Kakao aus der Karibik: Was den teuren Edelhasen vom Industrieprodukt unterscheidet

Kakaobauer Charles Merry zeigt Rimann im Jahr 2017 seine Farm auf der Insel Trinidad (zVg)
Kakaobauer Charles Merry zeigt Rimann im Jahr 2017 seine Farm auf der Insel Trinidad (zVg)

Als Charles Merry im Herbst in der feuchten Hitze Trinidads Kakao erntete, lief bei Chocolat Frey in Buchs AG die Osterproduktion schon auf Hochtouren. Fällt Ostern früh ins Jahr, fährt Frey die Produktion schon Ende Sommer hoch. Anfang Januar ist der letzte Hase gegossen, Mitte Februar stehen die ersten im Supermarkt. Zwei Maschinenlinien mit Namen Hohlartikel 1 und 2 spucken bis zu 3000 Hasen pro Stunde aus. Mehrere Hundert Arbeiter halten die Produktion im Dreischichtbetrieb aufrecht.

abian Rimann hat zwei Hände und fünf Angestellte, die ihm in seiner Genusswerkstatt in Wettingen für die Osterproduktion zur Verfügung stehen. Zehn Hasen schafft der Chocolatier pro Stunde. Er wollte sein Ostergeschäft nach dem Valentinstag starten, doch ein Grossauftrag kam dazwischen. So kamen die ersten Hasen erst Anfang März in den Laden.

Maître Chocolatier und Maître Machine – das sind zwei völlig verschiedene Ligen. Rimann und Frey sind «bean to bar»-Hersteller, sie verarbeiten die Kakaobohne selbst zu Schokolade. Viel mehr haben sie nicht gemein. Ihre Geschäftsmodelle unterscheiden sich grundlegend: Vom Preis, den sie für ihre Hasen verlangen, über den Kakao, den sie verwenden, bis zur Art, wie sie den Rohstoff beschaffen.

Womit wir wieder bei Charles Merry sind.

Ein Affe verschwindet im Urwald der Karibikinsel, als der Kakaobauer, 84-jährig, über die lange Treppe aus seinem Haus auf die Plantage tritt. Es riecht nach Holz und frischen Blumen. 120 Hektaren gross ist Merrys Reich. Mittendrin wohnt er in einem alten Haus im Kolonialstil. Rundherum wachsen Mangos, Papayas, Orchideen und Kakao der Edelsorte Trinitario, Merrys ganzer Stolz. Während sich in der Schweiz die Osterhasen türmen, hat er seine Arbeit an den Kakaobäumen getan. Die Haupternte war im Herbst. Merry packte trotz seines hohen Alters mit an.

Rimann ist sein einziger Abnehmer. Die Beziehung zum Kakaobauern seines Vertrauens ist ihm wichtig, weshalb er Merry letzten Frühling besuchte. Durch den engen Kontakt kann er sich vergewissern, dass der Kakao seine Qualität hält. Dass das Aroma nicht schlechter wird.

Das Aroma spielt in Edelkakao, der sich grob in Criollo, Trinitario und Nacional unterteilen lässt, eine wichtige Rolle. Er soll, im Unterschied zum Konsumkakao Forastero, der 95 Prozent des Weltmarktes ausmacht, nicht nur schokoladig schmecken. Rimann beschreibt Merrys Trinitario als fruchtig mit Noten von Lakritze und roten Früchten.

«Schokolade ist Gottes Entschuldigung für Brokkoli»
Nach einer wochenlangen Reise – per Schiff nach Basel mit Zwischenstopp in Amsterdam, im LKW nach Wettingen – trifft der Kakao bei Rimann ein. Seine 60-Kilo-Jutesäcke sind kein Vergleich zu den Big Bags, die Frey sich liefern lässt und die eine Tonne Kakao enthalten. Nun geht es an die Arbeit. Rimann krempelt die Ärmel seines T-Shirts hoch, auf dem hinten steht: «Schokolade ist Gottes Entschuldigung für Brokkoli.» Rösten, schälen, vermahlen, conchieren: Während vier Tagen entsteht nun Schokoladenmasse aus Kakao, Kakaobutter, Zucker und Tahiti-Vanille. Die Liebe zur Schokolade geht dem 37-Jährigen durchs Ohr: Im linken Läppchen steckt die Miniatur einer Kakaofrucht.

Die Kakaomasse giesst er danach zu Osterhasen. 25 verschiedene Hasen macht er und bricht dabei mit den gängigen Modekonventionen: Grosse Ohren und ein niedliches Püppchengesicht hat keiner. Gemäss Frey sind grosse Ohren bei den Konsumenten besonders beliebt. Rimann sagt: «Das ist nicht mein Stil.» Seine Hasen sind dem lebenden Tier nachempfunden, haben eine detaillierte Fellstruktur und sind nicht dickwandig. «Ein Osterhase muss dünn sein, sonst braucht der Verzehr zu viel Energie», sagt Rimann.

Mehrere hundert Bauern
Wenn Patrick Roth, Leiter Einkauf bei Frey, alle Bauern besuchen möchte, von denen er Kakao – zum allergrössten Teil Forastero – bezieht, er wäre eine ganze Weile beschäftigt. Alleine die Kooperative in der Elfenbeinküste, mit der Frey zusammenarbeitet, umfasst mehrere hundert Bauern im Südwesten des Landes. Dazu kommen weitere Bezugsquellen in Ghana und Lateinamerika. Die Zahl kann sich ändern, je nach Ernte. Roth reist ein bis zwei Mal pro Jahr in die Elfenbeinküste. Das Land produziert mit Abstand am meisten Kakao (siehe Grafik). Frey nimmt den Bauern den Kakao direkt ab, kauft aber – anders als Rimann – an der Börse. Am Terminmarkt in London wird der Grossteil allen Kakaos gehandelt. 27 Mal pro Minute bewegt sich der Preis.

Die zwei grossen Geheimnisse
Über den Kakaopreis spricht die Branche nicht gern. Er ist, neben den Rezepturen, das grosse Geheimnis der Schokoladenmacher. Rimann nennt im Gespräch den Preis, will ihn aber nicht publiziert sehen. Er bezahle «das Drei- bis Vierfache des Weltmarktpreises».

Auch Frey hält sich bedeckt. Die Firma bezahlt neben dem Weltmarktpreis einen Aufschlag für Zwischenhändler und die Prämie für das Nachhaltigkeitslabel UTZ. Über 80 Prozent von Freys Kakao ist UTZ-zertifiziert.

Der Kakaopreis ist nicht nur ein gutgehütetes Geheimnis, er ist auch ein grosses Problem – für die Bauern. Er brach erst gerade unerwartet heftig ein. Von über 3000 Dollar pro Tonne fiel er auf unter 2000 Dollar. Derzeit erholt er sich wieder. Zum Kursverfall hatten ein massiv höherer Ertrag als erwartet und eine stagnierende Nachfrage geführt.

Forscher kamen zum Schluss, dass Bauern schon vor dem Kurssturz keine existenzsichernden Einkommen hatten. Seither ist der Preis um ein Drittel gefallen. Experten befürchten, dass das zu mehr Kinderarbeit führen könnte. «Kinder sind der günstigste Weg», sagt der dänische Filmemacher Miki Mistrati im Interview mit der «Nordwestschweiz». Er beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema.

Mit der UTZ-Prämie haben Bauern, von denen Frey Kakao bezieht, ein Zusatzeinkommen. Eine Frey-Sprecherin sagt, man bezahle «mehr als marktgerechte Prämien». Die genaue Zahl will auch sie nicht in der Zeitung lesen. Der Durchschnitt der weltweit bezahlten UTZ-Prämien für Kakao liegt bei 89 Euro pro Tonne. Das geht aus einem UTZ-Bericht hervor. Fest steht: Selbst Freys Prämie ist in Zeiten eines tiefen Kakaopreises an der Börse nur ein schwacher Trost.

Merry betrifft das nicht: Er verkauft seinen Kakao unabhängig von der Börse an den renommierten Schwyzer Couverturen-Hersteller Felchlin, der für Rimann den Import erledigt.

378 Prozent teurer
Nachdem der Kakao um den halben Erdball gereist ist und Rimann und Frey ihn verarbeitet haben, sind die Hasen bereit für den Verkauf. Sie tragen ganz unterschiedliche Preisschilder: Freys Pasqualino Noir, 240 Gramm, 50 Prozent Kakao, 49 Gramm Zucker, Milchpulver, Aromen, kostet 7,40 Franken. Rimanns Hase, 150 Gramm, 74 Prozent Kakao, 26 Gramm Zucker, Tahiti-Vanille, kostet 28 Franken. Die Schönheit aus der Kleinmanufaktur ist 378 Prozent teurer als der süsse Kerl aus dem Supermarkt. Rimann sagt: «Die Kunden sind bereit, für Qualität zu bezahlen.»

Maître Chocolatier und Maître Machine. Alle Unterschiede, vom Kakaobaum bis in den Laden, widerspiegeln sich letztlich im Preis.