
Gegengift zu «Fake News»
Chefredaktor Philippe Pfister über den Umgang der Gesellschaft mit ihrer Geschichte.
Die alten Eidgenossen gehörten zu den Helden meiner frühen Jugend. Nachts kroch ich mit SJW-Heften unter die Decke, um die Erzählungen über den Befreiungskampf unserer Vorfahren gegen die Habsburger zu verschlingen. Später entpuppte sich vieles von dem, was ich gelesen hatte, als mythisch eingefärbt. Geprägt hatte mich diese Art von Geschichtsschreibung trotzdem.
Die Frage, wie viel und welche Geschichte in der Schule zur Sprache kommen soll, ist Dauerbrenner. Jüngstes Beispiel im Kanton Aargau war die heftige Auseinandersetzung um die gescheiterte Volksinitiative «Ja zu einer guten Bildung – Nein zum Lehrplan 21». Die Initianten befürchten unter anderem, der Geschichtsunterricht könnte unter die Räder kommen – ob das zutrifft, wird sich in den nächsten Jahren weisen.
Wenn es zutrifft, könnten die Folgen verheerend sein. Es ist massgeblich der Geschichtsunterricht, der den Schüler zum späteren Bürger macht. Er lernt, mit historischen Quellen kritisch umzugehen, Fakten von Vermutungen zu trennen und Muster zu erkennen. Er lernt, dass eine liberal-demokratische Ordnung nicht vom Himmel gefallen ist und schon gar nicht für alle Ewigkeit garantiert ist. Ein historisch geschärfter Geist stellt Fragen – und lässt sich nicht so einfach manipulieren. Historische Bildung ist das Gegengift zu den «Fake News», die gerade den Globus überschwemmen, sagt auch Peter Gautschi, Professor für Geschichtsdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Luzern.
Von diesem Gegengift können wir in nächster Zeit wohl noch eine ordentliche Dosis vertragen. In einer Welt, in der die populistische Rhetorik lauter wird und sogar der US-Präsident es mit den Fakten nicht so genau nimmt, ist guter und genug Geschichtsunterricht ein wichtiges Investment in die Zukunft. Halbwahrheiten, gezielte Desinformation und bösartige Unterstellungen können – lange genug wiederholt– Gesellschaften regelrecht in Geiselhaft nehmen. Das hat uns die Geschichte gelehrt.
Allerdings ist auch das Gegenteil möglich – falls genug Köpfe Widerstand leisten. Auch das lehrt uns die Geschichte immer wieder.
Philippe Pfister weilt zurzeit in Berkeley, Kalifornien, wo er eine Weiterbildung absolviert.