Heikle Situationen und Zeitdruck: «On the Road» mit dem neuen Hallwilerseeschiff

Ivano, Chauffeur, Arbeitspuls wie ein tibetischer Mönch bei der Meditation, hat die rechte Hand am Lenkrad, den linken Arm auf der Tür seines Lastwagens aufgestützt. Durch das heruntergelassene Fahrerfenster streckt er den Kopf hinaus, den Blick auf den Anhängerzug hinter sich gerichtet. 45 Meter lang, 6,50 Meter breit. Langsam zieht er die «MS 2018» Richtung Aarau, vorbei an Dächern, Lichtsignalen, Strassenlampen. Oft im Schritttempo.

Das Wohl des neuen Hallwilerseeschiffs liegt in dieser Mittwochnacht in Ivanos Händen. Wobei das etwas zu kurz gegriffen ist: Ein Team fährt voraus, baut Strassenpoller und Verkehrstafeln ab; ein Team fährt mit, steigt bei heiklen Situationen aus und bedient von Hand die Hydraulik des Tiefladers; ein Team fährt hinterher und montiert alles Demontierte wieder. Die Arbeiter des Tessiner Spezialunternehmens Sabesa (mit Filiale in Lenzburg) funken Italienisch: «Attenzione! Ok, avanti!»

Ivano fährt in dieser Nacht von Muttenz via Pratteln, Liestal, Waldenburg über den Hauenstein nach Langenbruck, weiter nach Oensingen, Egerkingen, Olten, Trimbach bis Winznau. Die Zeit drängt: Um 5 Uhr rollt der alltägliche Schwerverkehr an, dann muss er dort das Etappenziel erreicht haben

«Dir müesst rächts ha!»

In Liestal stehen Büezer gespannt am Strassenrand, warten auf das Technik-Schauspiel: Ein Schiff auf der Strasse sieht man nicht jeden Tag. Sie warten, werden langsam ungeduldig. «Dä Cheib isch gloub no go icheerä!»

Waldenburg, historischer Ortskern, engste Stelle. Die gekreuzten goldenen Schlüssel des Gasthofs zum Schlüssel sind im Weg. Ein Arbeiter hastet die mitgebrachte Teleskopleiter hinauf, hängt die Schlüssel ab. «Avanti!» Der Wirt tritt hinaus: «Dir müesst rächts ha! No meh rächts!» Er verschwindet wieder in der Gaststube, taucht eine Minute später auf mit einer Espressotasse, samt Unterteller, Zucker und Löffeli, ruft Ivano durchs Fahrerfenster zu: «Capo! Un Espresso?» Der Capo springt aus dem Cockpit, grinst wie ein Bub am ersten Schultag, rührt auf einem Fenstersims den Zucker ein, trinkt in einem Zug aus, «grazie mille!» Läuft es gut, Capo? «Tutto bene!» Zwischen Hauswand und Schiffswand bleiben zwei handgemessene Zentimeter Luft.

Ivano setzt sich hinters Steuer, gibt über Funk Anweisungen. Er setzt ein paar Meter zurück, die Hydraulik drückt den Tieflader auf der linken Seite etwas in die Höhe. Jetzt sind es fünf Zentimeter Luft. Ivano fährt langsam an. Geschafft. Nur noch 80 Kilometer bis Meisterschwanden, Delphin.

Bilder: Mario Fuchs / AZ