieder auf den Brunnensockel zu heben, haben die Frauen vom Stadtrat übrigens nie eine Antwort erhalten. Drei Jahre später, im Jahr 1994, liess die Zofingia zu ihrem 175-Jahr-Jubiläum eine Nachbildung der Justitia vor dem Rathaus aufstellen. Die dazugehörende Tafel weist die Studentenverbindung als Stifterin aus. Kein Wort, dass dies die Frauen im Rahmen des Frauenstreiks angeregt haben.
Hier finden Sie ein Interview mit Streikrednerin Caro van Leuwen und das Programm am 14. Juni
Das Zofinger Tagblatt berichtete 1991 von Veranstaltungen zum Frauenstreik in Brittnau, Oftringen und Zofingen: «Wenn Frau will, steht alles still»
Vor 28 Jahren druckte das Zofinger Tagblatt seine Seiten noch schwarz-weiss. Nur punktuell wurde etwas Farbe eingesetzt: auf der Frontseite und der letzten Seite sowie vereinzelt bei Inseraten. Bilder jedoch hatten noch keine Farbe. So kann man heute die zahlreichen pinken und lila Shirts der Frauen, die am Frauenstreik teilgenommen haben, nur erahnen.
Am 15. Juni, dem Tag nach dem Frauenstreik, wird die Kundgebung am Thut-Brunnen mit verhüllter Statue gezeigt sowie ein Begegnungstag in Brittnau mit Zmorge, Referaten und einem von Männern geführten Kinderhütedienst und die Arbeitsniederlegung der Oftringer Lehrerinnen auf dem Turnplatz Oberfeld. Mit den Lehrerinnen hatten sich spontan die Mädchen der Abschlussklassen solidarisiert.
Inserate nicht gendergerecht
Auf der Seite neben der Berichterstattung zum Frauenstreik waren zahlreiche Stelleninserate abgedruckt. Gesucht wurden Mechaniker oder Schlosser, Tiefbauzeichner oder ein kaufmännischer Angestellter für eine Treuhand-Gesellschaft. Für die Halbtagesstelle als Lohnbuchhalter/in kamen sowohl Männer als auch Frauen infrage. Ebenso war die Stelle als kaufmännische(r) Allrounder(in) für beide Geschlechter geöffnet. (lbr)