
In Rothrist wollen 39 Kursteilnehmer zu Feuerwehr-Offizieren werden – mit Galerie
Eine junge Frau sitzt kreidebleich in ihrem Stapler. Der Behälter, der mit Diesel gefüllt ist, hängt nur noch halb auf der Ladegabel. Flüssigkeit läuft aus. Noch brennt nichts, aber ein Funke reicht, um die leicht brennbare Flüssigkeit zum Lodern zu bringen. Da kommen auch schon neun Feuerwehrmänner angerannt. Sofort kümmert sich einer um die Verunfallte im Stapler. Aber statt mit imposantem Feuerwehrauto und Löschschlauch sind sie mit Klemmbrett und Kugelschreiber ausgestattet. Einer stoppt die Zeit. Die Feuerwehrmänner verteilen sich um den Stapler, machen eifrig Notizen. Gerade hektisch geht es nicht zu und her, und die Blässe im Gesicht der Verunfallten hat auf den zweiten Blick extreme Ähnlichkeit mit weisser Farbe.
52 Stunden Ausbildung
Die Übung mit dem Stapler ist nur eine von acht verschiedenen Aufgaben, welche die angehenden Offiziere am Mittwochnachmittag im Industriegebiet in Rothrist antreffen. «Die Kursteilnehmer müssen heute Nachmittag feststellen, beurteilen und entscheiden», erklärt Kommandant und Feuerwehrinstruktor Marcel Birrer. «Wenn sie mit einer Situation konfrontiert sind, müssen sie einordnen, was da los ist, was gemacht werden muss und wie sie am besten damit umgehen.» Eine Woche dauert der Hauptteil des Kurses. Im Vorfeld galt es bereits ein Vorbereitungswochenende und einen Aufnahmetest zu meistern. Heute Abend, nach gut 52-stündiger Ausbildung, winkt den erfolgreichen Absolventen ein Diplom zum bestandenen Offizierskurs. Hinter der Organisation des Kurses steckt die Aargauische Gebäudeversicherung (AGV). «71 Instruktoren sind für uns gut 17 Tage im Jahr unterwegs», erklärt Stephanie Zueblin, Sachbearbeiterin der AGV. So bilden auch in Rothrist fünf Lehrer die 39 Offiziersanwärter, darunter nur zwei Frauen, aus.
«Das Industriegebiet ist besonders geeignet», findet Birrer. Es bilde eine realistische Grundlage und das sei Gold wert. «Klar, die Arbeiter, die so gemütlich vorbeigehen, würden bei einem echten Unfall sicher anders reagieren», erklärt er. Bis zu einem gewissen Grad sei ein realer Einsatz aber durchaus nachstellbar. Der Zeitdruck, den die Instruktoren auf ihre Schüler ausüben, nimmt mit jeder Übung zu: Das sorgt für einen gewissen Adrenalin-Kick.
Die grösste Herausforderung für die künftigen Offiziere sei es, den gesunden Menschenverstand in eine Struktur zu bringen, wie Birrer erklärt. «Vieles lässt sich logisch erschliessen. Es ist dieses strukturierte Denken – sichern, Gefahr erkennen, absperren und retten – das an diesem Kurs automatisiert wird.» Die verschiedenen Aufgaben bieten dafür eine ideale Übungsfläche.
Können längst bewiesen
Was zum Beispiel tun, wenn eine Gasleitung brennt, die ein schusseliger Baggerfahrer ausgegraben hat? Oder wenn der Arbeitskollege hoch in den Lüften einen Unfall baut, wie holt man den da runter? Und wie reagiert der Offizier richtig, wenn unbekannte Giftstoffe aus der Lagefläche des verunfallten Lieferwagens laufen? Solche und ähnliche Fragen müssen sich die angehenden Offiziere während dieser Kursphase ständig wieder stellen.
Die Durchfallquote sei praktisch inexistent. «Wir haben den Auftrag, diese Offiziere auszubilden», sagt Marcel Birrer. Ihr Können hätten die Feuerwehrleute im Vorfeld längst bewiesen. «Sonst wären sie gar nicht hier.» Drei Ziele müssen die Teilnehmer während des Kurses erreichen: Chancen und Risiken erkennen, einen Einsatz leiten und führen sowie ihr Wissen weitergeben können. Dank den erlernten Fähigkeiten sollen die neuen Offiziere optimal auf den Ernstfall vorbereitet sein, richtig reagieren und ihre Gruppe durch jeden Einsatz leiten können.