
Gott interessiert sich nicht fürs Detail
Das Glück ist schwer zu fassen und will man es erhaschen, will es einen oft nicht lassen. Sandra Kreisler, Sängerin mit Chuzpe, und Roger Stein, Pianist und Songwriter scharfzüngiger Texte, sprengen die Kleine Bühne Zofingen mit einer Fülle von Worten. «Wortfront» nennt sich das nicht nur künstlerisch, sondern auch privat liierte Duo. Frontal und zupackend sind seine Lieder. Während es im Intro dem Bärlauch jahreszeitengerecht und a cappella noch eher harmlos an den Kragen geht, scheint im zweiten Lied dann das Grundthema des Abends auf. «Es gibt so vieles, was man sollte, und so wenig was man will», heisst es da im Refrain. Das Private ist in Beugehaft geraten, Roger Stein erfindet sich in einem Lied ein alter Ego, das ganz wesensfremde Dinge bestellt, liked und kommentiert, damit Google und Co. seiner Persönlichkeit nicht auf die Spur kommen. Nur, um dann am Ende ein erschreckendes Fazit zu ziehen: dass er nämlich durch sein Verhalten zur gefährlichen und deswegen besonders überwachungswürdigen Person geworden ist.
Teuer verkaufte Überzeugungen
Auch die Opfer, die dem vermeintlichen Glück dargebracht werden, werden in die dialektische Zange genommen. «Da kam wohl etwas dazwischen, wie es halt so geht, nur der Wind hat ein wenig gedreht», heisst es in einem Lied, das die Talente und hehren Absichten der Jugend an dem misst, was die einzelnen später dem materiellen Fortkommen opfern. Doch: Der Wind kann ja immer wieder mal drehen, aus der selbst gewählten Befangenheiten lässt sich jederzeit ausbrechen. Warum denn auch nicht?
Am stärksten sind die Lieder, die Entwicklungen in sich tragen, mit pointierten Wendungen überraschen und mit perlend poetischen Klängen untermalt sind. Sie lassen den Gedanken und Eindrücken Raum. Dafür liefern die beiden Beispiele genug. Das bestens aufeinander eingespielte Duo liebäugelt gekonnt mit Chanson und Kabarett. Mit Lust und unbeschwerter Leichtigkeit bieten die beiden Klavierspiel und Gesang mit Niveau. Da verzeiht man auch gerne die eine oder andere weniger gelungene Nummer. So wirken einzelne programmatischen, mit drängenden Rhythmen unterstrichene Texte, etwas zu plakativ. Die schnellen Wortsalven drohen mitunter zu implodieren.
Dichterische Nachtstücke
Genug oft findet man sich dann aber auch in Pointen wieder, die sich wie ein Gutenachtbussi anschleichen. Das gilt nicht nur für Musik und Gesang, sondern auch für die wenigen ausschliesslich dichterischen Nachtstücke. Hypnotisch ist zum Beispiel der Text, mit dem Roger Stein seinem Grossvater, der einst kriegsversehrte Pferde aufpäppelte und damit ein Vermögen machte, auf den Zahn fühlt. Lustvoll adeln die beiden dann auch noch das Grillen – in der Schweiz nennt es sich Grillieren – indem sie Schiller und Goethe in einen Wettstreit um die brutzelnde Wurst schicken. Selbstverständlich mithilfe eines Vexierspiels von Zitaten aus deren Werk.
«Können Sie denn nur kritisch sein, mein lieber Roger Stein?», fragte einst ein Zuhörer. Kann er schon, schildert in einem Lied ein wunderbares Familienidyll. Es wäre gar gelungen, wenn sich der Papi nicht plötzlich in einen Mann verlieben würde, was Stein nur notdürftig mit einem Happy End zu retten vermag. Manchmal geht es eben nur ums Prinzip, auch wenn man dabei einen in den Fluss Gefallenen ertrinken lassen muss, weil sich die fundierte Reflexion die helfende Tat ausbremst.
Was man sich gönnt
«Wortfront» respektive Sandra Kreisler und Roger Stein gestalten an diesem Abend einen bunten Strauss an Besinnlichem und Dringlichen zum Lebensglück. Da ist viel Anregung drin, die hängen bleibt. Auch im letzten Stück, das von Schicksalsschlägen Betroffene im Auge hat: «Und deshalb verliert sich das Wenn und Weil, denn Gott interessiert sich nicht fürs Detail.» Wenn so ungewiss ist, dass man Dinge überhaupt nachholen kann, könnte man ja auch öfter mal was vorholen.