
Für die Herdenimmunität muss Gallati noch mindestens 175’000 Aargauerinnen und Aargauer von der Impfung überzeugen
Beim Impfen geht es endlich vorwärts. Im Aargau haben seit dem 7. Mai alle Personen ab 16 Jahren Zugang zur Impfung. Viele haben sich bereits im Januar oder Februar registriert und dürfen nun mit einem baldigen Impftermin rechnen.
Wer sich im Januar registriert hat, sollte das SMS noch im Mai erhalten. Wer sich im Februar registriert hat, erfährt spätestens Anfang Juni, wann er geimpft wird. Selbst wenn man sich erst im April und später registriert hat, kann man bis Ende Juni mit dem SMS mit den Terminen rechnen – vorausgesetzt, die versprochenen Impfdosen werden auch geliefert.
376’050 Impfdosen sind im Aargau eingetroffen
Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati sagte vergangene Woche, er sei zuversichtlich, dass im August die Herdenimmunität erreicht sei. Anders gesagt: Bis im August sollen 70 Prozent der Aargauerinnen und Aargauer geimpft sein.
Am Impfstoff sollte es laut Gallati nicht scheitern, wenn die versprochenen Impfdosen eintreffen. Bis jetzt hat der Aargau 376’050 Dosen erhalten. Es fällt auf, dass es von Monat zu Monat mehr werden. Alleine im April wurden 143’750 Dosen geliefert – so viele wie im Januar, Februar und März zusammen.
Im Aargau leben rund 695’000 Personen; davon sind ungefähr 550’000 bis 600’000 Personen älter als 16 und damit impfberechtigt. Um auf die 70 Prozent für die Herdenimmunität zu kommen, müssten sich rund 485’000 Personen für die Impfung entscheiden.
310’000 Personen sind geimpft oder warten auf die Impfung
Bis am Dienstagabend sind 196’012 Aargauerinnen und Aargauer mindestens einmal geimpft worden. Weitere 113’000 Personen haben sich online registriert und warten auf einen Impftermin (Stand: 19.5.2021). Fast 310’000 Personen haben sich also entweder für die Covid-Impfung entschieden, indem sie sich registriert haben, oder sie sind bereits mindestens einmal geimpft. Das sind knapp 45 Prozent der Aargauer Bevölkerung. Rund 175’000 Personen müssten sich noch für die Impfung entscheiden, um das Ziel von 70 Prozent zu erreichen.
Zwingen kann der Kanton aber niemanden. Die Impfung ist freiwillig. Auch Impfchef Andreas Obrecht sagte zur AZ, er könne nur an die Vernunft jedes einzelnen appellieren und immer wieder auf den Nutzen der Impfung hinweisen.
Die Warteliste wird noch nicht kürzer
Bereits Mitte April hat der Kanton eine Informationskampagne gestartet. In Zeitungsinseraten wird die Bevölkerung dazu aufgerufen, sich zu registrieren. Ausserdem veröffentlicht der Kanton regelmässig Videoporträts von Menschen, die für die Impfkampagne im Einsatz sind.
Ob es im Juni eine weitere Kampagne gebe, sei noch offen, teilt das Gesundheitsdepartement auf Anfrage mit. «Derzeit melden sich etwa genauso viele Leute an wie Termine vergeben werden.» Auf der Warteliste befänden sich also konstant rund 110’000 Personen. Solange das so sei, bestehe kein dringender Handlungsbedarf.
Gallati sagte letzte Woche, er gehe davon aus, dass es – je nach Impfbereitschaft – ungefähr im Juni keine Warteliste mehr geben wird. Dann braucht es möglicherweise nicht mehr neun Impfzentren. «Es ist klar, dass der Kanton Aargau zu einem gewissen Zeitpunkt die Kapazitäten wieder reduzieren muss, da die Nachfrage sinken wird», sagt das Gesundheitsdepartement.
Gleichzeitig stehe die Frage nach der dritten Impfung oder der Nachimpfung im Raum. «Die Thematik ist komplex und viele Fragen, beispielsweise betreffend Drittimpfung oder Impfzertifikat, sind auch seitens Bund noch nicht beantwortet», so der Kanton. Entsprechende Szenarien und Vorgehensweise würden derzeit erarbeitet.
Infektiologe Fux: Auch Impfskeptiker überzeugen
Damit die Herdenimmunität erreicht werden könne, sollte die Impfrate in der Bevölkerung gleichmässig verteilt sein, sagt Christoph Fux, Chef-Infektiologe am Kantonsspital Aarau (KSA). «Wenn sich 90 Prozent der über 50- Jährigen impfen lassen, aber nur 40 Prozent der Jungen, können diese so viele Fälle generieren, dass es trotzdem zum Kollaps des Gesundheitswesens kommen kann.»

Christoph Fux, Chefarzt Infektiologie und Spitalhygiene am Kantonsspital Aarau.
Umso wichtiger sei es, die Bevölkerung durch ehrliche Aufklärung für die Impfung zu gewinnen. «Ziel muss es sein, auch die Gruppen zu erreichen, welche durch viele Falschmeldungen verunsichert zu Impfskeptikern geworden sind», sagt Fux.
Dazu gehören laut dem Chef-Infektiologen Menschen mit Migrationshintergrund, welche aufgrund sprachlicher oder kultureller Barrieren bisher ungenügend aufgeklärt werden konnten, ebenso wie ideologische Pharmakritiker oder Personen, welche ungenügenden Datenschutz befürchten. Selbst in der Pflege gibt es laut dem Chefarzt teilweise noch irrationale Ängste, etwa im Zusammenhang mit einer zukünftigen Schwangerschaft. «Insgesamt haben sich die Diskussionen aber erfreulich versachlicht», sagt Fux.
Bei ansteckenderen Virusvarianten braucht es höhere Durchimpfung
Die Virusmutationen spielen fürs Erreichen der Herdenimmunität ebenfalls eine Rolle. Gehe man vom Wildtyp, dem ursprünglichen Virus, aus, reichen 70 Prozent Geimpfte aus. Mit ansteckenderen Mutanten beispielsweise aus Grossbritannien oder Indien steige der Wert aber schnell auf 80 oder gar 90 Prozent, sagt Fux.
Zudem müsse man im Hinterkopf haben, dass die mRNA-Impfungen gegen den Wildtyp eine Wirksamkeit von rund 95 Prozent haben. «Das heisst: Wenn 70 Prozent geimpft sind, sind 66,5 Prozent immun», sagt Fux. Für gewisse Mutanten sei die Wirksamkeit der Impfung tiefer. «Wir müssen deshalb verhindern, dass sich ungünstigere Mutanten bei uns verbreiten, bevor das Gros der Bevölkerung geimpft ist», sagt der Chef-Infektiologe.
Als nächstes impfen Apothekerinnen und Apotheker
Damit die Bevölkerung möglichst zügig geimpft werden kann, bieten nach den Hausarztpraxen bald auch Apotheken Impfungen an. Zudem erarbeitet das Gesundheitsdepartement Ideen, wie der Zugang zur Impfung weiter erleichtert werden kann, und analysiert, in welchen Bevölkerungsgruppen noch Potenzial besteht.
Auch in Firmen sollen Impfungen möglich werden. Der Kanton erarbeitet ein Konzept und wird informieren, sobald dieses vorliegt. Klar ist bereits, dass Impfungen in Firmen erst dann möglich sein werden, wenn ein Überangebot an Impfstoff vorhanden ist.