
In St. Urban «gegen den Satan gekämpft» – Urteil steht noch aus
An Karfreitag 2017 liess sich ein Mann in die Psychiatrische Klinik in St. Urban einweisen, weil er unter Angstzuständen litt und Stimmen hörte. Er wurde in einem Doppelzimmer untergebracht, in dem bereits ein älterer Mann schlief. Als dieser nachts zu schnarchen begann, hörte der neue Stimmen. Sie sagten, Satan sei im Zimmer. Wenn der aufstehe, dann sei es fertig mit ihm. Er hatte Todesangst – schlug, trat und würgte seinen 85-jährigen Zimmernachbarn. Dieser starb noch in der Nacht an den Folgen.
So schilderte es der 36-jährige Kranführer bereits 2020 vor Kriminalgericht. So wiederholte er es gestern vor dem Luzerner Kantonsgericht. Sein Anwalt hatte Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil wegen vorsätzlicher Tötung eingelegt. Weil der Mann aber an paranoider Schizophrenie leidet und zum Tatzeitpunkt unzurechnungsfähig war, kann er zwar verurteilt, aber nicht bestraft werden. Er lebt seit über drei Jahren in der Psychiatrischen Klinik Königsfelden.
Er will zu seiner Familie nach Hause
Dabei habe er gute Fortschritte gemacht und sei bereit zu einem Wechsel in eine ambulante therapeutische Behandlung, sagte er gestern. Denn er will dauerhaft nach Hause. «Die Familie stärkt mir den Rücken», sagte er. In der Tat dürfte eine Heimkehr für den dreifachen Familienvater nur eine Frage der Zeit sein.
Er erhält monatlich eine Depotspritze mit einem Psychopharmazeutikum, ist sich seiner Krankheit bewusst und verhält sich kooperativ. Richter, Staatsanwaltschaft und Verteidiger lobten ihn alle. Der Sachverständige, ein forensischer Psychiater, sagte: «Er ist kein gewaltbereiter Mensch und disozial ist er auch nicht.» Es beständen allerbeste Aussichten für die Zukunft. Ihn aber sofort aus der stationären Behandlung zu entlassen, wie es der Mann wünscht und sein Anwalt beantragte, fand der Sachverständige verfrüht. Ein Übertritt müsse vorbereitet werden und schrittweise erfolgen – innerhalb des nächsten Jahres.
Der Verteidiger will, dass das Kantonsgericht für seinen Entscheid über die mögliche Anordnung einer ambulanten Behandlung ein Gutachten in Auftrag gibt, das von einer Fachperson erstellt wird, die bisher noch nichts mit dem Fall zu tun hatte. «Darauf hat er ein Anrecht», sagte er. Zudem willder Verteidiger einen Entscheid des Kriminalgerichts aufgehoben sehen: Der Beschuldigte sollte den Angehörigen desOpfers danach ein Schmerzensgeld von 20 000 Franken bezahlen.
Doch die Schuld liege nicht beim Beschuldigten, sagte der Verteidiger, denn der habe sich ja helfen lassen wollen. Hätte die Klinik nicht fehlerhaft gearbeitet, dann wäre es gar nie zum Drama mit Todesfolge gekommen, sagte er – und spielte damit auf den Entscheid der Staatsanwaltschaft an, den damals diensthabenden Arzt wegen fahrlässiger Tötung anzuklagen (Ausgabe von gestern). Schliesslich gehts im Berufungsprozess auch um eine fast philosophische Frage. Der Beschuldigte sei freizusprechen, fand der Verteidiger. Er könne nicht wegen vorsätzlicher Tötung verurteilt werden, da er nicht in der Lage gewesen sei, einen Vorsatz zu fassen. Schliesslich war er überzeugt, «gegen Satan kämpfen zu müssen».
Der Staatsanwalt sah die ganze Sache anders
Der Staatsanwalt sah dies anders: Man könne auch vorsätzlich handeln, ohne sich dessen bewusst zu sein. Mit Schlägen und Tritten nehme man automatisch einen körperlichen Schaden in Kauf. Zudem habe der Beschuldigte den Zimmernachbarn beim Betreten des Raums mit «Guten Abend, o Herr» begrüsst.
Der Verteidiger hielt dagegen: Ereignisse vor oder nach der Tat, seien nicht relevant. Zum exakten Tatzeitpunkt habe er sich im totalen Wahn befunden und sei sich nicht bewusst gewesen, dass sein Kontrahent menschlicher Natur sei. Beständen beim Gericht Unsicherheit, dann solle es nach dem Grundsatz «Im Zweifel für den Angeklagten» entscheiden.
Das Kantonsgericht berät sich nun, ob es ein weiteres Gutachten braucht, um zu entscheiden. Dann wird es ein Urteilfällen und dieses den Parteien schriftlich eröffnen. Die Begründung folge einige Monate danach, hiess es gestern.