
«Ich merke, dass mir gewisse Türen heute einfacher aufgehen»
Auch bei heissen Temperaturen denkt Nevin Galmarini nicht ans Ausruhen. Sieben Mal Gold in nationalen Wettbewerben, WM-Bronze, Olympia-Silber, Gesamt-Weltcupsieg in der Saison 17/18 und vergangenes Jahr dann Olympia-Gold: Der 32-jährige Snowboarder aus Ardez, Engadin, hat sich Schritt für Schritt an die Spitze gearbeitet. Dank der Brittnauer Kulturkommission Chetti hält er heute um 20 Uhr einen Vortrag im Kirchgemeindehaus über seine Erfolge und was alles zusammenpassen muss, damit er auch die nächsten Jahre weiterfährt.
Wie sieht ein normaler Arbeitsalltag bei Ihnen aus?
Jeder Tag ist bei mir anders. Natürlich spielt es auch eine Rolle, ob gerade Sommer oder Winter ist. Zurzeit trainiere ich Montag bis Freitag fünf bis sechs Stunden pro Tag aktiv. Neben fordernden Athletiktrainings versuche ich auch meine Beweglichkeit und Koordination zu verbessern. Auch Mentaltraining oder Managementaufgaben haben ihren festen Platz in meinem Trainingsplan.
Sie haben Zwillinge. Ist es schwierig, Familie, Profisport und das Studium in Business Administration unter einen Hut zu bringen?
Es ist alles eine Frage der Organisation. Kurz vor den Prüfungen ist es meistens schwieriger. Das Tolle ist, dass ich alles sehr gerne mache: Das Studium ist interessant, den Sport liebe ich und Zeit mit der Familie zu verbringen, ist etwas sehr Schönes. Ausserdem habe ich eine megacoole Partnerin. Ohne sie wäre das nicht möglich.
Hallt der Goldmedaillengewinn von Pyeongchang noch nach?
Ja, auf jeden Fall. Ich bin einer der wenigen Profis in der Schweiz, die vom Snowboarden leben können. Das kommt von grossen Titeln. Ich merke, dass mir gewisse Türen heute einfacher aufgehen. Am stärksten fällt es mir zu Hause im Engadin auf. Fast immer werde ich beim Einkaufen angesprochen. Ich empfinde das als sehr schön.
Welches ist Ihre liebste persönliche Sporterinnerung? Und woran denken Sie nur ungern zurück?
Ich fahre schon 22 Jahre Snowboard. Deshalb habe ich schon sehr viele Erinnerungen (lacht). Aber die schönste hat sich tatsächlich letztes Jahr zugetragen. Vor den Olympischen Spielen hatte ich enorm viel Druck. Alle erwarteten eine Goldmedaille. Das habe ich stark gemerkt und war auch dementsprechend nervös. Je näher der eigentliche Wettkampf kam, umso mehr konnte ich mich in den nötigen Flow bringen und mich voll und ganz auf die Fahrt konzentrieren. An diesen Erfolg denke ich sehr gerne zurück. Weniger Freude habe ich an der Slalom-Fahrt an der WM 2017, bei der ich wegen zwei Hundertstelsekunden eine Medaille verpasst und im Interview danach live im Fernsehen geflucht habe. Auf die gesamte Karriere hin gesehen ist das natürlich nicht allzu schlimm. In diesem Moment bricht trotzdem eine kleine Welt zusammen.
Im Februar haben Sie die Öffentlichkeit über Ihre Rückenprobleme informiert. Wie läuft die Reha bislang?
Ich bin noch nicht ganz zu 100 Prozent zurück, das merke ich. Ich brauche noch ein wenig Geduld und muss sehr diszipliniert trainieren.
Wie gehen Sie mit Drucksituationen um?
Ich setzte mich sehr bewusst mit Druck auseinander. Dabei hilft mir das Visualisieren und das Akzeptieren der Situation. Ich versuche, persönliche Anker zu setzen. Dabei hole ich Emotionen hervor, die mir früher schon geholfen haben. Es sind Momente, in denen ich ein sehr hohes Selbstvertrauen habe und ich mich auf meine Fähigkeiten konzentriere.
Wie hat sich die Rolle von Social Media bei Spitzensportlern in den letzten Jahren verändert?
Social Media bedeutet heute einen Zusatzaufwand, den man einfach von einem Spitzensportler erwartet. Als Philipp und Simon Schoch das Snowboardfahren in der Schweiz prägten, taten sie dies ohne Social Media. Das kann man sich heute kaum mehr vorstellen (lacht). Trotzdem klingt «Zusatzaufwand» sehr negativ, was es nicht ist.
Wie stehen Sie zu Social Media?
Unabhängig von den klassischen Medien kann ich mit Social Media viele Leute erreichen. Das ist vor allem in einer kleinen Community wie der meinen sehr wichtig. Unter dem Strich empfinde ich Social Media als etwas Positives, wenn man es mit einer gewissen Lockerheit und Distanz betreibt.
Welche Höhepunkte erwarten Sie im nächsten Winter?
Ohne eine WM oder Olympia ist es eine «normale» Weltcup-Saison, worauf ich mich aber sehr freue. Denn der Gesamt-Weltcupsieg bedeutet mir sehr viel und hat einen hohen Stellenwert. Ich möchte wiederum auf einem hohen Niveau fahren, Rennen gewinnen und ein Wörtchen um den Sieg mitreden.
Sie sind nun 32 Jahre alt. Wie lange fahren Sie noch?
Die kommende Saison fahre ich sicher noch. Nachher wird der Moment kommen, in dem ich die gesamte Situation analysieren muss. Entweder höre ich danach auf. Oder aber ich entscheide mich, weiterzufahren. Wenn das zweite Szenario eintrifft, fahre ich sicherlich noch zwei Jahre weiter und versuche, an den nächsten Olympischen Spielen teilzunehmen. Dafür muss ich gesund und erfolgreich bleiben und den Spass am Spitzensport beibehalten. Auch äussere Faktoren wie die Sponsorensuche oder die Unterstützung der Familie sind Gegebenheiten, die stimmen müssen, damit ich weiterfahre.