Kopf und Beine unter Starkstrom – Ein Selbstversuch im Orientierungslauf

Unsere Autorin hat sich – anlässlich des Aargauer 3-Tage-OL in Vordemwald – mit 700 Läuferinnen und Läufern ins Abenteuer Orientierungslauf gestürzt. Ein Erlebnis mit Auf und Abs.

Einen Sinn für Orientierung, Talent beim Kartenlesen und eine gute Lauffähigkeit: Von all diesen Voraussetzungen, welche die meisten Orientierungsläufer mit sich bringen, kann ich leider nur träumen. Trotzdem habe ich mich am Wochenende – im Rahmen des Aargauer 3-Tage-OL in Vordemwald – dem Abenteuer Orientierungslauf gestellt. Voller Spannung begebe ich mich an diesem regnerischen Freitagabend zum Wettkampfzentrum bei der Turnhalle, wo sich zahlreiche Läuferinnen und Läufer eingefunden haben. Beim Informationsstand erwartet mich bereits Martin Aggeler. Der 57-Jährige läuft seit bald 20 Jahren OL und kümmert sich bei diesem Anlass des Orientierungslaufklubs Wiggertal (OLK) um die Finanzen. Vor allem aber führt er mich in die Welt dieses Ausdauersports ein. Zu meinem Glück, denn ohne seine Unterstützung wäre ich vermutlich noch immer auf der Suche nach den orange-weissen Posten.

Doppelte Herausforderung

Martin Aggeler erklärt, wie das Anmeldeprozedere abläuft und zeigt die verschiedenen Kategorien auf. Wir entscheiden uns in der Offenkategorie für die mittlere Distanz, die 1,8 Kilometer misst, eine Steigung von 60 Metern aufweist und 12 Posten umfasst. «Locker, das ist ja keine Distanz», denke ich in diesem Moment. Dass ich das Ganze unterschätze, wird sich noch zeigen. Vor dem Wettkampfzentrum haben sich inzwischen noch mehr OL-Begeisterte eingefunden. Martin Aggeler erzählt mir von einer Bekanntschaft mit einem Dänen, der mit seinem Camper auf der Durchreise sei und sich spontan mit seinem Sohn für den OL angemeldet hat. Als Orientierungsläufer halte man oft auch in den Ferien Ausschau, ob irgendwo ein OL angeboten werde. Ausgestattet mit einem Kompass und einem Badge begeben wir uns zum Start, der sich in der Nähe des ehemaligen Restaurants Tannenbaum befindet. Unterwegs begegnen wir unter anderem Nationalrätin und Orientierungsläuferin Ruth Humbel. Zudem erfahre ich jede Menge über Martin Aggeler, der 1998 erstmals an einem Wettkampf teilgenommen hat. «Wir haben mit einer befreundeten Familie in Lenzburg einen Stadt-OL gemacht. Dort haben wir alle Posten gefunden und das war wohl der nötige Kick, um weitere Läufe zu bestreiten», sagt der Zofinger und meint: «Mich fasziniert das unterschiedliche Gelände. Ob im Jura, den Bündner Alpen, im Tessin oder eben bei uns, das Laufgebiet ist so unterschiedlich.» Bei dieser Gelegenheit macht mich mein Begleiter darauf aufmerksam, dass ein Sprint-OL, wie wir ihn zurücklegen, meist nicht im Wald stattfinde, sondern eher im urbanen Raum. In Städten oder Dörfern werden als Postenstandorte vielmehr Brunnen, Hausecken, Gartenzäune, Einzelbäume oder markante Objekte verwendet. Wir müssen nun also eine doppelte Herausforderung meistern. Das macht den diesjährigen Aargauer 3-Tage-OL auch spannend. Seit zwei Jahren bereitet sich der OLK Wiggertal intensiv auf das Event vor. 2008 war der Verein letztmals Gastgeber dieses Anlasses. Aufwendig und teuer sei vor allem die Erstellung der verschiedenen Karten. Denn damit die Sportart überhaupt ausgeübt werden kann, benötigen die Läufer nebst einem Kompass eine spezielle mehrfarbige Karte, auf welcher nebst den Posten auch Details wie Wurzelstöcke, Grenzsteine, Bäche, Sperrgebiete oder Schneisen eingezeichnet sind.

Crashkurs Kartenlesen

Jetzt heisst es nur noch Karte fassen und los gehts. Für das Erfassen der Posten trägt Martin Aggeler einen elektronischen Badge. Aus zeitlicher Sicht sei die Methode effizienter als das Abstempeln einer Laufkarte. Zudem sei eine detaillierte Auswertung möglich. Vor uns startet zufällig der Däne, von dem mir mein Begleiter anfänglich erzählt hat. Und los gehts. Martin Aggeler, der als Geschäftsführer der Personalvorsorgestiftung der Ringier Gruppe tätig ist, betätigt den Badge. Es ist gleichzeitig der Startschuss dafür, dass wir die Karte erstmals anschauen dürfen, diese nach Norden ausrichten müssen und dann losrennen können. Sämtliche Posten müssen wir der Reihe nach anlaufen. Im unwegsamen Gelände rennen wir über Stock und Stein durch das mit Dornen und Gräben versetzte Gebiet. Vorbei an Fliegenpilzen, Bächen und Tannenbäumen. Dass wir quer durch den Wald laufen, war mir zuvor nicht bewusst. Vielmehr glaubte ich, dass sich sämtliche Posten an Wegrändern befinden. Mitten in der Natur ist es zwar wunderschön, schnell wird mir aber auch klar, dass mir die richtige Ausrüstung fehlt. Dornen stechen mich durch die Trainerhosen, mit meinen Turnschuhen lege ich hie und da eine Rutschpartie hin. Gleichzeitig laufen andere durch das Gelände, als ob es ein Hallenboden wäre. Nach etwas mehr als vier Minuten erreichen wir den ersten Posten auf einem kleinen Hügel. Schnelle Entscheidungen sind gefragt, kurze Wege ebenso. Doch bevor es weitergeht, benötige ich nochmals einen Crashkurs im Kartenlesen. Geduldig erklärt mir Martin Aggeler, was die verschiedenen Grüntöne bedeuten. All diese Finessen in der Natur zu unterscheiden fällt mir schwer. Dank der Hilfe meines Begleiters begeben wir uns von Posten zu Posten. Mal schneller, mal langsamer. Dass wir einzelnen Läufern bei der Orientierung helfen, hat sicher auch dazu beigetragen, dass wir am Ende nicht Bestzeit gelaufen sind. Nach 47,15 Minuten erreichen wir aber das Ziel und stehen als Fünfte nicht einmal am Ranglistenende (total acht Teilnehmer). Den einen oder anderen Spruch müssen wir uns zwar anhören, doch was zählt, ist die Erfahrung. Eines kann ich mit Sicherheit sagen. OL ist weit mehr, als einfach durch den Wald zu rennen und Posten anzulaufen. Sowohl Kopf als auch Beine sind gefordert. Hätte ich Talent oder wäre ein GPS erlaubt, würde ich es bestimmt öfters tun.