Hype um neues Vitamin K2: Was ist dran an diesem Gesundheitstrend?

Ein Riesengeschäft

Fast jeder dritte Schweizer fürchtet, sein Speiseplan liefere nicht genug Nährstoffe. Der Markt mit Mineralien und Vitaminen wächst laut dem Statistikdienstleister Statista jährlich um mehr als zwei Prozent. Sein Umsatz liegt in der Schweiz
bei rund 110 Millionen Franken pro Jahr. Unter den Präparaten dominiert Vitamin C, das vor allem eingenommen wird, um das Immunsystem gegen grippale Infekte zu stimulieren. Aber Produkte mit den fettlöslichen Vitaminen A, D und K2 holen stark auf. Ernährungsmediziner verfolgen dies mit Sorge, da sich fettlösliche Stoffe im Körper anreichern und zu Überdosierungen aufschaukeln können. (jz)

Dass Vitamine dem Körper Gutes tun, ist bekannt. Doch das Vitamin K2 scheint ein wahres Wundermittel zu sein: «Ein Knochenbooster und Gefässreiniger», «Mit Vitamin K2 werden Ihre Arterien wieder sauber!», «Der neue Superstar gegen Diabetes, Demenz und Krebs». Die Anbieter von Vitamin-K2-Produkten übertrumpfen sich derzeit in den Lobeshymnen für einen Stoff, der vor zehn Jahren noch weithin unbekannt war.

Unter den Herstellern finden sich mittlerweile grosse Firmen wie Burgerstein, Doppelherz, Hevert und Stada, deren Produkte in immer mehr Apotheken und Drogerien verkauft werden. Vitamin K2 ist im Trend. Was freilich zunächst nur bedeutet, dass damit viel Geld verdient wird. Doch auf den diversen Blogs und Diskussionsforen im Internet – egal, ob zu Diabetes, Infarkten und Osteoporose oder auch zu Wellness und Sport – lassen sich auch viele positive Erfahrungsberichte zur Einnahme des Vitamins finden. Und das lässt dann bei Patienten die Frage aufkommen, ob ihnen Vitamin K2 möglicherweise doch helfen könnte. Die Antwort darauf ist nicht einfach.

So zeigen Studien der letzten Jahre, dass Vitamin K2 tatsächlich in diverse Prozesse des menschlichen Körpers eingreift. Dazu gehören auch die Verkalkungen an den Blutgefässen, die Arteriosklerose. «Calcium hat im menschlichen Blut die Tendenz, sich in Form von Verkalkungen abzulagern», erläutert Hans Konrad Biesalski, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin. Glücklicherweise gebe es zwar einen Eiweissbaustein, der das verhindern kann. «Doch der muss erst durch Vitamin K2 aktiviert werden», betont Biesalski. Man könne da also durchaus von einem Schutz vor Arteriosklerose und damit auch vor Infarkten sprechen.

Studie zeigt Wirkung gegen Herzerkrankungen

Holländische Wissenschafter ermittelten in einer Studie an 4800 Männern und Frauen, dass diejenigen mit dem höchsten Vitamin-K2-Verzehr – auf einen Zeitraum von zehn Jahren – eine um 41 Prozent niedrigere Wahrscheinlichkeit für eine koronare Herzerkrankung hatten. An der Universität Heidelberg fand man einen ähnlichen Effekt für die Prävention von Krebs, was für das antioxidative und tumorhemmende Potenzial des Vitamins spricht. Dass es einer Insulinresistenz und damit dem Entstehen von Diabetes entgegenwirkt, scheint ebenfalls belegt zu sein.

Doch Biesalski warnt davor, solche Befunde als Beleg da- für zu nehmen, dass man entsprechende Nahrungsergänzungen einnehmen müsse. «Denn das wurde in den meisten Studien gar nicht untersucht», warnt der Ernährungsmediziner. Man habe lediglich untermauert, dass ein Speiseplan mit viel Vitamin K2 einen gewissen präventiven Effekt hat: «Und das ist nicht wirklich revolutionär, das kennen wir auch von den meisten ande- ren Vitaminen.»

Martin Thomi, Apotheker aus Hitzkirch im Kanton Luzern, betont demgegenüber, dass es mittlerweile auch viele Studien «mit definierter Einnahme und daraus folgender Wirkung» von Vitamin K2 gebe. Der Apotheker ist, nach ausgiebiger Beschäftigung mit dem Thema, davon überzeugt, dass praktisch jeder Mensch mit dem Vitamin unterversorgt sei, sofern er nicht bewusst dagegen steuere, beispiels- weise mit der Einnahme von entsprechenden Nahrungsergänzungen.

Doch genau das bezweifelt Biesalski, der Jahre lang an der Universität Hohenheim als Professor für Ernährungsmedizin geforscht hat: «Niemand weiss, wie hoch eigentlich der Bedarf an Vitamin K2 ist – und trotzdem kursieren extrem hochdosierte Präparate, mit denen wir einen angeblichen Mangel ausgleichen sollen.» Nicht umsonst empfiehlt die US-amerikanische Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde, dass man fünf bis 600 Mikrogramm Vitamin K2 täglich zu sich nehmen sollte. «Das ist schon ein sehr weiter Spielraum», sagt Biesalski, «und zeugt eher davon, dass man den individuellen Tagesbedarf einfach nicht konkret angeben kann».

Eine Überdosis kann schaden

In jedem Falle erscheint es in Anbetracht solcher Unsicherheiten erst recht fragwürdig, sich eine Nahrungsergänzung mit 1000 Mikrogramm einzuverleiben. Denn das würde für einen angenommenen Tagesbedarf von 10 Mikrogramm bedeuten, dass man um das Hundertfache überdosiert hätte.

Und das könnte schädlich sein. Denn bei anderen fettlöslichen Vitaminen wie A und D verfügt der Körper über Regulationsmechanismen, die eine Überdosierung weitgehend ausschliessen. «Wir wissen aber nicht, inwieweit es ähnliche Mechanismen auch für Vitamin K2 gibt – und inwieweit sie durch eine Extrazufuhr über Nahrungsergänzungen überfordert werden», warnt Biesalski.

Vermutlich dürfte die Dosis ausreichen, die man über die normale Nahrung zu sich nimmt. Auch wenn es hierzulande – im Unterschied zu Japan mit seinem fermentierten Sojaprodukt «Natto» – nur wenige halbwegs ergiebige Vitamin-K2-Quellen gibt, wie etwa Lachs, Sauerkraut und Käsesorten wie Gouda, Camembert, Münster, Roquefort, Emmentaler und Raclette.

Aber selbst wenn das nicht reichen sollte, hat man, wie Biesalski betont, noch genügend andere Alternativen, um sich vor Demenz, Infarkten, Diabetes und Krebs zu schützen: «Wer nicht raucht und sich stattdessen viel bewegt, wenig Stress hat und auf eine ausgewogene, gesunde Ernährung achtet, trägt weitaus mehr zu seiner Gesundheit bei, als wenn er jeden Tag eine Vitaminpille nimmt.»