
Italiener und Franzosen wollen Schweizer Pisten bis Januar schliessen
Das Coronavirus bedroht die Skisaison. Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte will nun den Beginn der Wintersportsaison verschieben. Bis mindestens am 10. Januar sollen die Skigebiete geschlossen werden, forderte er Anfang Woche im Interview mit dem Fernsehsender «La 7». «Es ist nicht möglich, einen Winterurlaub zuzulassen. Wir können uns das nicht leisten.»
Der französische Präsident Emmanuel Macron äusserte sich gestern ähnlich. in einer TV-Ansprache sagte Macron, eine Öffnung der Skigebiete für die Festtage sei «unmöglich». Für realistisch halte er Mitte Januar. Gemäss Medienberichten streben Rom und Paris gemeinsam mit Berlin ein europaweit abgestimmtes Vorgehen an.
Aus Deutschland hat Conte bereits öffentlich Support erhalten: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) unterstützt den Vorstoss. «Wenn wir Grenzen offen halten wollen, brauchen wir auch eine klare Übereinkunft, was das Skifahren betrifft. Ansonsten wird es eine schwierige Entwicklung», sagte er am Dienstag. Wer in Risikogebieten Skifahren gehe, müsse zehn Tage in Quarantäne. «Mir wäre lieber, wir würden ein einheitliches Übereinkommen auf europäischer Ebene haben: keine Skilifte offen überall beziehungsweise kein Urlaub überall.»
«Wenn die EU will, muss sie bezahlen»
Italien will in Abstimmung mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron einen europäischen Fahrplan zur schrittweisen Öffnung der Skigebiete vorlegen. Laut Medienberichten sind sich die Regierungschefs der drei Länder zudem einig, dass unkoordinierte und zu schnelle Öffnungen wie im Sommer ein Fehler wären. In Italien befand sich die Zahl der Coronafälle pro Einwohner zuletzt etwa auf dem Schweizer Niveau, in Frankreich und Deutschland werden deutlich weniger Neuinfektionen registriert.
Widerstand gegen die Pläne kommt aus Österreich – dem Land, das zuletzt unter den genannten am meisten Neuinfektionen verzeichnete. Finanzminister Gernot Blümel forderte Entschädigungen in Milliardenhöhe von der EU, falls Skilifte tatsächlich über die Weihnachtsferien stillstehen sollen.
Österreich rechne mit einem Umsatzausfall von 800 Millionen Euro für jede der Ferienwochen. «Wenn die EU tatsächlich vorgibt, dass die Skigebiete geschlossen bleiben müssen, dann bedeutet das Kosten von bis zu 2 Milliarden Euro. Wenn die EU das wirklich will, muss sie dafür auch bezahlen», sagte Blümel am Dienstag. Die deutsche Bild-Zeitung titelte heute von einer «Ski-Schlacht» zwischen Österreich und Deutschland. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz sagte am Mittwoch, sein Land werde eigenständig über die Öffnung entscheiden, ohne ein Datum zu nennen. Er habe in Gesprächen mit der EU-Ratspräsidentin und der Kommissionspräsidentin vereinbart, dass dies keine Angelegenheit sei, in die sich die EU einmischen sollte, zitiert ihn die «Kleine Zeitung».
Darbellay wettert gegen Italien
Auf die Seite der Österreicher schlägt sich Jürg Schmid, der Präsident von Graubünden Ferien. «Es wäre nicht gerechtfertigt, wenn man die Saison nicht stattfinden lassen würde», sagt er. Ein sicherer Betrieb sei möglich, auch dank strikter Schutzkonzepte auf den Pisten und Bergbahnen. Darum könne man den italienischen Ideen wenig abgewinnen.
Dass die Schweiz unter Druck geraten könnte, wenn rund um sie herum der Saisonstart herausgeschoben wird, glaubt Schmid nicht. «Die Schweiz ist ein unabhängiges Land.» Das Bundesamt für Gesundheit müsse und werde unabhängig entscheiden. «Der Bündner Wintertourismus wird sich strikt daran halten.»
Wenn irgendwo ein Betrieb sich dennoch nicht an die Regeln halte, werde man rigoros durchgreifen müssen, sagt Schmid. Allgemein würden Betriebe eher übervorsichtig sein. Aus den ersten Tagen habe man bereits gelernt. Es kam teils vor den Skiliften doch Menschentrauben gebildet. Nun werde man diese Schlangen konsequent in die Länge ziehen.
Wallis hält an Saison fest
Markige Töne zum italienischen Vorstoss finden Walliser Touristiker und Politiker. Staatsrat Christophe Darbellay (CVP) sagt dem «Walliser Boten»: «Im Wallis wird über die Festtage Ski gefahren und in Restaurants gegessen, egal was Italien macht. Österreich wird so oder so offen sein. Italien, Frankreich und Deutschland sprechen sich offensichtlich ab. Die Schweiz ist aber nicht in der EU und somit auch gar nicht betroffen.»
Die Coronasituation im Wallis werde von Tag zu Tag besser. Es werde nicht alles möglich sein, aber ein Minimalprogramm werde das Wallis den Gästen bieten können. Sowieso sollten Bergbahnen nicht schlechter gestellt sein als die «heilige SBB», so Darbellay: «Unser Kanton hat seine Hausaufgaben gemacht. Die Wintersaison wird in geordneten Bahnen starten.»
Markus Häsler, CEO der Zermatt Bergbahnen, sagt der Zeitung, der italienische Vorstoss sei eine «reine Luftblase». Die EU könne machen, was sie wolle, doch die Schweiz werde nie und nimmer mitziehen. Italien habe in Europa nur Gewicht, wenn es um das Verlangen von Krediten gehe. Zudem sei es höchst unwahrscheinlich, dass Österreich mitziehen werde, und auch italienische Skigebiete liefen gegen Contes Ideen Sturm.
Schweiz Tourismus gibt sich entspannt
Ohne Folgen bliebe ein koordiniertes europäisches Vorgehen nicht. Zwar hätten Schweizer Skigebiete dann ein Alleinstellungsmerkmal, doch nützen würde ihnen das möglicherweise nichts. Europäische Länder könnten Reisewarnungen für die Schweiz aussprechen oder Rückkehrer zur Quarantäne verpflichten. Das hätte empfindliche Auswirkungen auf die Zahl der ausländischen Touristen.
Schon jetzt rechnet Simon Bumann, Chef der Saastal Bergbahnen, mit markant weniger ausländischen Gästen, wie er dem «Walliser Boten» sagt. Eine Schliessung, so sagt er, würde gravierende Langzeitschäden mit sich bringen: «Die Leute kauften dann noch weniger Saisonkarten und stellten teilweise auf andere Freizeitbeschäftigungen um.»
Schweiz wird zunehmend kritisiert
Der Verband Schweiz Tourismus gibt sich entspannt. Man gehe davon aus, dass der Ansatz keinen Erfolg haben werde und sei überzeugt, dass der Schweizer Weg für den Moment richtig sei und dass die Saison stattfinden könne, sagt ein Sprecher.
Inwiefern sich die Schweiz von europäischen Diskussionen absondern kann, ist offen. Der Schweizer Sonderweg wird im Ausland zunehmend kritisch betrachtet. Der Gesundheitheitsexperte der deutschen SPD Karl Lauterbach sprach kürzlich angesichts der hohen Fallzahlen von einem «unverzeihlichen Politikversagen». Im Interview mit CH Media sagte Peter Liese, Europaparlamentarier der deutschen CDU: «Die Schweiz macht zur Eindämmung des Coronavirus viel zu wenig.» Ebenfalls im Interview mit CH Media riet der Covid-19-Sondergesandte der WHO zu einer «viel robusteren Strategie».