
Kulturjournalistin Madeleine Schüpfer: «Kultur hat immer etwas Elitäres»
Vor Jahren wars. Da hat sie die Vermutung des Schreibenden in einer Diskussion um Kunst und Kultur erhärtet. Wohl unbewusst. Im ungewohnten Tonfall hob sie damals an, liess das Glas von der einen in die andere Hand wandern und sagte dann fast entschuldigend: «Kultur hat immer etwas Elitäres.» Eine Zehntelsekunde Ohrensausen beim Schreibenden ob so viel Direttissima. Dann der Gedanke: Die Bemerkung ist eigentliches Zeugnis eines unverstellten Blicks auf Kunst- und Kulturbetrieb. Und sie stammte überraschenderweise – von Madeleine Schüpfer: MS, Kulturtante, d’Madleeen, d’Schalek, wie sie in der hiesigen Szene nicht selten geheissen wird. Am Montag feiert sie ihren 80. Geburtstag.
Die Schalek der Region
Auf den Übernamen Schalek könnte sie eigentlich stolz sein. Alice Schalek, österreichische Journalistin, Fotografin, Autorin, Rednerin, Reisende. Als Journalistin verfasste sie sowohl Reisefeuilletons als auch Kriegsberichte zum Ersten Weltkrieg; sie war dabei die einzige Kriegsberichterstatterin des k.u.k. Kriegspressequartiers. Vielleicht ist Madeleine Schüpfer als Kulturjournalistin tatsächlich auch stolz auf diesen Beinamen, aber sie würde diesen Stolz im Zirkel eines mehr oder minder vertrauten Personenkreises bewahren wollen, ihn bei Gelegenheit mal so ganz en passant herzeigen, aber ihn nicht hinausposaunen, so wie sie überhaupt nichts hinausposaunt.
Was sie im Vertrauten von sich gibt, sagt sie in einer der Situation angepassten Tonalität. Wer ihre Kunstkritiken liest, ihre Worte bei Vernissagen hört, wird sich in zweierlei Hinsicht schwertun: Weder sind der ultimative Superlativ noch der vernichtende Hammerschlag zu finden. Wer ihre Gewichtung erlesen und erhören will, braucht Erfahrung; und zwar jahrelange, um Nuancen herauszuspüren. Vielleicht hat ihre grundsätzliche Haltung zu Kunst und Kultur mit ebendiesem Satz zu tun, nach welchem Kultur immer etwas Elitäres, Auserlesenes, Ausgesuchtes ist.
Ihre Maxime darum: Mit Kultur durchaus grosszügig, aber behutsam umgehen. Bei deren Preisung keine marktschreierischen Töne anschlagen. Bloss nicht. Denn wer sich mit Kultur beschäftigt, ist sehend, empfindend, hörend, beobachtend. Und zwar wider den Rausch des aktuellen Zeitgeistes, wo der Moment alles und die Stunde schon nichts mehr ist. Madeleine Schüpfer nickt. «Kultur ist eine Ebene des Betrachtens. Das ist eine individuelle menschliche Fähigkeit, die es zu bewahren gilt und die Respekt verdient», sagt sie. Das hat sie auch als Mitarbeitende dieser Zeitung bewiesen.
Studium und Liebe in Zürich
Mit «bürgerlich aufgewachsen» beschreibt Madeleine Schüpfer Oltner Kindheit und Jugend, gemeinsam verbracht mit drei Geschwistern. Später, als Studierende der Germanistik, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaften an der Uni Zürich etwa, sie lacht, habe sie sich in der Zwingli-Stadt verliebt und geheiratet. Den Mann, den sie als zweifache Mutter später durch einen Arbeitsunfall verlieren wird.
Olten, Starrkirch-Wil, Hergiswil (NW), Sempach (LU) und Olten sind Lebensstationen von Madeleine Schüpfer, die schliesslich wieder in der Heimatstadt landet, nicht strandet. Am Adam- Zeltner-Weg, in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Eltern. Dort entsteht ein Mehrgenerationenensemble in zwei Häusern. «Das war sehr gut», sagt sie kurz und tritt im obersten Stock ihres Heims, wo sie zu schreiben pflegt, auf die Dachterrasse, mit hübschem Blick auf die Stadt, St. Martin ziemlich nah.
Da passt, dass sie in Kirchen jeweils eine oder mehrere Kerzen anzündet, in der Hoffnung – oder ists mehr Glaube? –, deren warmes Licht würde Gutes verbreiten, Menschen begünstigen, unterstützend eingreifen, oder, wie sie sagt, «gute Gedanken übermitteln». Natürlich sei das naiv, sagt sie dann. Vielleicht dem Umstand geschuldet, dass ihr Leben Symbiose aus Poesie und Realismus sei. «Mag eigenartig klingen», räumt sie ein. Aber es sei dennoch so.
Wegen Madeleine Schüpfers Engagement auf kultureller Ebene geht gerne vergessen, dass sie von 1993 bis 2001 als Stadträtin für die CVP aktiv war. «Der heutige Stadtpräsident Martin Wey hatte mich seinerzeit angefragt, ob ich kandidieren wolle», schmunzelt sie. Sie wollte, wurde gewählt und Bildungsdirektorin und bezeichnet diese Phase ihres Lebens als jene, in welcher sie demokratische Prozesse aus dem Effeff kennen gelernt habe. «Aber ich muss gestehen: Ich bin ein Exekutivnaturell; die Legislative hat mich nie gereizt, von dort hatte ich oft den Eindruck, es gehe ausschliesslich um die Darstellung des eigenen Ich und ums Nörgeln.»
Da ist sie wieder, diese eher ungewohnte Direttissima. Pech übrigens für jene, die Madeleine Schüpfers Geduld und Hilfsbereitschaft über die Massen beanspruchen, sich ihrer aber im bestimmten Moment nicht zu erinnern vermögen. «Da reagiere ich verstimmt», gesteht sie. «Irgendwann habe Selbstlosigkeit ein Ende, ihr Resümee. Und: Für diese Erkenntnis habe sie 80-jährig werden müssen. Sie, die schier jeder Ausstellung in der Region vorausgeeilt oder hinterhergerannt ist und die letztlich mit ihrer Kritik versehen auf der Redaktion dieser Zeitung landete. Selbst Kritiker ihrer Arbeit sagten, wenn sie das mal nicht mehr mache, mache dies niemand mehr.
Lüsterner Schalk
Wer 80-jährig ist, kann ein bisschen zurücksehen. Aber die Kulturjournalistin will nicht so recht zurücksehen, höchstens unauffällig, nicht institutionell. Ein kleiner Rundgang durchs Wohnhaus verrät: Wände und Abstellflächen zeugen vom lange währenden breiten Kultursinn. Bilder von guten Bekannten, Kunstschaffenden teils fast unbekannter Provenienz.
Mal am Hungertuch nagende oder absolut arrivierte Gestalten haben sich am Adam-Zeltner-Weg verewigt: Eugen Bollin, der an den deutschen Expressionismus erinnert, Serge Brignoni, Vertreter der Avantgarde des 20. Jahrhunderts, Albert Anker, Vreny Brand-Peier, Roman Candio, Franz Anatol Wyss, Vincenzo Cosentino, Paul Gugelmann und, und, und. Zu brav, zu heil? Madeleine Schüpfer wäre nicht Madeleine Schüpfer, hielte sie nicht den puren Kontrapunkt bereit. Da sind auch Frivolitäten an die Wand gezimmert, mit Schalk dargestellte lüsterne Derbheiten, ein bisschen im Schummerlicht präsentiert, aber keineswegs versteckt.
Keine Bilder für Sonntagsschüler. «Gute Kultur ist, wenn ich den Eindruck habe, sie komme ehrlich aus dem Innern», sagt Madeleine Schüpfer. Eine einfache Argumentation; eine, die über weite Zeiträume gültig bleibt. Manchmal sagt diese Frau so Dinge scheinbar aus dem Bauch heraus, an denen andere eine schöne Weile herumstudieren und doch nie zu einem Schluss kommen.
«Kultur leidet an zu geringer Wahrnehmung», sagt sie dann. Und lobt die Stadt Olten, deren kulturelles Leben sie schon fast bewundernd hervorhebt. Dass sie Teil davon ist und war, beweist ein Blick auf ihr Œuvre, in groben Zügen festgehalten auf SoKultur, dem kantonalen Kuratorium für Kulturförderung. Die früheste Erwähnung datiert aus dem Jahr 1987, als sie «In den Wind geschrieben» publizierte; ein Gedicht-Bildband mit Vreni Brand-Peier, Vorwort von Peter André Bloch, einem ihrer Zeitgenossen. Das ist mehr als 30 Jahre her. «Und jetzt bin ich achtzig», sagt sie fast ungläubig, unaufgeregt. Sie trägt dies mit Stil. Und wir gratulieren.