
Gedanken zu Palmsonntag: Der König auf dem Esel
Vor 2000 Jahren zog Jesus auf einem Eselfüllen in Jerusalem ein. Die Geschichte ereignet sich kurz vor dem jüdischen Passahfest, und viele Pilger sind auf dem Weg nach Jerusalem. Einige von ihnen haben schon von Jesus und seinen Wundertaten gehört. Könnte er der versprochene Messias sein, der Retter ihres Volkes?
Die Juden zur Zeit Jesu warten seit Jahrhunderten auf den Messias, den Gesalbten. Die Salbung bezieht sich auf Könige, die bei ihrer Einsetzung in ihr Amt mit Öl gesalbt wurden. Als bedeutendster und bekanntester König in der Geschichte Israels und Judas galt David, dem Gott versprochen hatte, dass er einen Nachkommen haben würde, dessen Reich und Macht seine noch übertreffen würde. Auf diesen «Sohn» Davids warteten die Juden nun. Er würde das Reich seines Vaters wiederherstellen und als gerechter König herrschen.
Zur Zeit des Neuen Testamentes war das Land der Juden von den Römern besetzt. Jesus und seine Zeitgenossen litten unter der römischen Herrschaft, die ihnen Abgaben auferlegte und einen Marionettenkönig vorsetzte, der seiner Abstammung nach kein Jude war. Deshalb sehnten sie sich nach dem Messias – in ihrer Vorstellung ein politischer und militärischer Führer, der das Volk Israel von der Unterdrückung der Fremdherrschaft befreien sollte. Dieser Erlöser würde ein echter König sein!
Bis jetzt hatte sich Jesus nicht wie ein König oder militärischer Führer aufgeführt. Er war als Wanderprediger und Heiler bekannt, der die geltenden religiösen Konventionen hinterfragte. Am Palmsonntag jedoch reitet er wie ein König auf Jerusalem zu und lässt sich vom Volk als Davidssohn bejubeln.
Doch im Gegensatz zu römischen Feldherren kommt Jesus nicht hoch zu Pferd geritten, sondern auf einem niederen Esel. Er kommt im Frieden, nicht um Krieg zu führen.
Die Szene erinnert die Zuschauer an eine Aussage des Propheten Sacharja: «Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.» (Sacharja 9,9)
Ja, Jesus kommt als König, als Sohn Davids, aber er wird die Erwartungen des Volkes und seiner Jünger nicht erfüllen. Sein Reich ist nicht von dieser Welt und sein Königtum bedeutet nicht Krieg und Unterdrückung, sondern Frieden und Liebe. Ein König will bedient werden, doch Jesus wäscht seinen Jüngern die Füsse, dient den Menschen und hilft ihnen, dass sie den Weg zurückfinden zu Gott. Er befreit sein Volk nicht von der römischen Herrschaft, sondern von der Macht des Bösen, der Sünde und des Todes.
Der Einzug nach Jerusalem ist für Jesus nicht der Beginn seines politischen Triumphs, sondern der erste Schritt auf dem Weg in die Dunkelheit des Leidens und Todes. Jesus weiss, was ihn erwartet, dass nämlich die Jubelrufe des Volkes bald in den Schrei «Kreuzige ihn!» umschlagen werden. Doch er geht den Weg des dienenden Königs, der sein Leben für die Menschen gibt.
Indem er am Kreuz stirbt, legt er sich mit dem Tod an, und in seiner Auferstehung besiegt er ihn. Indem er die Schuld der Menschheit am Kreuz auf sich nimmt, durchbricht er die Mauer, die wir Menschen zwischen uns und Gott aufgebaut haben. Er schlägt eine Brücke hin zu Gott und schafft Frieden und Versöhnung zwischen Gott und uns, sodass wir Vergebung finden und wieder in Beziehung treten können zu ihm.
Jesus kommt am Palmsonntag nicht auf dem hohen Ross daher und bringt auch kein politisches oder militärisches Königreich. Der demütige und dienende König auf dem Esel schenkt uns in seinem Leiden und Auferstehen ein neues Leben in der Beziehung zu Gott, in dem wir versöhnt leben mit ihm und mit andern.
Am Palmsonntag sind wir jedes Jahr daran erinnert, dass Gott nicht mit grossartiger Geste zu uns kommt, sondern mit einer bescheidenen Einladung zu einem Leben mit ihm. Lassen wir doch Jesus mit seiner Einladung auch bei uns einziehen.