
Im Schlafwagen mit Honecker
Der Bahnhof Gadebusch im ostdeutschen Mecklenburg-Vorpommern ist leer. Genauso wie die Liftfasssäule, an welcher kein einziges Plakat hängt. Hier war seit dem Mauerfall wohl nicht mehr viel los. Mitten auf dem Bahnhofplatz stehen auf einem Gleis eine Lokomotive und ein Eisenbahnwagen der Deutschen Reichsbahn. «Übernachten Sie in einmaliger und geschichtsträchtiger Umgebung!» Auch heiraten könne man hier. So preisen die Betreiber des Historischen Bahnhofs Gadebusch ihren Salonschlafwagen aus dem ehemaligen Regierungszug der DDR an. Politikgrössen wie Erich Honecker seien damit zu Konferenzen gefahren. Den Schlüssel für den Wagen muss ich in einem gastlosen Restaurant abholen. Eine Servierkraft wickelt die Formalitäten ab. Im Wagen bin ich vorerst ganz alleine. Mein Handyakku leidet. Honecker brauchte noch keine Steckdose im Abteil. Am späten Abend sind dann doch noch Schritte zu hören. Im Duschabteil neben meiner Kabine beginnt das Wasser zu fliessen. Es scheint, als würde sich der Geist Honeckers persönlich erkundigen wollen, wer seinen Schlafwagen in Beschlag genommen hat. Ich überlege mir, ob ich zur Abschreckung laut Udo Lindenbergs «Sonderzug nach Pankow» abspielen sollte. Und was wohl passiert wäre, hätte ich dies in diesem Wagen vor 30 Jahren getan. Am nächsten Morgen scheint ausser mir wiederum keine Seele mehr anwesend zu sein. Ich verlasse Gadebusch mit einem interessanten Erlebnis im Gepäck. Aber heiraten würde ich hier nicht wollen.