
Hanspeter Latour: «Im Alter lerne ich noch das Schweigen»
16 Jahre ist es her, dass Hanspeter Latour als Trainer des FC Thun während der NLA-Partie gegen Servette aufs Feld schrie: «Das isch doch e Gränni.» Die Szene gehört zu den Klassikern der Schweizer Fernseh-Geschichte und sie machte Hanspeter Latour zur Kultfigur. Als er vor vier Jahren im Werd-Verlag seine Biografie veröffentlicht, heisst diese: «Das isch doch e Gränni!» Vor zwei Jahren folgte «Das isch doch e Schwalbe!» mit Episoden über seine neue Leidenschaft, das Fotografieren. Am Sonntag ist der Thuner in der Zofinger Stadtkirche zu Gast. Während des Gottesdienstes erzählt er passend zur WM-Zeit über den Fussball, Naturwunder und seinen Glauben.
Was konnten Sie als Trainer in der Coaching-Zone wirklich bewirken?
Hanspeter Latour: Der Einfluss des Trainers wird oft unterschätzt, er ist aber sehr wichtig. Die Spiele werden sehr gut vorbesprochen, dann genügt während eines Spiels ein Handzeichen oder ein Zuruf verbunden mit einer Gestik, dann wissen die Spieler, um was es geht.
Sie haben auch Spieler auf die Ersatzbank gesetzt.
Das gehört zwangsläufig dazu. Als Trainer habe ich 25 Spieler im Kader, darf 18 auf das Matchblatt nehmen und 11 sind dann im Spiel. Was mich immer gestört hat, ist das Wort «Ersatz», aber es hat sich eingebürgert. Noch mehr habe ich mich daran gestossen, wenn es hiess, Spieler seien «überzählig». Für mich waren alle immer gleich wertvoll.
Es gibt Menschen, die fühlen sich ihr Leben lang auf der Ersatzbank. Was für einen Tipp haben Sie?
Es ist wichtig, immer das Positive zu sehen, an sich zu glauben und nicht in jedem Mitmenschen einen Gauner zu sehen. Wenn man jeden Tag in der Lage ist, selber aufzustehen, dann sollte man die Energie finden, um etwas Gutes aus dem Tag zu machen. Eine persönliche Bestleistung ist zwar noch lange kein Weltrekord, aber sie tut gut.
In der Halbzeit geht es in die Kabine. Haben Sie Mut gemacht oder eine Gardinenpredigt gehalten?
In erster Linie ist die Pause dazu da, damit sich die Spieler erholen, etwas trinken und den Schweiss abtrocknen können. In dieser Zeit kann der Trainer höchstens drei Punkte ansprechen. Zuerst in zwei Sätzen, was gut war und dann kurz, was besser gemacht werden kann. Denn was vorbei ist, ist Vergangenheit. Mir ging es immer darum, die Spieler zu ermutigen und zu motivieren, denn jeder ist wichtig.
Was halten Sie von Millionengehältern gewisser Spieler und Trainer?
Das ist nicht die Norm, sondern betrifft einen kleinen Teil im Spitzenfussball. Diese Entwicklung, die ich generell unverhältnismässig finde, ist ein Abbild unserer Gesellschaft. Deswegen darf man den Fussball aber auf keinen Fall verteufeln. Es gilt, im Fokus zu behalten, wie viel Grosses und Wertvolles an der Basis von den Vereinen geleistet wird. Der Fussball trägt enorm viel zur Integration bei und ist, wie Sport allgemein, für viele ein sehr grosses und wichtiges Auffangnetz.
Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Es braucht Fleiss, Mut und Glück. Die Fleissigsten sind zwar nicht immer die Mutigsten und die Mutigsten nicht die Fleissigsten. Wichtig ist, beides kombinieren zu können und bereit zu sein, wenn das Glück kommt. Wenn man mit einer Gruppe etwas erreichen will, braucht es drei weitere wichtige Punkte: orientieren, motivieren, organisieren. Und zwar in dieser Reihenfolge.
Ist die Reihenfolge wichtig?
Unbedingt, denn zuerst muss ich orientieren, also sagen, was ich will. Wenn ich eine Idee habe, aber keiner weiss davon, bringt das nichts. Damit meine Vision mitgetragen wird, muss ich motivieren. Das heisst, die Menschen für etwas begeistern und entscheiden, wen ich mit ins Boot holen kann. Damit die Umsetzung der Vision gelingt, muss ich organisieren. Der häufigste Fehler ist, dass oft zuerst organisiert wird, ohne dass jemand weiss, worum es geht.
Sie wirken fit und energiegeladen. Woher nehmen Sie die Kraft?
(Lacht) Ich hatte das Glück, dass ich Gott sei Dank bis jetzt vor grossen Schicksalsschlägen verschont geblieben bin. Ich brauche eher jemanden, der mich herunterholt und bremst. Das sind vor allem meine Frau und mein intaktes Umfeld. Vor jedem Match habe ich zum lieben Gott gebetet. Nicht, um einen Sieg zu erflehen, sondern, das Gott mir die Kraft, gibt meine Funktion auszuüben. Der Glaube gibt mir Kraft und ich bin dankbar, dass ich aus dieser Quelle schöpfen darf. Das heisst aber nicht, dass ich regelmässig den Gottesdienst besuche.
Dafür sind Sie in der Natur. Woher rührt diese Leidenschaft?
Von meinem Vater. Ich war als Bub stundenlang mit ihm unterwegs und habe viel von ihm gelernt. Nun nehme ich mir die Freiheit, die Natur in vollen Zügen zu geniessen und Momente mit der Kamera einzufangen. Meine Kollegen zweifelten mein stilles Hobby oft an. Ich liess mich nicht beirren und gab ihnen zur Antwort, dass ich im Alter das Schweigen lerne. Sie meinten, dass ich da nicht auf ein hohes Niveau komme, aber mit meinem zweiten Buch habe ich bewiesen, dass ich stundenlang ausharren und ruhig sein kann. Der Fussball holt mich aber immer wieder ein. Dies zeigt auch der doppeldeutige Buchtitel «Das isch doch e Schwalbe!».
Heute spielt die Schweizer Nati gegen Serbien. Wer gewinnt?
Ich bin wie immer zuversichtlich. Gegen Brasilien habe ich 1:1 getippt. Meine positive Grundeinstellung hätte mir aber auch nicht erlaubt, eine Niederlage zu prognostizieren. Serbien hat nicht ganz die Qualität wie Brasilien, fraglich ist, ob die Schweizer ihr Potenzial abrufen können. Ich rechne, dass es zu einem knappen Sieg reicht.
Wer wird Weltmeister?
Ich glaube nicht, dass es an dieser WM einen Überraschungssieger gibt.
Sonntag, 24. Juni, 9.30 Uhr, Stadtkirche Zofingen, Gottesdienst mit Gast Hanspeter Latour.
zur Person Hanspeter Latour
Ist 1947 in Thun geboren und lebt im nahe gelegenen Innereriz. Der Laborant spielte während seiner sportlichen Karriere als Torwart in diversen Vereinen. Latour war ab 2005 Fussballtrainer beim Rekordmeister GC und wurde ein Jahr später überraschend vom 1. FC Köln engagiert. Dort stieg er zwar ab und kehrte zu den Grasshoppers zurück, wo er 2009 seine Trainerlaufbahn beendete. Danach arbeitete er bis 2014 als Fussballexperte beim Schweizer Radio und Fernsehen. Der 71-Jährige ist seit 47 Jahren verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und drei Enkel.