
Massentests: Druck auf die Kantone steigt, doch die wollen weiterhin keinen gemeinsamen Weg
Während zwölf Wochen hat der Kanton Bern in Schulen eine Million repetitive Coronatests gemacht – und dabei nur 350 positive Fälle gefunden. Zu wenig, findet der Kanton – und verzichtet seit dieser Woche auf regelmässige Massentests. Ins Röhrchen gespuckt werden muss nur noch, wenn innert fünf Tagen zwei bis drei Coronafälle entdeckt werden. Dafür gilt ab der 5. Klasse bei einem positiven Fall eine Maskenpflicht. Auch andere Kantone setzen vermehrt auf dieses Instrument.

Der Schwyzer Bildungsdirektor Michael Stähli.
In der Woche vom 28. Juni bis 3. Juli förderten 6817 Tests an Schwyzer Schulen lediglich zwei positive Resultate zu Tage. Die Schwyzer Regierung setzt trotz Kritik der SVP («unsinniges Massentest-Experiment») auch nach den Sommerferien auf obligatorische Massentests ab der 3. Primarklasse. Das heisst: Die Schulen müssen sie durchführen, für die Kinder sind sie freiwillig. «So können wir Quarantänefälle in grösser Anzahl verhindern», sagt Bildungsdirektor Michael Stähli.
Lohnt sich das, Massentests? Findet man bloss die Nadel in den Spuckproben, stehen Aufwand und Ertrag in einem Missverhältnis? Die Kantone – nicht nur Bern und Schwyz – beantworten die Frage unterschiedlich.
Gemäss einer Auflistung der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) führen momentan zwölf Kantone repetitive obligatorische Tests durch, mit Unterschieden nach Schulstufen. Einige Kantone wie St.Gallen und neu Bern testen nur bei positiven Fällen in einer Klasse. Die dritte Gruppe, darunter Zürich, empfiehlt, aber befiehlt die Reihentests nicht.
Ein zunehmend genervter Gesundheitsminister
Der Flickenteppich gibt schon länger zu reden. Und jetzt, wo das Virus vor allem bei den Jüngsten grassiert, erst recht. Die neuesten Coronazahlen des Bundes zeigen: Bei keiner anderen Altersgruppe war die wöchentliche Inzidenz zuletzt so hoch wie bei den 10- bis 19-Jährigen. Auf Platz zwei folgen die 0- bis 9-Jährigen.

Tausende Schüler im ganzen Land mühen sich in Quarantäne mit ihren Schulaufgaben ab. Für den Bundesrat ist schon länger klar, dass sich dies mit repetitiven Reihentests verhindern liesse. Bundesrat Alain Berset tat schon vor den Sommerferien seinen Unmut über jene Kantone kund, die auf wöchentliche Tests verzichten. Am Mittwoch liess er erneut durchblicken, wie sehr ihn diese nerven.
Auch Lukas Engelberger, Präsident der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren, erachtet aber das Instrument als sinnvoll. Taskforce-Chefin Tanja Stadler sagte am Dienstag, das Potenzial zum Schutz der Schulen, etwa dank Massentests oder CO2-Messungen, sei noch nicht ausgeschöpft.

Christoph Berger, der Präsident der Impfkommission.
Und Christoph Berger, Präsident der Eidgenössischen Kommission für Impffragen und Leiter der Abteilung Infektiologie und Spitalhygiene am Kinderspital Zürich, beurteilte die wöchentlichen Tests an Schulen gegenüber der «Rundschau» von SRF als gutes Konzept. Kinderarzt Berger schlägt sogar vor, dass Kinder von Schulen mit regelmässigen Massentests bei positiven Fällen nicht mehr in Quarantäne geschickt werden. Es sei nicht gefährlich, wenn Kinder untereinander Kontakt hätten. Ein Problem gebe es nur, wenn Kinder Personen gefährdete Personen treffen würden. Dort sei die Eigenverantwortung der Eltern gefragt.
Kurzum: Der Druck auf die Kantone zur Einführung regelmässiger Massentests wächst von allen Seiten. Dort, wo die Tests an den Schulen durchgeführt werden, scheinen sie einen Effekt zu haben. So ist die Wocheninzidenz pro 100’000 Einwohnern bei den jüngsten Altersgruppen in Test-Kantonen wie Basel-Stadt, Baselland oder Graubünden zuletzt wieder gesunken. Für die letzte Woche betrug sie in Baselland bei den 10- bis 19-Jährigen noch 473.

Rudolf Hauri, der oberste Kantonsarzt der Schweiz.
Zum Vergleich: In St.Gallen und Thurgau, zwei Kantone, die nichts von Reihentests wissen wollen, lag der Wert mit 790 und 687 deutlich höher – und er ist in den letzten Wochen stets gestiegen. Auch Rudolf Hauri, der oberste Kantonsarzt, hat an den Sekundarschulen in seinem Kanton, Zug, einen Rückgang der Inzidenz beobachtet. «Das zeigt, dass die repetitiven Reihentests ein Erfolg sind», sagt er.
Auch an der Basis wird der Ruf nach Massentests lauter. Der Lehrerverband LCH bekräftigt die Forderung immer wieder. Und Chantal Galladé findet ebenfalls, dass es nun an der Zeit ist, dass auf nationaler Ebene gemeinsame Regeln verabschiedet werden. Galladé sass 15 Jahre für die Zürcher SP im Nationalrat. Seit drei Jahren und ihrem Rücktritt aus der nationalen Politik ist Galladé die Präsidentin des Winterthurer Schulkreises Stadt-Töss. Und unter Getöse wechselte sie 2019 von der SP zu den Grünliberalen.

Chantal Galladé
In den Schulen, für die Galladé verantwortlich ist, werden die Massentests durchgeführt, wobei die Teilnahme für die Kinder freiwillig ist. Für den Kanton Zürich gilt das aber nicht überall. Die Schulen entscheiden selbst, ob sie Massentests durchführen wollen. Die Bildungsdirektion empfiehlt dies lediglich dringend. Die Tests führten dazu, dass kaum Schüler in Quarantäne müssten, sagt Galladé – was wiederum das Wichtigste überhaupt sei: «Die Kinder müssen in die Schule gehen können, das ist gut für sie, für die Eltern – für die ganze Gesellschaft.»
Galladé sagt aber auch, der Kampf gegen Corona an den Schulen bringe einen riesigen Aufwand mit sich. Und dass die Schulen dabei von der Politik alleingelassen würden. «Wir wären froh, wenn die Entscheidungsträger ihre Verantwortung wahrnehmen und die Reihentests zur Pflicht machen würden. Eine Vorgabe – etwa von der EDK – würde unsere Position stärken», sagt Galladé.
Die EDK verwirft eine einheitliche Lösung

Silvia Steiner, EDK-Präsidentin
Danach sieht es allerdings nicht aus. Die Zürcher Bildungsdirektorin und EDK-Präsidentin Silvia Steiner sagt: «Ein Beschluss der EDK zur Einführung von repetitiven Tests in allen Kantonen ist derzeit nicht geplant.» Die EDK sei davon überzeugt, dass lokal an die Situation angepasste Massnahmen mehr zur Eindämmung der Folgen der Pandemie beitragen würden als eine einheitliche Schweizer Lösung, die keine Rücksicht nehme auf regionale Unterschiede und Möglichkeiten. An einem Treffen im August hätten Vertreter des Bundesrats bestätigt, dass die Zuständigkeit für Massnahmen weiterhin bei den Kantonen liegt.
Derweil begrüsst sie als Zürcher Bildungsdirektorin den Vorschlag von Christoph Berger, Schulkinder von Klassen, an denen repetitiv getestet wird, von der Quarantäne zu befreien: «Das ist für die Kinder und Eltern eine Entlastung, bringt Ruhe in den Schulalltag und erhöht die Akzeptanz gegenüber dem repetitiven Testen.»