
Krav Maga: Technisch eins auf die Rübe geben – mit Video
SELBSTVERTEIDIGUNG Auf das richtige Verhalten kommt es an
Was ist im Falle eines (möglichen) Angriffs das richtige Verhalten? Was kann einem Opfer helfen? Head Instructor Roger Wyss gibt die folgenden Tipps mit auf den Weg:
■ Deeskalierend wirken: Sofort das Gespräch mit dem Gegenüber suchen.
■ Das Gegenüber auf Distanz halten. Sich selber aus der Gefahrenzone schieben und klar signalisieren: «Bis hierhin und nicht weiter.»
■ Mit der Stimme arbeiten: Laut werden und, falls der Name des Gegenübers bekannt ist, ihn oder sie unbedingt mit dem Namen ansprechen. Das hilft meistens sofort.
■ Wenn eine Fluchtmöglichkeit besteht, flüchten.
■ Falls ein Angriff stattgefunden hat und man entkommen konnte, sofort die Polizei alarmieren.
■ Spitze Gegenstände (Lippenstift, Kajal, Kugelschreiber, Bleistift, Schlüssel ect.) zur Notwehr einsetzen: Dazu den Gegenstand in die Hände nehmen, um sich mit einem Schlag effektiver zu wehren.
■ Pfefferspray ist sehr wirksam, allerdings gilt dies nur, solange er richtig eingesetzt wird. Der Sicherungsverschluss muss entfernt und das Ablaufdatum beachtet werden. Ein abgelaufener Spray verliert seine Wirkung. Der Pfefferspray muss stets griffbereit sein.
Mit einem lauten Knall krachen starke Fusstritte gefolgt von harten Faustschlä- gen gegen rote Schutzkissen. Es ist warm, fast schon heiss im Dojo beim Schulhaus Sonnmatt in Oftringen. Trotz der offensichtlichen Anstrengung ist Freude in den Gesichtern der Trainierenden zu sehen. Doch sie üben weder für einen Wettbewerb noch zum Formen ihres Traumkörpers – hier geht es einzig und allein um Selbstverteidigung.
Schnell zu erlernen
Krav Maga nennt sich das israelische Selbstverteidigungssystem, welches Roger Wyss und Roland Stadler bereits seit zehn Jahren in Oftringen lehren. «Krav Maga ist effizient und schnell erlernbar. Es agiert über den direkten Weg und ist sehr kampferprobt», erklärt Head Instructor Roger Wyss. Krav Maga Self-Protect, wie es heute an vielen Orten in der Schweiz gelehrt wird, ist eine moderne Art der Selbstverteidigung, die stark auf Schlagund Tritttechniken setzt. Es setzt sich aus mehreren Kampfkünsten zusammen und die Erfahrungswerte aus den verschiedenen Kulturen und ethnischen Gruppen finden sich im Krav Maga wieder.
Erlernbar ist es für jede und jeden. Einzige Einschränkungen: Wer Krav Maga erlernen will, muss volljährig sein und darf keine Vorstrafen haben, wobei kleinere Verbrechen wie Falschparken davon ausgenommen sind. «Wir wollen jemandem, der gewalttätig geworden ist, kein Rüstzeug dazu geben, dass er seine Gewalttä- tigkeit mehr oder effizienter einsetzen kann», erklärt Wyss die Wichtigkeit eines sauberen Vorstrafenregisters.
Sich wehren kann zwar auch, wer keine Ausbildung hat (siehe Box), aber es ist natürlich durchaus hilfreich, einen Kurs absolviert zu haben. Mitglied Phyllis Doll aus Oftringen meint: «Eine Frau, die mehr Selbstbewusstsein ausstrahlt, weil sie weiss, wie sie sich verteidigen kann, wird seltener zum Opfer, als eine Frau, die schon mit der Einstellung ‹Oh, nein, der greift mich sicher an› auf einen potenziellen Angreifer zugeht.» Phyllis Doll ist eine der wenigen Frauen, die in Oftringen Krav Maga erlernt. Viele schrecke es ab, dass Krav Maga unter anderem auch beinhalte, dreinzuschlagen und einzustecken. Dass es eigentlich vielmehr um Techniken gehe, sei eher unbekannt.
Aufkommende Gewalt
Wilde, unkontrollierte Gewalt ist hingegen auf den Strassen anzutreffen. Roger Wyss sagt: «Dort geht es extrem schnell. Ein Schlag kann entscheiden.» Deswegen zielt Krav Maga auf Effizienz und Schnelligkeit. Regeln gibt es keine. Hier unterscheidet sich Krav Maga am stärksten von anderen Kampfkünsten wie Karate oder Judo. Ohne Regeln kann es auch keine Wettkämpfe geben.
Anwenden musste Roger Wyss sein Können dennoch. «In diese Situation bin ich leider schon geraten», sagt er. Es sei eine Waffenbedrohung gewesen, die er durch die Anwendung seiner Kampfkunstkenntnisse klären konnte. «Seither kann ich mit Leuten mitfühlen, die selber so etwas erlebt haben und im Training besser darauf eingehen.» Nicht jeder hat das Werkzeug, um sich zu wehren und gewalttätige Übergriffe werden nicht seltener.
Die aufkommende Gewalt erklärt sich Wyss einerseits durch die wirtschaftliche Situation und die Unzufriedenheit der Gesellschaft, andererseits aber auch dadurch, dass mittlerweile relativ viele Menschen zusammenleben. «Der Mensch ist für diese Massen nicht geschaffen. Das löst Stress und Aggressionen aus, was wiederum die Gewaltbereitschaft fördert», so Wyss. Dem stimmt auch Jakob Affolter aus Brittnau zu. Der Krav-Maga-Schüler sagt: «Auf der Strasse kann dir mittlerweile alles passieren. Gerade deswegen kann man froh sein, wenn man gelernt hat, wie man sich selber verteidigen kann.» Falsch reagiert in erster Linie schon mal jeder, der nicht auf seine inneren Instinkte hört. Smartphones blenden die Umwelt aus. Wyss weiss: «Das ist ein grosses Risiko, da man oft erst wahrnimmt, was in der Umwelt passiert, wenn es bereits zu spät ist.» Besonders das mulmige Gefühl, das warnt «geh nicht durch diese Gasse», gilt es, nicht auszublenden. Es sei sicherer, einen anderen Weg zu suchen.
Auch Zivilcourage ist von grosser Wichtigkeit, egal, welche Ausbildung man hat. «Wer eine Situation beobachtet, sollte als Erstes die Polizei alarmieren», sagt Wyss. Danach muss der Angreifer auf einen aufmerksam gemacht werden, sodass dieser merkt, dass das Opfer nicht alleine ist. Wer es sich nicht zutraut, sollte aber lieber auf Distanz bleiben, als dazwischen zu gehen. Wyss selber sagt, er würde ohne zu zögern eingreifen. «Mein Wissen gebe ich gerne weiter. Das habe ich mir gross auf die Fahne geschrieben», sagt er.