Manon zeigt sich im Spiegel ihrer selbst

Das Krankenbett als letzte Inkarnation des freien Willens: Manon zeigt die neue Installation «Lachgas» zum ersten Mal. Bild: Rachel Buehlmann
Das Krankenbett als letzte Inkarnation des freien Willens: Manon zeigt die neue Installation «Lachgas» zum ersten Mal. Bild: Rachel Buehlmann
Die Künstlerin Manon ist bei der Vernissage anwesend. Bild: spi
Die Künstlerin Manon ist bei der Vernissage anwesend. Bild: spi

Vernissage:

Das Programm: Film, Talk und Manon-on-Tour

Die Ausstellung «Manon» startet morgen Samstag mit der öffentlichen Vernissage im Kunsthaus Zofingen. Vor Ort spricht die Kunstkritikerin Annelies Zwez. Manon ist selber anwesend. Einmal mehr wartet das Kunsthaus mit einem Begleitprogramm auf, das zur vertieften Auseinandersetzung einlädt. So bietet sich am Sonntag, 8. Dezember, die Gelegenheit, im Kulturlokal Palass den Film «Manon – Glamour und Rebellion» zu schauen und anschliessend einem von Stefan Zweifel geleiteten Gespräch mit Manon, Regisseurin Lekha Sarkar und Verleger Patrik Frey zu folgen. Weitere Highlights sind das Künstleringespräch vom 16. Januar und schliesslich die kooperative Busreise Manon-on-Tour vom 25. Januar. Sie führt vom Kunsthaus Zofingen zum Kunstraum Aarau und schliesslich zur Station Badgasthof zum Raben in Baden.

Zur Ausstellung ist die 350 Seiten dicke Monografie Manon im Verlag Scheidegger und Spiess entstanden. Zur Vernissage liegen 50 signierte Exemplare zum Verkauf bereit.

23. November, 17 Uhr.

Öffnungszeiten: Donnerstag,

18 bis 21 Uhr, Samstag/Sonntag jeweils 11 bis 17 Uhr.

www.kunsthauszofingen.ch

Rettung ist nicht immer ein Dienst. Vor allem dann nicht, wenn einen das Innere des Rettungswagens so pink anleuchtet. Das mit Plüsch ausgepolsterte Gefährt vor dem Kunsthaus Zofingen verbindet die Rasanz des Notfalls mit schriller Flauschigkeit. «Chanel No. 5» steht auf dem Infusionsbeutel, der im Wageninnern von der Decke hängt. Dann doch lieber ins Innere des Kunsthauses entfliehen, statt sich an diesen Tropf zu hängen.

Gleitender Blick, Nacktheit und Maske

Hier erwartet einen als erste Impression eine grossformatige Fotografie mit einer kahlköpfigen Figur. So nackt und verletzlich einem dieses androgyne Wesen erscheint, so sehr ist es zugleich Maske des Unpersönlichen. Das Werk aus dem Zyklus «La dame au crâne rasé» 1977/78 greift einem nach wie vor kühl, wenn auch nicht unangenehm ans Herz. Ein zweites Bild zur rechten Hand ist einzelnen Werken der Serie «Hotel Dolores» aus den Jahren 2008 bis 2011 vorangestellt. Hinter einem goldenen Vorhang lugt im Teilprofil das geschminkte Gesicht Manons hervor. Der Blick ist niedergeschlagen, unsichtbare Hände raffen den Vorhang unter dem Kinn so zusammen, dass sich die Figur dahinter abzeichnet. Das von unten her hochgerutschte weisse Stück Saum zentriert den Blick auf der Vertikalen. Empfindet die Figur Trauer? Wirkt ihre schützende Geste neckisch oder verschämt? Der Blick derer, die in Manons inszenierte Fotografien hineintauchen, gerät ob dieser Ambivalenzen ins Gleiten.

Im bröckelnden Stuck blüht Schmerz der Vergänglichkeit

«Hotel Dolores» operiert im Spannungsfeld zwischen Schönheit und Vergänglichkeit. Die dargestellten Szenarien hat die 1940 geborene Manon den Innenräumen alter Badener Bäderhotels abgewonnen. Zwischen 2008 und 2011 hat sie diese Räume Wochenende für Wochenende besucht. Ob abblätternde Tapeten oder bröckelnde Stuckaturen: In diesem Interieur des Zerfalls blüht die Manon auf. Ihre Settings, ob mit oder ohne Kunstfigur, sind theatralische Akte und folgen einer klaren Appellstruktur: «Sieh mich an! Aber wie ich gesehen werden will, das bestimme ich.» In vielen Fotografien ist Manon nicht zu sehen. Und doch ist er stets da, dieser kontrollierte Blick.

Die Hotel-Dolores-Serie spürt in starken Kontrasten von Farben und Formen der Flüchtigkeit der Existenz nach. Auf einer der 189 × 126 Zentimeter grossen Fotografie presst Manon mit weissem Hut unter einer tapetenbezogenen Dachschräge eine stumme Melodie aus dem Akkordeon. Diese Fotografie setzt sich fort in einer weiteren Fotografie mit Metallrost und derart hochhackig hypersexualisierten Schuhen, dass keine Frau sie tragen könnte. Totentanz, Spielform sexuelles Phantasma der Dominanz, diagonale Raumstruktur und Zerfall halten sich hier vieldeutig die Waage. Auf dem Dyptichon gegenüber spannt Manon in einem schmalen Türrahmen ein rosa Fadenspiel auf. Auch hier setzt sich die Fotografie in einem anderen Raum mit Lampe und Vorhang fort: Man hat das Gefühl, hier müsste sich jetzt dann gleich etwas ereignen. Alle Szenarien sind sorgsam ausstaffiert, komponiert, beleuchtet und koloriert – und mit geometrischer Strenge zentriert.

Lachgas – oder Glamour am Krankenbett

Die Erkundung der Flügelspannweite zwischen Leben und Tod, angetrieben von den Schwingen des Zerfalls, erreicht im Obergeschoss die Reduktion aufs Wesentliche. Die Zwangsjacke, das Rüschenkleid, die goldenen Schuhe: Sie alle tauchen im Obergeschoss als Requisiten wieder auf. Nicht in Fotografien, sondern als haptisch fassbare Gegenstände und Teil der Installation Lachgas. Rechtsab ist eine Künstlergarderobe eingerichtet. Drei Spiegel mit Lämpchen, drei Stühle mit Tischchen bieten Platz. Hierlässt es sich an- und abschminken für die Bühne des Lebens. An der Wand hängt wie zufällig eine Zwangsjacke. Sie könnte dafür stehen, dass mit der Wahl einer Rolle auch der Zwang entsteht, die Erwartungen, die mit ihr verknüpft sind, zu erfüllen.

«Die Garderobe versinnbildlicht die Jugend», sagt die Künstlerin. «Im grossen Saal ist das Alter zu sehen.» Dort steht mitten im Raum präzise ausgeleuchtet ein Spitalbett auf einem Podest. Dessen Rand zieren zahlreiche Lämpchen. Für eine Spur Glamour ist ein bewegter Lichteffekt besorgt. Er verhindert, dass die Installation statisch wirkt. «Lachgas» ist psychoaktiv, schmerzstillend – und betäubend. Die Installation ist es nicht. Der Spiegel der Künstlerin, der den Wandel der Gestalten anleitet, ist blind geworden und flach umgekippt. An die Vielfalt möglicher Rollen ist die Endlichkeit und Reparaturbedürftigkeit des Körpers getreten. Es ist nicht nur eine letzte Inszenierung, sondern auch ein letzter Akt der Souveränität im Umgang mit sich selbst.