Grosse Süsskartoffeln freuen den Bauern – den Grossverteiler aber nicht

Grossverteiler reagieren sehr kleinlich, wenn das Gemüse, das ihnen der Bauer liefert, nicht exakt den Normen entspricht, die sie vorgeben. Süsskartoffeln, zum Beispiel, müssen optisch ansprechend sein, pro Knolle zwischen 200 und 800 Gramm wiegen und dürfen keinerlei Beschädigungen aufweisen.

Die sehr empfindliche Schale muss unversehrt und von der Knolle darf kein Stückchen abgebrochen oder abgeschnitten sein, geschweige denn, von Mäusen angeknabbert.

«Die Auflagen der Grossverteiler sind streng», sagt Sebastian Hagenbuch, der zusammen mit seinem Cousin, Christoph Hagenbuch, vor drei Jahren damit begonnen hat, die mittelamerikanische Wunderknolle im Freiamt anzubauen.

Was 2016 als Bachelorarbeit für sein Studium an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) in Zollikofen begann, hat sich für den Jungagronomen bereits vom Nischenprodukt zum festen und noch ausbaufähigen Verkaufsschlager entwickelt.

Allerdings ist dieses Geschäft sehr risikobehaftet. Neben den rigiden Anforderungen der Grossverteiler ist der Anbau von Süsskartoffeln sehr teuer, zeitaufwendig und verlangt viel Handarbeit (siehe Text in der Mitte).

Die Anbaufläche stieg von 0,7 auf heute 3 Hektaren

Eine Hektare Setzlinge kostet den Süsskartoffelbauern rund 25’000 Franken. Im Vergleich dazu kostet die Aussaat für eine Hektare Weizen etwa 400 Franken.

«Wenn alles gut läuft, dann kann man gut 20 Tonnen pro Hektare ernten», erklärt der begeisterte Süsskartoffelbauer, «aber wie viel davon man dann wirklich verkaufen kann, das steht auf einem anderen Blatt.»

Nach dem ersten Versuchsjahr haben er und sein Cousin 2017 schon auf 0,7 Hektaren Süsskartoffeln angepflanzt. 2018 waren es 2,5 Hektaren und dieses Jahr 3 Hektaren. «2018 waren viele Knollen zu gross. Der Grossverteiler hat sie uns nicht abgenommen. Wir haben uns dann überlegt, was wir machen könnten, denn als Kuhfutter oder für auf den Mist, war uns die Ernte zu schade.»

So luden die beiden zum ersten Ernte-Fest auf den «Bauernhof» in Oberlunkhofen ein – und 500 kamen.

Ein deutliches Zeichen gegen die Verschwendung

Dieses Jahr sind die Süsskartoffeln tendenziell wieder zu gross. Ausserdem ist 2019 ein Mäusejahr. Jede angeknabberte Süsskartoffel taugt nicht mehr für den Grossverteiler. Also legen Hagenbuchs mit ihrem Ernte-Fest nach.

Am 19. Oktober, von 11 bis 18 Uhr, gibt es auf dem «Bauernhof» Süsskartoffeln und andere Hofprodukte zu kaufen, gratis Suppe zu löffeln und Musik zu hören. Alle Details unter www.zumbauernhof.ch/anlässe.

Die Aktion der Hagenbuchs ist weit mehr als blosse Gewinnoptimierung. Es geht vor allem darum, wertvolle Lebensmittel nicht einfach verkommen zu lassen. Sie wollen dem sogenannten Foodwaste, der Verschwendung von Lebensmitteln, entschlossen entgegentreten.

Damit stehen die beiden Landwirte nicht allein da. In der Facebookgruppe «Rettet die Ernte vor dem Müll» bieten Bauern und andere Nahrungsmittelproduzenten ihre Produkte genauso an, damit sie nicht im Abfall landen.

Auch in der Schweiz beteiligen sich bereits 1690 Partnerbetriebe an der «Too Good To Go»-Bewegung gegen Foodwaste. In dieselbe Richtung zielen der Verein RestEssBar, die Äss-Bars in Bern und Lausanne oder Foodsharing Schweiz, die alle im Internet zu finden sind.

Für Süsskartoffeln braucht es viel Handarbeit und Wetterglück

Was wir als Süsskartoffel bezeichnen, ist streng genommen gar keine Kartoffel, denn Letztere ist ein Nachtschattengewächs und Erstere gehört zu den Prunkwinden. Im Gegensatz zur Kartoffel ist die Süsskartoffel auch ungekocht, zum Beispiel als Dipgemüse, geniessbar, wohingegen rohe Kartoffeln giftig sind.

Die Süsskartoffel stammt aus Zentral- und Südamerika. Darum verträgt sie ein warmes Klima sehr gut. In der Schweiz beginnt der Anbau ab April, wenn der Boden trocken genug ist, um Dämme für die Setzlinge zu fräsen. Die Dämme müssen unbedingt von jeglichem Unkraut befreit sein.

Dazu müssen regelmässig Unkrautkuren gemacht werden. Ab dem 20. Mai werden die Süsskartoffeln gesetzt. Wird es danach noch einmal kälter als fünf Grad, dann sterben die Setzlinge ab.

Die Wachstumsphase dauert bis September. Bis dahin müssen die Dämme regelmässig gejätet, wenn nötig bewässert und auf Schneckenbefall überprüft werden.

Ab Ende August wird dann zuerst das Kraut geschlegelt, das heisst zurückgeschnitten, damit dann zehn Tage später die Süsskartoffeln mittels Schüttelgraber aus der Erde gerüttelt werden können.

Die so schonend freigelegten Knollen müssen die Erntehelfer von Hand einsammeln. Da die Schale äusserst verletzlich ist, können keine Maschinen dafür verwendet werden.

Nach der Ernte wandern die Süsskartoffeln für zehn Tage in eine Lagerhalle, wo sie bei konstant 30 Grad und 95% Luftfeuchtigkeit dem sogenannten Curing unterzogen werden.

Dieser letzte Schritt unterscheidet den professionellen Anbau auch von dem des Privatgärtners. Das Curing festigt die Schale und setzt einen Teil der Kartoffelstärke in Zucker um, was den süsslichen Geschmack des Gemüses verstärkt. (ian)