Kantone wollen Zertifikatspflicht ausweiten: Fitnesscenter und Beizer wehren sich – es ist vom «Todesstoss» die Rede

Die mögliche Ausweitung der Zertifikatspflicht hat die Schweissperlen auf die Stirnen der Verantwortlichen bei den Fitnesscentern getrieben. Der Schweizerische Fitness- und Gesundheits-Center-Verband spricht in seiner Stellungnahme vom «Todesstoss für die Fitnessbranche». Der Verband fürchtet Umsatzeinbussen von 40 Prozent, sollte der Zutritt ins Fitness nur noch mit einem gültigen Zertifikat möglich sein. Um die möglichen Einbussen zu untermauern, sendet der Branchenverband auch gleich noch ein paar der wütenden Mails von Kunden mit an den Bundesrat. Darin heisst es unter anderem, dass «ich diesen Scheiss als gesunder Mensch nicht mitmache».

Ein kleines bisschen diplomatischer, aber mit der gleichen Stossrichtung hatte denselben Inhalt auch Casimir Platzer, Präsident von GastroSuisse, an einer Medienkonferenz vorgetragen. Er sprach von einer «Spaltung der Gesellschaft». Erneut müsse das Gastgewerbe «den Kopf hinhalten», klagte Platzer. Er fürchte «massive Umsatzeinbussen». Rund 40 bis 50 Prozent würden vom Besuch einer Bar oder einem Restaurant ausgeschlossen. Das komme «einer Teilschliessung gleich». Auch dieser Branchenverband stellt sich entschlossen gegen die angedachte Ausweitung der Zertifikatspflicht.

Kein neuer Massnahmen-Flickenteppich

Der Bundesrat hatte die Massnahme am vergangenen Mittwoch vorsorglich in die Vernehmlassung geschickt. Möglich wäre, dass für praktisch alle Bereiche des öffentlichen Lebens künftig eine Zertifikatspflicht gelten würde. So etwa für Restaurantbesuche, Museen, Zoos, Fitnesscenter, Kletterhallen, Hallenbäder, Aquaparks, Thermalbäder, Billardhallen oder Casinos. Ausgenommen wären Orte, die ausschliesslich Aussenbereiche umfassen. Ob der Bundesrat diese beschliesst und ab wann, ist komplett offen. Richtwerte für eine Verschärfung nannte der Bundesrat am Mittwoch nicht: Die Ausweitung sei ein Mittel um eine Überlastung der Spitäler abzuwenden – diese drohe, so der Bundesrat, wenn sich die epidemiologische Lage so weiter entwickle, bereits in wenigen Wochen.

Und nun zu jenen, denen nicht die Zertifikatspflicht sondern die Coronalage Schweissperlen auf die Stirne treibt. Angestossen haben die Diskussion um die Ausweitung die Kantone. So hat unter anderem der Aargauer Regierungsrat bereits angekündigt, dass er, sollten die Patientenzahlen weiter steigen, eine Covid-Zertifikat-Pflicht auf weitere Bereiche ausdehnen würde. Dabei haben die einzelnen Kantone aber stets betont, dass sie eine nationale Lösung vorziehen würden. Sie befürchteten ein weiteres Mal einen Coronamassnahmen-Flickenteppich quer durchs Land.

Grossveranstalter für Ausweitung

Dementsprechend auf Gegenliebe gestossen sind die bundesrätlichen Vorschläge denn auch bei den Gesundheitsdirektoren. «Es gibt eine sehr breite Unterstützung bei den Gesundheitsdirektoren für eine Ausweitung der Zertifikatspflicht», sagte Lukas Engelberger, oberster Gesundheitsdirektor an einer Medienkonferenz nach einem Treffen mit Bundesrat Alain Berset. Engelberger führte aus, dass «sämtliche Alternativmassnahmen einschneidender wären und die Freiheiten der Geimpften beschränken würden».

Ob sich die Gesundheitsdirektoren in ihren Regierungen aber auch überall durchsetzen konnten, ist nicht bekannt: Bisher haben lediglich wenige Kantone ihre Stellungnahme veröffentlicht. Darunter die Ostschweizer Kantone. In einer gemeinsamen Mitteilung begrüssen sie die Absichten des Bundesrates. Durch sie «könne Ansteckungsgefahr zielgerichtet und unter zumutbaren Bedingungen eingeschränkt werden, ohne dass erneut ein Lockdown angeordnet werden muss», wie es in der Mitteilung heisst.

Ähnlich sehen es die Grossveranstalter. In einer Mitteilung spricht sich die IG Perspektive Live, ein Zusammenschluss von zahlreichen Veranstalter (von Fussballvereinen bis zum Circus Knie), für die Ausweitung der Zertifikatspflicht aus. Allerdings: Bei den meisten der Mitglieder gilt an den Veranstaltungen schon heute eine Zertifikatspflicht: Bei Grossveranstaltungen mit über 1000 Besucherinnen und Besucher muss bereits heute ein Nachweis erbracht werden, dass man genesen, geimpft oder (negativ) getestet ist. In der Mitteilung heisst es weiter: «Sobald absehbar ist, dass die epidemiologische Lage stabil ist, müssen nach Ansicht der IG die Zertifikats-Zutrittsbeschränkung rasch wieder fallen».

Parteien: Nur die SVP stellt sich quer

Auf Zustimmung grundsätzlicher Natur sind die angedachten Massnahmen auch bei den Bundesratsparteien gestossen. Einzig die SVP lehnt diese entschieden ab und fordert stattdessen stärkere Kontrollen an den Grenzen. Als «geeignetes Mittel» bezeichnet es dagegen der Wirtschaftsverband economiesuisse. Dies, da «ein weiterer Teillockdown keine Option ist», wie der gewichtige Verband in einer Mitteilung schreibt. Mit dieser Massnahme würde der Bundesrat auch sein Versprechen gegenüber den Geimpften einhalten und ihnen keine neuen Einschränkungen auferlegen.

Anderer Meinung ist der Schweizerische Gewerbeverband (sgv). Eine solche Pflicht führe «zu Diskriminierung und zu zusätzlichen Aufwänden und Ertragsausfällen», wie es in einer Mitteilung vom Montag heisst. Eine Ausweitung sei «weder verhältnismässig noch geeignet», zudem schreibt der sgv, dass es sich hier um eine «Massnahme der Massnahme wegen» handelt. Es solle weiterhin auf «Contact-Tracing, Schutz­kon­zepte, Tests und Impfen» gesetzt werden.