Gebt ihnen Brot und (Geister)spiele? – MIT AUDIO

Pascal Kamber: Es ist unglaublich: Selbst während einer Pandemie schafft es König Fussball, die Schlagzeilen zu beherrschen. Alles dreht sich um die Frage, ob die Meisterschaft abgebrochen oder mit Geisterspielen zu Ende geführt werden soll. Ich finde die Diskussion müssig. In allen anderen Sportarten in der Schweiz mit Profi-Status wurde die Saison schon frühzeitig abgebrochen. Da sollte das doch auch den Fussballern gelingen. Der finanzielle Schaden ist ohnehin schon gross genug, daran ändern auch ein paar Spiele ohne Zuschauer nichts mehr.

Michael Wyss: Der finanzielle Schaden wird definitiv immens, für einige Vereine, die in den letzten Jahren nicht gut gearbeitet haben und immer von der Hand in den Mund lebten, wird es sogar existenzbedrohend. Und obwohl Geisterspiele auch etwas kosten, erwarte ich nicht, dass die Organisation von Partien ohne Zuschauer an dieser Situation etwas markant verschlimmern würde. Im Gegenteil, vielleicht ist es auch eine Chance für den Fussball, wenn er noch mehr – und ganz alleine – im Rampenlicht steht als sowieso schon.

Pka: Wie sollen Geisterspiele dem Fussball dienen, wenn ihm dadurch ein wichtiges Element weggenommen wird? Fehlen die Zuschauer, bleiben die Emotionen aus. Das vermögen auch Fangesänge ab Tonband, wie von einigen Klubs vorgeschlagen, nicht zu kaschieren. Ausserdem frage ich mich: Für wen spielen die Fussballer eigentlich – für ihr Konto oder für die Fans? Der einzige, der von einem leeren Stadion profitiert, ist wahrscheinlich der Schiedsrichter. Sind die Emotionen raus, bleibt den Kickern nichts anderes übrig, als sich auf das Spiel zu konzentrieren.

Mwy: Natürlich wäre alles emotionaler, aber ein «richtiger» Fan muss nicht unbedingt im Stadion sein, um seinen Herzensverein zu unterstützen. Die Idee, möglichst viele Spiele gratis im nationalen oder regionalen Fernsehen oder in Livestreams zu übertragen, finde ich gar nicht so schlecht. Dann hätten einige Anhänger sogar noch einen kleinen «Mehrwert» gegenüber «normalen» Zeiten. Ausserdem – und das finde ich speziell schön – ist die Chance deutlich kleiner, dass diese unsäglichen und sich häufenden Ausschreitungen der Chaoten den sportlichen Wettkampf in den Hintergrund drücken.

Pka: In punkto Chaoten gebe ich dir recht. Wer aber garantiert, dass die Fans bei Geisterspielen zuhause bleiben und sich nicht trotzdem vor dem Stadion versammeln? Ausserdem schlägt ein Besuch im Stadion das Erlebnis «Fussballspiel» vor dem TV um Längen. Mein Vorschlag an die Herren der Fifa, Uefa und Co.: Beendet die Meisterschaften jetzt, lasst den Fussball bis nächsten Frühling ruhen und startet dann die neue Saison. Die Lage hat sich bis dahin hoffentlich beruhigt und mit einer Jahresmeisterschaft hätte man den idealen Rhythmus für die WM 2022 in Katar, die bekanntlich im Winter stattfindet, gefunden.

Mwy: Dein Vorschlag in Ehren, aber als ehemaliger Sportler muss ich dir widersprechen. Bei all diesen Diskussionen darf nicht vergessen werden, um wen es in erster Linie gehen sollte: Um die Sportler. Klar, viele verdienen viel Geld, aber auch das entschädigt nicht dafür, sich nicht messen zu können. Training ist schön und gut, aber als Sportlerin oder Sportler suche ich den Wettkampf.

Pka: Mag sein, aber in einer solchen Krise sind andere Dinge relevanter für das System als der Fussball. Dieser bleibt nun mal die schönste Nebensache der Welt.

Mwy: Dem ist definitiv so. Aber ein bisschen Ablenkung in einer Zeit, in der es wenig gute und vor allem schlechte Neuigkeiten zu verdauen gibt, tut gut. Einfach einmal 90 Minuten alles andere vergessen und sich über eine Nebensache freuen oder ärgern.