
Geblitzt bei 120 km/h: Nun bremsen die Bundesrichter das Aargauer Obergericht aus
Eine gemächliche Sonntagsfahrt war es nicht: Auf der Furttalstrasse in Würenlos beschleunigte der Fahrer seinen Smart an jenem Nachmittag im August 2017 auf über 120 Stundenkilometer – deutlich schneller als im 80er-Bereich erlaubt gewesen wäre. Die Folgen bekam der damals 32-Jährige kurz darauf zu spüren. Die Aargauer Staatsanwaltschaft verurteilte ihn wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln zu einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 130 Franken sowie einer Busse von 1500 Franken. Damit hätte der Fall erledigt sein können, doch der Autofahrer focht den Strafbefehl an und löste einen Rechtsstreit aus, der durch alle Instanzen führte – bis hinauf zum Bundesgericht.
Dabei fällt auf: Einigkeit herrscht nur darüber, dass der Beschuldigte für seine rasante Fahrt bestraft werden muss. Wie hoch jedoch die bedingte Geldstrafe sowie die Busse ausfallen sollen, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Das Bezirksgericht Baden hielt die von der Staatsanwaltschaft ausgesprochene Strafe für zu hoch – und reduzierte sie deutlich. Die Busse belief sich nur noch auf 400 Franken, weniger als einen Drittel des ursprünglichen Betrags. Und auch die bedingte Geldstrafe fiel mit 20 Tagessätzen zu 110 Franken tiefer aus. Die Einsprache schien sich für den Autofahrer auszubezahlen
Verwechslung oder Schutzbehauptung?
Mit dem milderen Urteil war jedoch die Staatsanwaltschaft nicht einverstanden, sie legte beim Aargauer Obergericht Berufung ein. Und die Forderung nach einer Verschärfung der Sanktion fand Gehör: Die Oberrichter gingen gar über den staatsanwaltschaftlichen Antrag hinaus und erhöhten die bedingte Geldstrafe auf 100 Tagessätze zu 140 Franken sowie die Busse auf 2000 Franken. Die Zwischenbilanz: Drei Entscheide, drei verschieden hohe Strafen. Und dabei blieb es nicht.
Der Beschuldigte, der von Beruf Chauffeur ist, zog den Entscheid weiter ans Bundesgericht. Er akzeptiert zwar die Verurteilung wegen einer groben Verkehrsregelverletzung, weist aber den Vorwurf zurück, andere Verkehrsteilnehmer eventualvorsätzlich gefährdet zu haben. Die massive Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit führt er auf eine Verwechslung zurück: Er sei davon ausgegangen, auf einer Autostrasse zu fahren, weshalb er von erlaubten 100 Stundenkilometern ausgegangen sei. Für die oberste Instanz des Landes – wie zuvor bereits für das Obergericht – steht fest: Dabei handelt es sich um eine Schutzbehauptung. Der Smart-Fahrer hat nach Ansicht der Bundesrichter eine schwere Gefährdung der anderen Verkehrsteilnehmer in Kauf genommen. In dieser Hinsicht wird seine Beschwerde abgewiesen.
Deutlich höhere Strafe als empfohlen
Mehr Erfolg ist dem Beschuldigten mit seiner Kritik an der Strafzumessung durch das Obergericht beschieden, wonach dieses bei der Festlegung der Geldstrafe sein Ermessen überschritten habe. Das Bundesgericht teilt diese Einschätzung, wie das am Mittwoch veröffentlichte Urteil zeigt. Darin verweist die oberste Instanz auf die Empfehlungen der Schweizerischen Staatsanwälte-Konferenz, die als Orientierungshilfe dienen sowie zu möglichst rechtsgleicher Behandlung von Temposündern führen sollen – und an die sich die Vorinstanz nicht gehalten hat.
Die sogenannte Einsatzstrafe, von der die Gerichte jeweils ausgehen, um zum konkreten Strafmass zu gelangen, ist doppelt so hoch ausgefallen wie empfohlen und wie von der Aargauer Staatsanwaltschaft im konkreten Fall gefordert. Eine Begründung für einen solch hohen Ansatz fehle im obergerichtlichen Urteil, befinden die Bundesrichter und fügen an: «Es sind denn auch keine besonderen Umstände und kein Grund hierfür ersichtlich.»
Ihr Unverständnis über das Vorgehen der Vorinstanz bei der Festlegung der Einsatzstrafe, die unter anderem wegen fehlenden Vorstrafen noch um 20 auf 100 Tagessätze reduziert worden ist, wird im Bundesgerichtsentscheid deutlich: «Widersprüchlich» und «nicht nachvollziehbar», lautet die Kritik. Die Beschwerde des Autofahrers wird teilweise gutgeheissen, der Fall geht zurück an das Obergericht, das eine mildere Strafe fällen muss.
Bundesgerichtsurteil 6B_510/ 2019 vom 8. August 2019