Gedanken zu Karfreitag: Die Täter kommen nicht davon

Wenn wir an die Weihnachtsgeschichte, an den Anfang vom Leben von Jesus Christus denken, dann denken wir: Was für ein Start für Jesus! Er wurde unter dem richtigen Stern geboren, ein himmlischer Engelchor am Himmel zur Begrüssung auf der Erde. Und danach der Lebensweg, den er nachher hatte: Die Menschen hingen an seinen Lippen. Er sagte ungewöhnliche Worte, die bis heute nachwirken. Er spielte sogar «Mensa»: kaltes Buffet mit Fisch und Baguette für 5000 Leute mit Anhang. Er konnte die Massen bezaubern, die er nicht nur mit Brot ernährte, sondern auch ihre Herzen berührte. Sie sagten: Das ist einfach göttlich! Wenn er kommt, das ist eine himmlische Erfahrung. Er hat ein Herz für die kleinen Leute und heilte die Kranken. Und dann zog er fast triumphierend in die Hauptstadt. Die Herzen flogen ihm zu. Was für ein Start!

Folter, Demütigung, Entehrung – für was das alles?

Und nachher das Ende am Karfreitag! Verhaftung und ein sehr kurzer Prozess. Falsche Zeugen, Folter, Demütigung, Entehrung. Jesus kroch buchstäblich zu seiner eigenen Kreuzigung. Für was das alles? Jemand fragte einmal, warum eigentlich James Bond immer überlebt, obwohl ihm dauernd die Kugeln um die Ohren fliegen. Die Antwort ist: Er kennt den Regisseur. Das ist sehr vorteilig, oder? Jetzt sagte auch Jesus, dass er seinen «Regisseur», also seinen Vater im Himmel, kennt. Aber was nützte ihm das? Kurz vor seinem Tod, in einem Garten bei Jerusalem, muss er erkennen: Der höchste Regisseur wird diesen Kelch nicht an ihm vorbeigehen lassen. Es soll so sein – aber warum?

Was fangen wir jetzt mit dieser Geschichte an? Wieso ist das Kreuz das Symbol für das Christentum? Ein Herz, ein rotes und pralles Herz, das wäre doch viel schöner, oder?

Manchmal ist es am einfachsten, sich Auskunft bei dem zu suchen, um den es geht. Jesus wusste ja, was auf ihn zukommt. Er erlebte von Tag zu Tag mehr Widerstand. Für die religiösen Führer war seine Grosszügigkeit und Herzensweite unerträglich, sein Anspruch, ein Gottesmensch zu sein, betrachteten sie als Gotteslästerung. Jesus wusste, dass das nicht gut gehen kann. Darum sagte er schon im Voraus seinen Jüngern: «Ich werde nach Jerusalem gehen und leiden und sterben. Ich werde den Tod besiegen, aber vorher werde ich leiden und sterben.» Ostern wird sein grosses Comeback sein, aber vorher geht es in die Gruft. Er wollte sagen: «Für das bin ich überhaupt gekommen, damit es genau so passiert. Es muss so geschehen. Das ist nicht ein furchtbares Versehen. Hier übernehmen nicht dunkle Mächte das Kommando. Hier müsst ihr eine höhere Regie erkennen.» Jesus sagt: «Jedes Menschenleben wird sich vor Gott verantworten müssen. Da werden die Bücher aufgemacht. Das heisst übrigens auch: Die Täter kommen nicht davon, die Opfer bleiben nicht ungesühnt.» Das ist ein tröstlicher Gedanke. Weniger tröstlich ist die Frage, wie wir dann bestehen werden in diesem Gericht vor dem Schöpfer von Himmel und Erde. Jesus sagt: «Das geht nur, wenn ein anderer trägt, was ihr tragen müsstet. Das geht nur, wenn ein anderer an eure Stelle tritt und den Schuldspruch auf sich nimmt.» Darum sagt Jesus: «Da will ich an deiner Stelle treten, da will ich deinen Platz einnehmen.» Wir hätten unser Leben verwirkt, wenn nicht ein anderer sein Leben für uns geopfert hätte. Das ist der tiefe Sinn vom Sterben von Jesus an diesem Kreuz vor den Toren von Jerusalem. Jesus, der Mensch, der göttlich ist, sodass es jeder spüren konnte, der ihn getroffen hat, dieser Jesus nahm unser Todesurteil auf sich, sodass wir frei werden.

Von Karfreitag können wir drei Dinge lernen

1. Das Kreuz mit diesem Mann aus Nazareth, der dort so elend stirbt, sagt: Gott kann leiden. Er ist nicht der Gott von den Philosophen, der über der Erde thront, unberührt von unserem Schmerz, ohne ein Lächeln über unsere Freude. Nein, er ist nicht der apathische Weltenlenker, unbewegter Beweger, gefühlsloser Herrscher, kaltherziger Richter. Jesus am Kreuz – da ist Gott, gebeugt unter unserem Schmerz, gequält von unserem Versagen, hineingestossen in die schlimmste Gottesferne. Am Kreuz geht Gott durch die Hölle. Er kann leiden. Kann er aber leiden, dann ist er vor allem derjenige Gott, der mit uns mitfühlt und dessen Herz zerreisst, wenn er an unsere Not denkt. Wenn wir ganz unten sind, dann ist er nicht ganz oben, sondern direkt neben uns.

2. Gott kann mich leiden. Wenn mich jemand leiden kann, dann ist das mehr als mich gern haben. Jemanden gern zu haben, weil er so liebenswert ist, das ist leicht. Das ist keine Kunst. Tiefer geht es, wenn wir sagen: Ich kann dich leiden. Dann sagen wir: Und wenn ich Schmerzen davon trage, auch wenn du mich enttäuschen wirst, ich kann dich leiden. Wenn Liebe enttäuscht wird, muss sie wählen: Sie muss sich zurückziehen oder sie geratet ins Leiden. Jesus am Kreuz sagt: Ich kann dich leiden. Auch wenn du mich bis jetzt nicht beachtet hast. Auch wenn so viel schief lief.

3. Gott kann für mich leiden. Wo ist dann jetzt die Gnade? Woher kommt die Erlösung von unserem Schmerz, von unserem traurigen Schicksal, von unserer Gebrechlichkeit, von unserer Schuld, von unserer Todesfurcht? «Geh zum Kreuz», sagt Jesus, «schau es dir an.» Was da passiert ist, machte er für uns. Und hätte es auf der ganzen Erde nur dich gegeben, er hätte es gemacht. Da hat er alles hingeschleppt. Jesus sagt: «Komm und nimm. Ich kann für dich leiden. Hier kriechst du nicht zum Kreuz, hier bekommst du einen festen Stand. Hier sollst du aufatmen und leben, geborgen sein mit deinem schweren Schicksal, losgekettet von deiner Schuld und frei, das Leben neu anzupacken, mutig und zuversichtlich, weil auch der Tod nicht mehr das letzte Wort haben darf.» Das ist die Botschaft von Karfreitag.