
Lieber süss und billig – Schweiz ist noch weit entfernt von einer Zuckersteuer
Zu viel Zucker ist zu teuer
KOMMENTAR VON NIKLAUS SALZMANN
Halb so viel Zucker wie bisher sollten wir zu uns nehmen, empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation. Um gerade mal 13 Prozent haben die Produzenten von Süssgetränken den Zuckergehalt ihrer Produkte freiwillig reduziert – und dazu elf Jahre gebraucht. Das reicht nicht. Für ihren Anteil zum Erreichen des WHO-Ziels benötigen sie in diesem Tempo noch fünfzig Jahre. Ähnlich sieht es beim Essen aus. Einige Müesliproduzenten haben sich mit dem Gesundheitsminister auf mickrige zehn Prozent Reduktion geeinigt, bei Joghurt liegt die Vorgabe noch tiefer. Demgegenüber kämpft unser Land mit stetig steigenden Gesundheitskosten. Herz-Kreislauf-Krankheiten schlagen mit jährlich zehn Milliarden Franken Behandlungskosten zu Buche, Diabetes mit einer Milliarde. Laut einer gestern publizierten Studie betrachten sich Frau und Herr Schweizer als gut informiert zum Thema Ernährung und müssten also den Zusammenhang zwischen diesen Krankheiten und Zuckerkonsum kennen. Trotzdem schlucken wir Zucker in rauen Mengen. Und sind mit deutlicher Mehrheit gegen eine Zuckersteuer, wie die Befragung zeigte. Dies, obwohl die angestrebten tieferen Gesundheitskosten der Bevölkerung zugutekämen.
Tatsächlich bringt ein Preisaufschlag von ein paar Rappen auf die Cola wohl nur wenige Konsumenten dazu, ihre Gewohnheiten zu ändern. Um die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern, muss der Hebel vielmehr bei den Produzenten angesetzt werden. Damit keine neue Steuer nötig wird, müssen sie sich sehr viel stärker anstrengen.
Wer ein Halbliterfläschen Fanta Orange trinkt, nimmt 51,5 Gramm Zucker zu sich. Das ist mehr als genug für einen Tag – die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt maximal 50 Gramm. Vor und nach dem Süssgetränk liegt also kein gezuckerter Kaffee, keine Konfitüre, kein Dessert mehr drin. Doch daran hält sich kaum jemand. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit schätzt den Zuckerkonsum in der Schweiz auf 110 Gramm pro Tag.
Trotzdem hält die Schweizer Bevölkerung es nicht für nötig, zuckerhaltige Lebensmittel zu besteuern. Das zeigt die Befragung von 1002 Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern durch das Forschungsinstitut GFS Bern, deren Resultate gestern veröffentlicht wurden. Ähnlich scheint die Stimmung im Parlament zu sein: Eine Standesinitiative aus dem Kanton Neuenburg wurde im März im Ständerat mit 24 Nein zu 3 Ja abgelehnt.
Von einer Besteuerung von Süssgetränken, wie sie unter anderem in Frankreich und Grossbritannien in Kraft ist, ist die Schweiz also weit entfernt. Das ist nicht im Sinn der WHO, die eine solche Steuer empfiehlt. Erfreut zeigen sich hingegen die Getränkehersteller, die über ihre «Informationsgruppe Erfrischungsgetränke» die Schweizer Studie in Auftrag gegeben haben. Diese Branche wäre von einer Zuckersteuer direkt betroffen.
Ausgeblendet wurde in der Befragung der Aspekt, wofür die Steuer verwendet würde. Denkbar wäre eine Finanzierung von Zahnbehandlungen, wie sie kürzlich der waadtländer Gesundheitsdirektor Pierre-Yves Maillard vorgeschlagen hatte. Die WHO empfiehlt dagegen, Steuereinnahmen in die Subvention gesunder Grundnahrungsmittel zu investieren. Die Neuenburger Standesinitiative wiederum möchte die Prävention der durch Zucker- und Süssstoffkonsum bedingten Erkrankungen fördern. Und der Prävention gegenüber sind die befragten Stimmbürger wiederum positiv eingestellt.
Massnahmen wie Ernährungskunde in den Schulen und Hauswirtschaft als Pflichtfach wären sehr wohl mehrheitsfähig, heisst es im Bericht. Auch eine Ampelkennzeichnung zum Zuckergehalt wird willkommen geheissen. Rund zwei Drittel der Befragten wünschen, dass die Branche Fertiggerichten keinen versteckten Zucker mehr zufügt. Es sind nur Zwangsmassnahmen wie eben die Zuckersteuer, die in der Bevölkerung unbeliebt sind.
Fast die Hälfte der Befragten stimmten der Aussage zu, dass die Steuer Ärmere stärker belaste. In Mexiko, wo 2014 eine Steuer auf Süssgetränke eingeführt wurde, war es tatsächlich so: Die ärmeren Menschen konnten sich die teureren Süssgetränke nicht mehr leisten, wie Radio SRF gestern berichtete. Insgesamt wurden in Mexiko im ersten Jahr nach Einführung der Steuer sechs Prozent weniger Softdrinks, aber vier Prozent mehr Wasser verkauft.
Für einen Vergleich mit der Schweiz bietet sich jedoch eher Grossbritannien an, wo seit April eine Getränkesteuer erhoben wird, die vom Zuckergehalt abhängig ist. Was mehr als fünf Gramm Zucker pro Deziliter enthält, wird mit umgerechnet 23 Rappen pro Liter besteuert. Ab acht Gramm Zucker pro Deziliter werden 31 Rappen fällig. Noch fehlt es an längerfristigen Erfahrungen, doch ein auf Steuerfragen spezialisiertes Forschungsinstitut in London hat eine Prognose abgegeben: Junge Konsumenten würden reagieren und deutlich weniger Zucker konsumieren. Auf Menschen hingegen, die bereits jetzt besonders viel Zucker zu sich nehmen, werde die Steuer wenig Einfluss haben.
Produzenten reagieren
Doch möglicherweise hatte sich der wichtigste Teil ihrer Wirkung schon vor der Einführung gezeigt: Die Produzenten änderten ihre Rezepturen. Und dies weit schneller als erwartet. Die Behörde für Budgetfragen musste ihre Schätzung der erwarteten Steuereinnahmen um mehr als die Hälfte nach unten korrigieren.
In der Schweiz hat Gesundheitsminister Alain Berset mit inzwischen 14 Firmen Ziele zur Zuckerreduktion in Joghurts und Müesli festgelegt. Innert eines knappen Jahres ist es so gelungen, den zugesetzten Zucker in Joghurts um 3 Prozent und in Müesli um 5 Prozent zu senken.
Bis Ende Jahr soll es nochmals um 2,5 Prozent bei Joghurt und 5 Prozent bei Müesli zurückgehen. Auch die Hersteller von Süssgetränken in der Schweiz sind sparsamer mit Zucker geworden. Laut Angaben der «Informationsgruppe Erfrischungsgetränke» wurde der Zuckergehalt zwischen 2005 und 2016 um über 13 Prozent reduziert.