
Manche sind allergisch auf die Impfung – und lassen sich dennoch impfen
Mit einer Eierkochuhr sitzen die Frischgeimpften mancherorts in den Impfzentren und warten. 15 Minuten Pause sind nach der ersten Dosis vorgeschrieben, damit das medizinische Personal bei einer allergischen Reaktion schnell handeln könnte. Bloss, wie gefährlich ist es, wenn es tatsächlich passiert? Und muss dann auf die zweite Dosis verzichtet werden?
Peter Schmid-Grendelmeier ist Leiter der Allergiestation am Unispital Zürich und hatte schon viele Patientinnen und Patienten, die sich wegen einer Allergie auf die beiden in der Schweiz eingesetzten mRNA-Impfstoffe fürchteten. Das Telefon klingle oft, sagt er. Die tatsächlichen Fälle seien aber «absolut rar».
Im Raum Zürich sind ihm nur fünf oder sechs allergische Reaktionen nach der Impfung bekannt. Meist bekommen die Leute geschwollene Lippen, Atemnot und Nesselfieber. «Das ist ernsthaft genug und unangenehm, aber gut behandelbar», sagt Schmid-Grendelmeier. Den Betroffenen werden Antihistamine und Cortisol verabreicht.
«Soweit mir bekannt, hatten wir im Kanton Zürich noch keinen Fall von Herzstillstand, zum Glück.»
Auch für diesen Extremfall wären die Impfzentren und Arztpraxen vorbereitet.
Schweizweit drei allergische Schocks
Der Heilmittelbehörde Swissmedic sind aus den bislang 4300 Nebenwirkungsrückmeldungen auf die Impfstoffe schweizweit 39 Fälle von starken allergischen Reaktionen und drei Fälle von anaphylaktischen Schocks bekannt. Daneben wurden 124 unterschiedlich starke Überempfindlichkeitsreaktionen gemeldet, die mit Allergien im Zusammenhang stehen. Todesfälle in Verbindung mit Allergien gab es keine.
Manche Leute wissen bereits vor der Impfung, dass sie zum Beispiel auf Polyethylenglykol (PEG) allergisch sind, denn dieser Stoff ist in den meisten Kosmetika zu finden, wie Crèmes, Zahnpasta, Deos aber auch in Medikamenten wie Abführmittel (Macrogol) und in manchen anderen Impfstoffen oder Schmerzmitteltabletten (Novalgintabletten).

Geschwollene Lippen kann es auch bei einer allergischen Reaktion auf eine Impfung geben. Nicht nur bei Lebensmittelunverträglichkeiten.
Auch für Tromethamin, das im Impfstoff enthalten ist, kann eine Allergie bereits bekannt sein, da die Substanz oft in Infusionslösungen, Augentropfen und Crèmes zur Stabilisierung verwendet wird. Ebenso Polysorbat 80, das als Emulgator (E433) in Lebensmitteln, Kosmetika und Arzneien eingesetzt wird.
Häufig ist die allergische Reaktion nur ein Ausschlag. Dann ist die Covid-Impfung gut möglich. Heikel sind aber durchgemachte Reaktionen wie Atemnot oder Kreislaufbeschwerden. Dann kann beim Allergologen ein Hauttest gemacht werden. Wie jener 38-jährige Mann, der schon auf andere Medikamente allergisch reagierte und nicht wusste, ob es eine Reaktion auf PEG war. Der Test fiel negativ aus; der Patient hat inzwischen die erste Impfdosis erhalten, ohne allergische Reaktion.
Impfung wird in Portionen verabreicht
Hauttests mit den PEG-Substanzen gab es schon, inzwischen kann nun auch ein Test auf die spezifischen Inhaltsstoffe der mRNA-Impfung gemacht werden. «Wenn der Hauttest eine allergische Reaktion zeigt, ist Vorsicht geboten», sagt Schmid-Grendelmeier. «Man kann dann ein Antiallergikum zum Beispiel schon vor der Impfung geben, um die Reaktion zu schwächen.» Wenn dennoch eine starke allergische Reaktion zu befürchten ist, wird vorab eine Infusion gelegt, um die Gegenmittel sofort verabreichen zu können.
Bei solch heiklen Fällen wird die Person während des Impfens und danach genau überwacht und etwa die Herzströme mittels EKG gemessen. Das wird auf der Allergiestation auch so gemacht, wenn Patienten gegen ein Medikament allergisch sind, das sie unbedingt erhalten müssen. «Eine andere Möglichkeit ist, dass wir die Impfung über mehrere Dosen verteilt alle halbe Stunde verabreichen.» Das toleriert der Körper bei Allergien teilweise besser.
Wer eine starke Gefährdung hat, muss einiges mehr in Kauf nehmen als nur einen «Moderna-Arm» und einen Tag Fieber und Gliederschmerzen. Einige würden daher zögern, was der Allergologe nachvollziehen kann.
«Doch viele sind froh, wenn sie die Impfung komplett haben, und nehmen die zweite Dosis in Kauf.»
Selbst wenn es bei der ersten eine allergische Reaktion gab, werde eine zweite Impfung manchmal gut ertragen.
Das bestätigt eine Studie vom Massachusetts General Hospital in den USA, die gestern erschien. 159 Patienten, die eine allergische Reaktion nach der ersten mRNA-Impfdosis hatten, liessen sich ein zweites Mal impfen. Darunter waren 19, die schwere Reaktionen gehabt hatten und von Allergologen beraten wurden. Wiederholte Reaktionen traten nur bei 20 Prozent auf, waren mild und konnten gut mit Antihistamin-Tabletten behandelt werden. Manche hatten sogar gar keine allergische Reaktion mehr.
Anderer Impfstoff könnte bestellt werden
Das kann damit zu tun haben, dass nicht immer klar ist, ob die Reaktion einer Allergie auf die Impfung geschuldet ist. Eine 44-jährige Frau suchte auf der Allergiestation des Unispitals Zürich Rat, weil sie am Tag nach der Impfung einen heftigen Hautausschlag bekommen hatte. Der Hauttest ergab jedoch keine Allergie auf die mRNA-Impfungen. Auch sie tolerierte die zweite Impfung gut.
Theoretisch könnten Allergiker auf einen anderen Corona-Impfstoff ausweichen, wie Astrazeneca, der andere Inhaltsstoffe hat. Laut Swissmedic könnten Ärztinnen und Ärzte eine andere Impfung in solchen Spezialfällen aus dem Ausland bestellen. Ob dies schon gemacht wurde, ist nicht bekannt.
Keinen Grund zur Sorge gibt es übrigens für Leute mit einer Allergie auf Nahrungsmittel, Pollen, Hausstaubmilben oder Insektengifte. Sie können die Impfung ohne Vorsichtsmassnahmen durchführen lassen.