Immer mehr Impfdurchbrüche bei Jüngeren – brauchen auch sie den Booster?

1. Noch sind Booster-Impfungen nur für über 65-jährige empfohlen. Sprechen die Impfdurchbrüche mittelalter Personen für eine baldige Auffrischimpfung auch für jüngere?

Generell hat die Swissmedic die dritte Impfung mit den mRNA-Impfstoffen ab 12 Jahren zugelassen. Das BAG und die Eidgenössische Impfkommission vertreten die Haltung, dass der Impfschutz für Personen mittleren Alters noch genug hoch sei. Die Wirksamkeit gegen Hospitalisierung liegt bei Jüngeren immer noch bei 90 Prozent. Deshalb sei eine Auffrischimpfung zur Zeit noch nicht notwendig.

Huldrych Günthard, Leitender Arzt Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich.

Huldrych Günthard, Leitender Arzt Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich.

usz

Infektiologe Huldrych Günthard vom Universitätsspital Zürich möchte bald Auffrischimpfungen für das Personal im Gesundheitswesen, insbesondere für jenes, das Kontakt mit Covid-Patienten hat. Der positive Effekt von Auffrischimpfungen zeigt sich gemäss Günthard bereits in mehreren Ländern eindrücklich, insbesondere in Israel. Der Infektiologe sagt:

«Einerseits verstärkt die dritte Impfung wieder den Schutz vor Neuinfektionen und andererseits auch gegen schwere Verläufe. Es spricht also biologisch und medizinisch überhaupt nichts dagegen»

Anderer Meinung ist Immunologe Andreas Radbruch von der Charité in Berlin. Er findet, die Schweizer Gesundheitsbehörde mache einen guten Job und begründet dies so: «Aus immunologischer Sicht haben Jüngere, die zweimal geimpft sind, eine recht robuste Immunität. Ihr 95-prozentiger Schutz vor schwerer Erkrankung lässt praktisch nicht nach. Die Daten aus Israel aus dem «Lancet» zeigen, dass in den ersten Wochen nach der dritten Impfung, der Schutz vor schwerer Erkrankung von 95 auf 99,5 Prozent steigt. Das verkaufen die Autoren als «um 90 Prozent gegenüber der zweiten Impfung». In Wirklichkeit geht es aber «nur» um 5 Prozent mehr. Und wie lange dieser zusätzliche Schutz anhält, ist zur Zeit unklar, er beruht im Wesentlichen auf der Impfreaktion selbst – einer fulminaten Immunreaktion mit möglichen Nebenwirkungen.»

Andreas Radbruch, Immunologe, Charité Berlin.

Andreas Radbruch, Immunologe, Charité Berlin.

zvg

«Dagegen, das Immunsystem dauernd unter Dampf zu halten, spricht medizinisch einiges. Impfen sollte man soviel wie nötig, aber auch nicht mehr.»

Wiederum eine andere Meinung vertritt heute in der «Süddeutschen Zeitung» Leif Erik Sander, Leiter der Forschungsgruppe für Infektionsimmunologie und Impfstoff-Forschung der Berliner Charité. Eine breit ausgelegte Booster-Kampagne hätte einen deutlichen Effekt nicht nur auf den Schutz, sondern auch auf die Verbreitung des Virus. Sander verweist auf Israel, dass sich aus der Delta-Welle «effektiv rausgeboostert» habe.

2. Wie wirkt eine Booster-Impfung medizinisch?

mRNA-Impfstoffe verhindern sehr effektiv in den ersten Wochen Ansteckungen und langfristig auch schwere Covid-Verläufe. Am Anfang sind nach der Impfung sehr viele Antikörper im Blut und auf den Schleimhäuten. Mit den Monaten sinkt der Antikörperspiegel kontinuierlich, weil das Immunsystem nicht dauernd auf Hochtouren laufen kann und soll. Es bilden sich aber Gedächtniszellen, die über Jahre im Körper patrouillieren und das Abwehrsystem wieder hinauffahren, wenn ein Virus eindringt.

Bei älteren Menschen ist die Immunantwort allerdings nach der zweiten Dosis nicht so gut wie bei Jüngeren. Mit der dritten Dosis kann diese Immunantwort meist auf ein Niveau der Jüngeren gehoben werden. Umso jünger ein Mensch ist und desto besser seine Immunantwort, desto weniger wichtig ist der schnelle Booster.

Zu 100 Prozent schützt eine Impfung nie. Einen Corona-Schnupfen kann es nach der zweiten, aber auch nach der dritten Impfung geben, das Risiko im Spital zu landen, ist aber sehr viel kleiner als bei Ungeimpften.

3. Wie gross ist der Nutzen der Booster-Impfungen fürs Pandemiegeschehen?

Während eine Boosterimpfung den Schutz um rund 5 Prozent erhöht, erhöhen die ersten beiden Impfungen den Schutz von null auf 95 bis 98 Prozent an Sars-Cov-2 schwer zu erkranken. Erstimpfungen sind deshalb um ein Vielfaches wichtiger um schwere Verläufe zu verhindern. Deutlich wird dies aktuell in Kantonen, wo Fallzahlen deutlich höher sind, wenn die Impfquote 5 bis 10 Prozent höher ist.

Bestätigte Infektionen in den letzten 28 Tage nach Kanton.

Bestätigte Infektionen in den letzten 28 Tage nach Kanton.

www.covid19.admin.ch

4. Können sich 65-Jährige dennoch impfen lassen?

Ja, wenn sie gesundheitlich zu den gefährdeten Personen zählen. Dabei geht es um Vorerkrankungen wie Herzschwäche, Lungenkrankheiten, Krebsbehandlungen oder wenn Personen Medikamente nehmen müssen, die das Immunsystem unterdrücken. Gesunde unter 65-Jährige Personen können sich nur impfen lassen, wenn sie einen Arzt oder eine Ärztin finden, welche die Impfung im sogenannten Off-Label-Use durchführen. Dann trägt aber die Ärztin oder der Arzt die Verantwortung und muss im Rechtsfall den Entscheid gut begründen können. Sie sind verpflichtet, die Boosterwilligen gut zu informieren. Ob eine Erhöhung des Impfschutzes von durchschnittlich 95 auf 99 Prozent als Begründung ausreichen würde, ist nicht klar.

5. Hindert das Ärzte und Ärztinnen daran, die Verantwortung für eine Off-Label-Impfung zu übernehmen?

Vermutlich schon. So war es jedenfalls schon bei den schwangeren Frauen, die sich bis im Sommer nur mit ärztlicher Empfehlung impfen lassen konnten. Nicht alle Ärztinnen und Ärzte waren bereit für das Impfrisiko, so klein es auch sein mag, persönlich zu haften.

6. Werden in anderen Staaten bereits Booster-Impfungen an unter 65-jährige eingesetzt?

Ja. In Deutschland hat der Gesundheitsminister Jens Spahn diese Woche alle Bürgerinnen und Bürger zu einer Auffrischungsimpfung aufgerufen -und zwar altersunabhängig. «Boostern Sie Ihren Impfschutz für den Winter», hat er getwittert. Damit widersetzt er sich der deutschen Impfkommission Stiko, die bis jetzt die dritte Impfung grundsätzlich für Menschen ab 70 Jahren empfiehlt sowie an Pflegeheim-Bewohner und Gesundheitspersonal. Kritisch sehen es auch einige deutsche Ärzteverbände, weil es für die Notwendigkeit von Auffrischimpfungen für Menschen jeglichen Alters bisher keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz gebe. In den USA wird seit September geboostert, empfohlen ab 65, in Israel haben alle die Möglichkeit, eine Auffrischung zu erhalten.

7. Wie wirkungsvoll sind Booster-Impfungen?

Im Fachmagazin «The Lancet» wurde dieser Tage eine Studie zu Booster-Impfungen veröffentlicht. In der Untersuchung aus Israel haben Forscher mehr als 700’000 Personen beobachtet, die eine dritte Dosis des Biontech-Impfstoffs erhalten haben. Die umfassenden Studienresultate zeigen, dass das Risiko für einen schweren Verlauf oder einen Krankenhausaufenthalt für die Dreifach-Geimpften im Vergleich zu den Doppelt-Geimpften nochmals um über 90 Prozent gesunken ist. Das Risiko, mit Covid zu sterben, ging um über 80 Prozent runter. Allerdings ist noch nicht klar, ob der Nutzen anhaltend ist: «Der kurzzeitige Schutz-Effekt muss nicht unbedingt einen Langzeitnutzen bedeuten», schrieben Experten in einer Artikel im «The Lancet» im September. Dies eben, weil die Antikörperzahl in den ersten Monaten nach einer Impfung einen vorübergehenden Höhepunkt verursacht. In Israel wird erst seit August geboostert.

8. Wann wird es auch in der Schweiz eine Booster-Impfung für Jüngere geben?

Der oberste Kantonsarzt Rudolf Hauri hat diese Woche in Bern gesagt, man warte in dieser Frage die Empfehlung der Impfkommission und des BAG ab. Von dort gibt es zu einem Termin keine Aussagen. Virginie Masserey vom BAG hat nur bemerkt, dass die Gefährdung vom Alter abhänge, weshalb Booster bei Älteren und Betagten ja nun geplant sind. Und zwar nach der nationalen Impfwoche von kommender Woche.

Immunologe Andreas Radbruch sagt: «Nach einer Immunreaktion wandert ein Teil der Antikörper-produzierenden Zellen ins Knochenmark und bleibt dort über viele Jahre am Leben und schützt uns weiter.» Die Antikörper der doppelt Geimpften bleibe nach einem halben Jahr konstant. «Man könnte fast sagen, das Immunsystem zeigt uns, wie viele, oder besser wie wenige Antikörper es braucht, um vor schwerer Krankheit geschützt zu sein.» Eine dritte Impfung für die unter 60-Jährigen sei erst dann sinnvoll, wenn der Schutz vor Krankheit signifikant nachlässt. «Das ist bisher nicht der Fall, bei einer Beobachtungszeit von etwas über einem Jahr.» Doch Radbruch gibt zu bedenken:

«Booster Impfungen für Jüngere könnten allerdings früher nötig werden, falls neue Varianten auftreten, gegen die die ursprüngliche Impfung nicht mehr so gut hilft.»

9. Was bedeuten Boosterimpfungen für Entwicklungsländer?

Der Datenjournalist John Burn-Murdoch zeigte diese Woche in einer eindrücklichen Grafik, dass reiche Länder ihren Bevökerungen mehr Booster-Impfungen zur Verfügung gestellt haben in den letzten drei Monaten als arme Länder normale Covid19-Impf-Dosen während eines ganzen Jahres.

Auch die Autoren der Studie über die gute Wirksamkeit der Impf-Booster sind sich der Ungerechtigkeit bewusst. Und schreiben am Schluss: «Es ist nicht Aufgabe dieser epidemiologischen Analyse, die komplexen ethnischen Probleme aufzuzeigen, welche in der Booster-Debatte stecken. Aber es ist dringend, die Impfproduktion zu erhöhen und den Zugang weltweit zu verbessern.»