
Geht den Corona-Demos der Schnauf aus? Diesen Samstag setzen Massnahmengegner auf Guerilla-Taktik
Der Höhepunkt der Proteste war am 20. März. Selbst eingefleischte Coronaskeptiker staunten, dass in Liestal rund 8000 Personen durch die Hauptstadt des Kantons Baselland marschierten.
Seither sind die Teilnehmerzahlen der Proteste zurückgegangen. In Altdorf kamen 500, in Schaffhausen 1000 Personen. Immerhin 4000 Demonstranten versammelten sich am 27. April in Rapperswil. Am letzten Samstag waren es in Aarau dann noch 1500 Personen.
Weniger Teilnehmer an Coronademonstrationen
Für den Rückgang dürften zwei Faktoren bestimmend sein: die Lockerung der Massnahmen, wie etwa die Öffnung der Terrassen – und die höheren Hindernisse, welche die Sicherheitsbehörden für Demonstrationen beschlossen.
Das Feindbild kommt abhanden
Der Bundesrat öffnete auf den 1. März Läden, Museen und Bibliotheken und beschloss Lockerungen für Jugendliche. Seit dem 19. April sind ein Teil der Einschränkungen für Sportstadien, Kinos und Theater gelockert sowie die Terrassen der Beizen geöffnet.
Diesen Mittwoch stellte der Bundesrat zudem die Öffnung der Innenräume von Restaurants und die Zulassung grösserer Treffen für Ende Mai in Aussicht. Es gibt also je länger je weniger Massnahmen, an denen potenzielle Demonstranten Anstoss nehmen könnten.
Allerdings beteuern Massnahmengegner, dass sie weitermachen wollen, sogar wenn alle Massnahmen weg sind. Ihnen geht es ums Prinzip, wie die 23-jährige Studentin Anna Müller von der Bewegung «Mass-Voll» sagt:
«Unser Ziel ist erst erreicht, wenn alle Zwangsmassnahmen aufgehoben sind und eine Wiederholung unmöglich geworden ist. Bevor dieses Ziel erreicht wird, werden wir nicht aufhören, uns für unsere Rechte einzusetzen.»
Das Interesse an der Bewegung habe nicht abgenommen, beteuert sie und beziffert die Anzahl Sympathisanten auf mittlerweile 8000 Personen.
Anzeigen gegen den Kopf von «Mass-Voll»
In Liestal liessen sich die Behörden überrumpeln. Die Kundgebung war bewilligt. An die Auflage des Maskentragens hielten sich dann aber nur wenige Personen. Als Folge davon bewilligten die Kantone Uri und St. Gallen die Kundgebung in Altdorf und Rapperswil nicht mehr. Schaffhausen zog eine Bewilligung zurück.
In Aarau konnten die Freiheitstrychler, die sonst für ihre Auftritte mit Kuhglocken gefeiert werden, ihre Instrumente nicht einmal mehr aus dem Bus ausladen. Offenbar wurden sie von der Polizei daran gehindert.

Zeigt sich gelassen trotz Anzeigen: Nicolas A. Rimoldi von der Bewegung «Mass-Voll».
Nicolas A. Rimoldi, der Kopf der Jugendgruppe «Mass-Voll», wurde zudem vom Luzerner Juristen Loris Mainardi nach der Demonstration in Aarau angezeigt. Mainardi hat ähnliche Anzeigen bereits früher in den Kantonen Baselland und Graubünden eingereicht. Rimoldi nimmt die Sache «gelassen» wie er auf Anfrage sagt.
Die Angst vor den Städten Zürich und Bern
Bussen und Wegweisungen – oder nur schon die Drohung damit – dürften dennoch ihre Wirkung entfaltet haben. Die Teilnehmerzahlen waren an den letzten Demonstrationen deutlich tiefer als in Liestal.
Die 19-jährige Tosca Buser von «Mass-Voll» beteuert, dass die Bewegung weiterhin wachse, gesteht aber auch ein, dass die Demonstrationsverbote viele abgeschreckt hätten. Sie bezeichnet die Verbote als «illegal» und «illegitim».
In den Telegram-Chats von anderen Gruppen der Massnahmengegner schlägt sich eine gewisse Verunsicherung nieder. Fieberhaft diskutieren sie über eine weitere Demonstration am 15. Mai. Jemand schreibt dazu:
«Vergesst bitte am 15. Mai Bern. Das endet sonst für uns friedlichen, Freiheit und Demokratie Liebenden im Chaos.»
Auch vor Zürich, wo die Stadtpolizei ein besonders strenges Regime gegen Demonstrationen fährt, haben die Massnahmengegner Respekt. Zwar wurde im Chat für den Samstag eine Demonstration für Zürich angekündigt.

In diesem Gebiet wollen die Massnahmengegner am Samstag demonstrieren.
Allerdings war lange unklar, ob die Stadt oder der Kanton gemeint ist. Ein Kartenausschnitt, der auf den Kundgebungsort hinweisen soll, zeigt zudem ein grosses Gebiet, in dem auch die Städte Olten, Aarau, Baden und Zug liegen. Mehr Informationen werden für Freitag in Aussicht gestellt. Ein Chat-Mitglied schreibt:
«Nach Altdorf und Aarau ist es wohl besser die Polizei nicht zu früh über unsere Pläne zu informieren.»
Dazu stellt er ein zwinkerndes Smiley und schreibt: «Guerilla-Taktik».
Bei den Polizeikorps von Stadt und Kanton Zürich gibt man sich bedeckt, wie man auf eine Demonstration reagiere. Man sei aber vorbereitet.
Am Freitag veröffentlichen Massnahmengegner ein Mobilisierungsvideo, in dem sie konkreter werden. Sie stellen mit ironischem Unterton Spaziergänge um 13.30 Uhr bei der Saffa-Insel am See, am Hirschenplatz, am Platzspitz oder beim Albisgüetli in Aussicht. Im Aufruf heisst es:
«Liebe Freunde der gepflegten Tourismusbranche für einsame Städte. Morgen Samstag sehen wir uns zum gemeinsamen Spaziergang.»
Ein Sprecher der Stadtpolizei Zürich sagt auf Anfrage, man habe Kenntnis von dem Aufruf, wolle aber «aus taktischen Gründen» keine weiteren Angaben machen.
Auch für die Stadt Bern existieren Aufrufe, was zu Diskussionen führt. Einige Chat-Teilnehmer befürchten eine Aufsplitterung der Kräfte.
Aggressivität steigt
Parallel zur Abnahme der Teilnehmer lässt sich eine Zunahme von Aggressivität beobachten. In Aarau soll ein Demonstrant einem Polizisten einen Kopfstoss verpasst haben. Ein anderer soll von Sympathisanten aus der Umzingelung durch Polizisten befreit worden sein.