
Kommunikation im Spital: Schweigen schadet Ihrer Gesundheit
Es dürfte eigentlich niemals vorkommen: Bei einer Operation wird ein Tupfer, eine Kompresse oder sogar eine Pinzette im Innern des Patienten vergessen. Trotzdem passiert es in der Schweiz jedes Jahr bei einer von 8000 Operationen – und das, obwohl über das gebrauchte Material im Operationssaal genau Buch geführt wird. Wie zahlreiche Untersuchungen zeigen, treten diese Fehler häufig bei unerwarteten Komplikationen oder bei Schichtwechseln im Team auf. Und manchmal traut sich schlichtweg niemand zu sagen, dass ein Tupfer fehlt.
Im Spital ist viel Fachwissen vorhanden. Fehler passieren dennoch: nicht selten wegen der Kommunikation. Soziologen, Psychologinnen und Kommunikationswissenschafter sind dabei, das Zusammenspiel von Ärztinnen, Pflegenden und Patienten zu verbessern. Schon nur die Zusammenarbeit innerhalb der verschiedenen Berufsgruppen ist oft schwierig. Die Gesundheitssoziologin Julie Page von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) sagt, eine Erklärung dafür seien die Prestigeunterschiede zwischen den Gesundheitsberufen. Page räumt zwar ein, dass es ganz ohne Hierarchien nicht gehe: «Aber warum soll immer der Arzt oder die Ärztin entscheiden, warum nicht auch einmal die Pflegenden, wenn es der Situation entspricht?» Sie ist überzeugt, dass dadurch weniger Fehler passieren: «Wer mehr Mitsprache hat, ist auch mehr involviert.»
Simulator für Notfallteams
Doch manchmal bleibt für die Kommunikation wenig Zeit: Wie die Teamarbeit in Notfall-Situationen funktioniert, untersucht die Psychologin Michaela Kolbe als Leiterin des Simulationszentrums des Universitätsspitals Zürich. Ähnlich wie in einem Flugsimulator trainieren dort Teams von Ärzten und Pflegenden den Umgang mit Notfallpatienten – etwa einem Unfallopfer mit einem blockierten Atemweg oder einer Frau mit schweren Blutungen nach einer Geburt. Die Szenarien sind lebensecht gestaltet. Nur der Patient wird durch eine Puppe verkörpert. Anhand von Beobachtungen und Videoaufzeichnungen besprechen Simulationsinstruktoren mit den Teams, welche persönlichen Annahmen und Teamdynamiken ihre Handlungen beeinflusst haben.
«Eine der grössten Schwierigkeiten ist, dass die Rollenverteilung nicht explizit angesprochen wird», sagt Kolbe. «Jeder denkt, es ist sowieso klar, wer was macht – aber dann ist es plötzlich doch nicht so klar.» Deshalb empfiehlt sie, in einem kurzen Time-out am Anfang abzusprechen, wer welche Funktion übernimmt. Sie rät ihren Teams auch, in Stresssituationen alle zehn Minuten für zehn Sekunden innezuhalten, um die Situation neu zu überdenken. «Das ist kontraintuitiv und für Kliniker enorm schwierig, weil sie glauben, dass es zu viel Zeit kostet. Doch in Wirklichkeit gewinnt man Zeit, weil weniger Fehler passieren.»
Es gibt noch einen anderen Grund, weshalb Fehler im Spital passieren – und das nicht nur in Notfällen: «Oft sagen Teammitglieder nichts, wenn sie einen Fehler bemerken oder eine Anweisung nicht richtig verstehen», sagt Kolbe. «Die Hürden für eine offene Kommunikation sind im Spital unermesslich hoch.» Deshalb müssen ihrer Ansicht nach die Teamleiterinnen und -leiter klarstellen, dass ein solches Speakingup erwünscht ist: Indem sie ihre Mitarbeitenden explizit dazu auffordern und selber positiv reagieren, wenn sich tatsächlich jemand traut.
Der Effekt solcher Simulationsübungen lässt sich nur schwer mit Zahlen beziffern, da viele andere Faktoren Einfluss haben. Doch anhand von Umfragen hat Kolbe bestätigt, dass die Teilnehmenden ihre Erkenntnisse in der Praxis umsetzen. So verläuft nach Angaben von Rettungssanitätern die Übergabe von Notfallpatienten an das Spitalteam nun geordneter. Auch eine am Universitätsspital Basel unter Leitung von Sabina Hunziker durchgeführte Vergleichsstudie zeigte, dass Medizinstudierende bei der Wiederbelebung effektiver handelten, wenn sie neben technischen Anweisungen auch Instruktionen zur Koordination und Führung erhielten. Der gemessene Effekt hielt zudem mehrere Monate lang an.
Patienten schweigen nicht
Während die Patientinnen und Patienten bei Notfällen und Operationen nicht viel mitbestimmen können, sieht die Situation im Spitalalltag ganz anders aus. «Seit vielen Jahrzehnten gibt es Bestrebungen, den Patienten in den Mittelpunkt zu stellen», erklärt der Kommunikationswissenschafter Peter Schulz, Direktor des Instituts für Kommunikation und Gesundheit der Università della Svizzera italiana (USI). Dazu gehört vor allem, dass Ärztinnen nicht über die Köpfe der Patienten hinweg entscheiden, sondern diese in Entscheidungsprozesse mit einbeziehen.
Eine Metastudie, die Schulz mit Kollegen durchgeführt hat, zeigt, dass sich dieses sogenannte «Patient Empowerment» durchaus lohnen kann: «Wenn der Patient aktiv in die Entscheidungsfindung einbezogen wird, so wirkt sich das positiv auf die Zufriedenheit und den Gesundheitsstatus des Patienten aus.» Allerdings seien die gemessenen Effekte eher klein.
Zu viel «Patient Empowerment» kann laut Schulz unter Umständen aber auch gefährlich werden – nämlich dann, wenn Patienten ihre eigene Gesundheitskompetenz überschätzen: «Vor allem durch das Internet geraten Patienten oft an falsche oder widersprüchliche Informationen und wollen dann gegen den Rat ihres Arztes handeln.» Wenn Patienten mit solchen Fehlinformationen kommen, seien viele Ärztinnen und Ärzte überfordert – einige reagierten verärgert, andere liessen die Patienten einfach gewähren. Schulz hält es deshalb für wichtig, dass Ärztinnen lernen, im Gespräch mit Patienten mit solchen Situationen umzugehen.
Gesprächsführung für Ärzte
«Ein patientenzentriertes Gespräch heisst nicht, dass der Patient gewinnt», sagt auch Wolf Langewitz vom Universitätsspital Basel. Der emeritierte Professor für Psychosomatik und medizinische Kommunikation hat zahlreiche Publikationen darüber verfasst, wie ein erfolgreiches Patientengespräch strukturiert sein muss – und dabei geht es nicht nur darum, dass die Patientin am Ende zufrieden ist. Wichtig ist auch, dass die Ärztin alle relevanten Informationen vom Patienten bekommt und der Patient die Anweisungen des Arztes richtig versteht: «Darum darf die Ärztin die Führung und Verantwortung für das Gespräch nicht einfach aus der Hand geben mit der Begründung, den Patienten in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen stellen zu wollen.»
Er rät Ärzten deshalb, gleich zu Beginn Inhalt und Zeitrahmen des Gesprächs mit dem Patienten zusammen klar zu definieren. Innerhalb dieses Rahmens erhält der Patient den Raum, seine Anliegen und Sorgen anzubringen. Mithilfe verschiedener Gesprächstechniken können Ärzte ihre Patienten dabei unterstützen: So können etwa bewusste kurze Gesprächspausen den Patienten dazu anregen, noch mehr zu erzählen. Eine kurze Wiederholung des Gesagten stellt sicher, dass der Arzt alles richtig verstanden hat und dass der Patient nichts mehr ergänzen möchte.
In vielen medizinischen Fakultäten der Schweiz werden angehende Mediziner mittlerweile in der Kommunikation mit Patienten geschult. Das Pflichtprogramm für Basler Medizinstudierende, das Langewitz mitentwickelt hat, umfasst dabei neben der Theorie zu Gesprächstechniken simulierte Patientengespräche mit Schauspielerinnen und -spielern sowie das professionelle Verhalten beim Überbringen schlechter Nachrichten. Langewitz bedauert allerdings, dass die Ausbildung nach Abschluss des Studiums nicht weitergeht: «Leider gibt es nur in wenigen Spitalabteilungen ein obligatorisches Kommunikationstraining.» Aber auch erfahrene Mediziner, Pflegende und Therapeuten können in diesem Bereich noch einiges dazulernen: Dies zeigt das Beispiel des Paraplegiker-Zentrums Nottwil, wo eine regelmässige Kommunikationsschulung und Supervision des Kaderpersonals zu einer Verbesserung der Patientenzufriedenheit geführt hat.