Grippeimpfstoff droht knapp zu werden – und der Bund korrigiert seine Ziele

Ausverkauft: Der Lieferstatus für den Grippeimpfstoff Fluarix Tetra ist rot!

650’000 Dosen hat das britische Pharmaunternehmen GlaxoSmithKline für die Schweiz eingeplant. Diese wurden bei einer Vorbestellaktion im Frühjahr verkauft und werden nun ab Oktober ausgeliefert. Zusätzliche Dosen kann der Pharmakonzern nicht zur Verfügung stellen.

Der Bund hat sein Ziel korrigiert

Nebst Fluarix Tetra ist derzeit in der Schweiz für die Grippesaison 2020/2021 ein zweiter Impfstoff zugelassen, Vaxigrip Tetra vom französischen Konzern Sanofi. Insgesamt sind gemäss Bundesamt für Gesundheit (BAG) damit 1,2 Millionen Dosen gesichert, gleich viel wie in früheren Jahren. Das dürfte aber diesmal nicht ausreichen. Das BAG möchte im Vergleich zu normalen Jahren einen doppelt so hohen Anteil der Bevölkerung impfen, hiess es im Juni. Damit soll das Gesundheitssystem entlastet werden, um mehr Kapazität für Covid-19 zu haben. Inzwischen hat der Bund sein Ziel aber nach unten korrigiert, nun sollen noch die Hälfte mehr als üblich geimpft werden. Dazu wären 1,8 Millionen Impfdosen nötig, es fehlen also noch 600’000. Selbst von den bislang gesicherten 1,2 Millionen Dosen wird ein Teil erst im Dezember bereitstehen.

Das BAG kann in Sachen Verhandlungen für Impfstoffe keine Fortschritte bekannt geben.

Das BAG kann in Sachen Verhandlungen für Impfstoffe keine Fortschritte bekannt geben. © Getty Images

Die Impfstoffproduktion dauert mehrere Monate

Das Problem ist, dass die Herstellung von Impfstoffen viel Zeit braucht. Die Produktion des Grippeimpfstoffes inklusive Abfüllen und Qualitätskontrolle dauere bis zur Freigabe mehrere Monate, heisst es bei Glaxo­SmithKline. «Die Produktionsvolumina werden deshalb über ein Jahr im Voraus geplant. Alle produzierten Dosen sind bereits auf die verschiedenen Ländern in Europa zugeteilt worden, sodass keine restlichen Dosen zur Verfügung stehen, welche für eine Nachlieferung an die Schweiz eingesetzt werden könnten.»

Das BAG sei in Verhandlungen, um den zusätzlichen Impfstoff zu besorgen, schrieb die NZZ im Juni. Drei Monate später sind keine Fortschritte zu vermelden. Das BAG antwortet auf Anfrage von CH Media:

Viel Zeit bleibt nicht. Die Impfung wird laut BAG idealerweise zwischen Mitte Oktober und dem Beginn der Grippewelle durchgeführt, wobei die Grippewelle meist im Januar beginne. Vor drei Jahren erreichten die Grippeinfektionen aber bereits in der Woche vor Weihnachten das Ausmass einer Epidemie. Die Impfung sollte demnach spätestens Anfang Dezember durchgeführt werden, da ihre Wirkung erst nach zwei Wochen eintritt.

Symptome kaum von Covid-19 unterscheidbar

Im Vergleich zu anderen Impfungen ist die Wirksamkeit der Grippeimpfung tief. Die Erreger sind von Jahr zu Jahr unterschiedlich, der Impfstoff muss jeweils Monate vor Beginn der Grippewelle auf die zu erwartenden Erreger angepasst werden. Das BAG gibt die Wirksamkeit mit 20 bis 80 Prozent an.

Ältere Menschen zählen zur Risikogruppe. (Symbolbild)

Ältere Menschen zählen zur Risikogruppe. (Symbolbild) © Getty Images

Bei älteren Menschen ist sie noch tiefer. Gerade diese zählen aber zur Risikogruppe. Empfohlen wird die Impfung für Menschen ab 65, Personen mit gewissen chronischen Erkrankungen, Schwangere sowie Frühgeborene ab dem Alter von sechs Monaten für die ersten zwei Winter. Zudem möchte der Bund all jene impfen lassen, die mit Personen aus der Risikogruppe regelmässigen Kontakt haben – darunter auch Kinder ab sechs Monaten, die regelmässig von den Grosseltern gehütet werden.

Praxen, Notfallstationen und Labors vor Überlastung?

Die Empfehlungen des Bundes sind dieselben wie in früheren Jahren, jedoch werden sie dieses Jahr offensiver kommuniziert. Denn die typischen Grippesymptome sind beinahe identisch mit denen von Covid-19: Fieber, Gliederschmerzen, trockener Husten. Sollten nun gleichzeitig eine Grippe- und eine neue Coronawelle über die Schweiz rollen, könnte das zu einem Ansturm auf medizinische Praxen, Notfallstationen und Labors führen, der kaum mehr zu bewältigen wäre.

 
Die Hoffnunf besteht, dass die Grippe in diesem Jahr nicht so hart zuschlägt. (Symbolbild)

Die Hoffnung besteht, dass die Grippe in diesem Jahr nicht so hart zuschlägt. (Symbolbild) © Getty Images

Allerdings besteht Hoffnung, dass die Grippe diesmal nicht mit gewohnter Härte zuschlägt. Denn die Verbreitung der Grippeviren wird mit denselben Massnahmen eingedämmt wie die neuen Coronaviren. Wenn sich Menschen öfter und gründlicher die Hände waschen, Masken tragen, Abstand zueinander halten und bei Husten zu Hause bleiben, machen sie es auch der Grippe schwer.

Die Weltgesundheitsorganisation schrieb vergangene Woche: «Weltweit wird eine tiefere Grippeaktivität gemeldet, als für diese Jahreszeit zu erwarten wäre.»

In Australien, Neuseeland, Südafrika und weiten Teilen Südamerikas, wo der Winter nun zu Ende geht, hat es laut dem «Tages-Anzeiger» keine Grippewelle gegeben.

Wie viele Menschen der Risikogruppe sich in Europa impfen lassen

Gegenüber der Grippeimpfung sind Schweizerinnen und Schweizer im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern skeptisch. Im März 2019 waren 31 Prozent der Menschen über 64 geimpft. Demgegenüber erreichte das Vereinigte Königreich in dieser Altersgruppe eine Quote von 72 Prozent. Auch Italien mit 53 Prozent und Frankreich mit 51 Prozent lagen deutlich vor der Schweiz. In Deutschland ist die Impfrate dagegen ähnlich tief wie bei uns.

Für die kommende Grippesaison ist aber mit mehr Interesse zu rechnen. Bereits jetzt ist von Hausarztpraxen und Impfapotheken zu hören, die Impfwillige abweisen mussten, weil sie noch keinen Impfstoff zur Verfügung haben.