Im Boden, im Wasser und in der Luft: Pestizide schaden der Artenvielfalt stark

Pestizide werden in erster Linie in der Landwirtschaft eingesetzt, aber auch in den Hausgärten und Siedlungen. Das Ziel des Pestizideinsatzes ist klar: Als Pflanzenschutzmittel sollen sie schädliche Organismen vernichten, um Ertrags- oder Qualitätseinbussen von Obst und Gemüse zu vermindern. Zu Pestiziden gehören Insektizide, Herbizide gegen Pflanzen und Fungizide gegen Pilze.

Florian Altermatt.

Florian Altermatt. ZVG

Diese direkt in die Umwelt ausgebrachten Pflanzenschutzmittel töten nicht nur die angezielten Organismen ab, sondern haben auch unerwünschte Auswirkungen auf die Biodiversität, wie ein vom Forum Biodiversität unter Leitung von Professor Florian Altermatt von der Universität Zürich erstelltes Faktenblatt zeigt, das die Akademie der Naturwissenschaften veröffentlicht hat.

Pflanzenschutz sei zwar eine Voraussetzung für die erfolgreiche Ernte von Kulturpflanzen, schreiben die Autoren. «Pestizide sollen höchstens zum Einsatz kommen, wenn alle anderen Massnahmen versagen», steht im Faktenblatt. Als Beitrag zur Diskussion über die beiden anstehenden Pestizid-Initiativen hier die wichtigsten Aussagen der Naturwissenschafter in der Übersicht.

Mengen

In der Schweiz waren im Jahr 2020 rund 500 Pflanzenschutzmittel zugelassen, davon gelten 300 als Pestizide, deren Giftigkeit je nach Wirkstoff um mehr als das Tausendfache variieren kann. Abhängig von dieser Toxizität, der Konzentration in der Umwelt und der Expositionsdauer und -häufigkeit ist die Wirkung eines Pestizids auf Organismen unterschiedlich.

Die in der Schweiz zentral erfassten Verkaufsmengen von Pflanzenschutzmitteln zeigen, dass deren Menge zwischen 2015 und 2019 von 2220 Tonnen auf 1950 Tonnen abgenommen hat. Diese Zahl erlaube wegen der unterschiedlichen Giftigkeit der Pestizide aber kaum Aussagen zur Entwicklung des Risikos für die Umwelt und Biodiversität.

Einsatzorte

In der Landwirtschaft ist der Pestizideinsatz am höchsten beim Anbau von Obst, Reben, Kartoffeln, Zuckerrüben sowie gewissen Gemüsen. Herbizide werden auch auf Wiesen und Weiden eingesetzt und zum Beispiel im Wald auf geerntetes Holz gespritzt. Ein Teil der Pestizide wird in den Boden oder als Abdrift in benachbarte Flächen eingetragen, bevor die Zielorganismen erreicht werden. Ein weiterer Teil gelangt später in Böden und Gewässer, zum Beispiel durch Regenwasser.

Wirkungsweise

Gewisse Pestizide wirken sehr spezifisch, andere auf viele verschiedene Tier- und Pflanzenarten. Sie haben auch indirekte Wirkung, etwa über eine Reduktion des Nahrungsangebots, und sie können die Empfindlichkeit von Organismen gegenüber anderen Stressfaktoren wie zum Beispiel Krankheiten erhöhen, schreiben die Autoren. So können nicht nur einzelne Organismen, sondern auch ganze Populationen beeinträchtigt werden. «Pestizide stellen damit eine Gefahr für die Biodiversität dar», steht im Faktenblatt.

«Es ist grundsätzlich festzuhalten, dass aufgrund der grossen Anzahl unterschiedlicher Wirkstoffe, verschiedener Anwendungssituationen und der Vielzahl potenziell betroffener Nichtzielorganismen alle Risiken eigentlich gar nicht abschliessend identifiziert werden können», sagt Florian Altermatt. So seien einige mögliche Risiken nicht gut erforscht, wie Mischeffekte von Pestiziden und die Auswirkung von Abbauprodukten.

«Das Risiko von Pestiziden wird meist auf Einzelstoffbasis ermittelt, aber wir wissen, dass in Gewässern teilweise 40 bis 100 verschiedene Pestizide gleichzeitig in ökotoxikologisch relevanten Konzentrationen vorkommen», sagt Altermatt. Wie diese Kombination wirke, sei schlecht erforscht. Altermatt betont, dass «wir im Faktenblatt keine Aussagen zu Auswirkungen und damit auch Risiken von Pestiziden auf die menschliche Gesundheit machen. Diese müsste separat und zusätzlich betrachtet werden».

Alternativen

Als Alternativen im Pflanzenschutz müssten nach Altermatt indirekte Schutzmassnahmen gefördert werden. Denn es gebe einen direkten Zusammenhang zwischen einer hohen Biodiversität und hohen Ökosystemleistungen, zum Beispiel die natürliche Schädlingsregulierung. «Alle Massnahmen zur Erhöhung der Biodiversität sind also erstrebenswert», sagt der Professor für Aquatische Ökologie an der Uni Zürich.

In den Böden bleiben die Pestizide gemäss den Naturwissenschaftern lange liegen.

In den Böden bleiben die Pestizide gemäss den Naturwissenschaftern lange liegen. Bild: Jamie Grill/Getty

Böden

In zwei Schweizer Studien mit Bodenproben von 100 bzw. 169 Feldern wurden Pestizide in sämtlichen konventionell oder nach IP-Suisse-Richtlinien und in über 90 Prozent der biologisch bewirtschafteten Felder nachgewiesen. Auch nach 20 Jahren biologischer Bewirtschaftung wurden bis zu 16 synthetische Pestizide gefunden.

Die Konzentration in den konventionell bewirtschafteten Böden war rund zehnmal höher als in den biologisch bewirtschafteten. Diverse Studien zeigen negative Effekte von Insektiziden und Fungiziden auf Bodenorganismen.

Oberflächengewässer

In Schweizer Gewässern mit landwirtschaftlich geprägten Einzugsgebieten sind Pestizide allgegenwärtig – um die 150 Wirkstoffe konnten in Gewässern und ihren Sedimenten nachgewiesen werden, teilweise um die 100 im Jahresverlauf in einzelnen Gewässern und bis zu 65 gleichzeitig in einer Probe. Pestizide beeinträchtigen die Gewässerorganismen wie Insektenlarven, Algen, Pilze, Fische, insbesondere in kleinen Fliessgewässern mit landwirtschaftlich geprägten Einzugsgebieten, stark.

Grundwasser

Bei über der Hälfte der Grundwassermessstellen in der Schweiz werden regelmässig Pestizide oder deren Abbauprodukte nachgewiesen – insgesamt über 40 verschiedene der getesteten Stoffe. Bei Messstellen mit hauptsächlich intensiver Landwirtschaft im Einzugsgebiet werden Pestizide praktisch in allen Proben nachgewiesen. Ins Grundwasser gelangen nur langlebige und mobile Stoffe, Abbauprozesse laufen hier langsam ab und die Wasseraufenthaltszeit ist oft lang.

Insekten

Der Einsatz von Pestiziden ist einer von mehreren bedeutenden Faktoren für den vielerorts festgestellten starken Rückgang der Insektenvielfalt und -häufigkeit. Insektizide schädigen Nichtzielinsekten meistens direkt. Herbizide dagegen reduzieren vor allem die Verfügbarkeit von Nahrung und verändern den Lebensraum von Insekten, sodass ihre Populationen gefährdet werden können.

Dies beeinträchtigt auch die Ökosystemleistungen der Insekten. So kann der Pestizideinsatz die Bestäubung von Wild- und Kulturpflanzen verringern; ebenso die natürliche Schädlingsregulierung durch Insekten, welche räuberisch oder parasitierend leben. Beispielsweise sind die Vielfalt und die Häufigkeit von räuberischen Insekten in konventionell bewirtschafteten Systemen bedeutend tiefer als in biologisch bewirtschafteten.

Vögel und Säugetiere

Pestizide können Vögel, Säugetiere und ihre Populationen direkt oder indirekt negativ beeinflussen (z. B. Vergiftung oder Lebensraumveränderungen). Es gibt starke Hinweise, dass Insektizide über die Reduktion der Insektenbiomasse Vogelpopulationen beeinträchtigen. In der Schweiz ist der Bestand insektenfressender Vogelarten des Kulturlandes seit den 1990er-Jahren um 60 Prozent geschrumpft.

Dies dürfte eine Folge des Pestizideinsatzes, moderner Landnutzungstechniken sowie Flurbereinigungen sein. Unter den Säugetieren gelten Fledermäuse als besonders empfindlich gegenüber Pestiziden. Als Holzschutzmittel verwendete Insektizide können Fledermäuse in ihren Unterschlüpfen direkt schädigen.

Pflanzen

Die Vielfalt und Anzahl von Ackerwildpflanzen sind europaweit unter anderem aufgrund des Herbizideinsatzes zurückgegangen. Weil im Biolandbau auf Herbizide verzichtet wird, wirkt er sich im Vergleich zum konventionellen Anbau auf Pflanzen besonders positiv aus.

Landlebensräume

Direkte und indirekte Einträge von Pestiziden beeinträchtigen Pflanzen und Tiere nicht nur in Kulturen, sondern auch in angrenzenden Lebensräumen, wie zum Beispiel Waldrändern.

Faktenblatt Vol. 16, No. 2, 2021, der Akademien der Naturwissenschaften: Pestizide: Auswirkungen auf Umwelt, Biodiversität und Ökosystemleistungen