Matthias Kläy: «Diese Fichten sind leider tot. Ein stilles Sterben.»

Matthias Kläy steht neben einer stattlichen Fichte im Zofinger Wald und scharrt mit dem rechten Schuh den Boden auf. «Oben ein bisschen feucht, unten Staub», sagt er. Dann blickt er hoch in die Baumkronen. «Kein schöner Anblick.»

Seit dem 1. November ist Kläy Leiter des Forstbetriebs Region Zofingen. Chef über 1700 Hektaren Wald, das sind 2400 Fussballfelder.

Kläys Amtsantritt erfolgt zu einer Zeit, in der die Klimadebatte so richtig losgeht – nach dem Hitzesommer 2018. Ein Jahr später steht das Thermometer an vielen Tagen erneut näher bei 40 als bei 30 Grad. Anfang Juli titelt die «NZZ am Sonntag»: «Der Schweizer Wald ist krank». Der Hitzesommer 2018 habe schwere Schäden verursacht, in einzelnen Regionen seien ganze Buchenbestände tot.

Wie schlimm steht es um den Zofinger Wald, Herr Kläy?

Normalerweise sind in der Region Zofingen 1100 Millimeter Niederschlag pro Jahr zu erwarten. Wenn Sie die Statistik anschauen, sehen Sie, dass schon 2017 ein trockenes Jahr war, auch 2018 war sehr trocken. 2019 ist wohl das dritte trockene Jahr in Folge.

Die hohen Temperaturen sind nicht Ihre grösste Sorge?

Temperaturen sind das Eine, wichtig ist die Niederschlagsmenge und auch die Niederschlagsverteilung. Das macht uns tatsächlich am meisten Sorgen. Die nächsten drei Jahre können natürlich kühler und nasser sein, aber die Tendenz, die sich in diesem Sommer abzeichnet, ist ein Vorgeschmack auf das, was kommt.

Den Klimawandel?

Wir sind im Klimawandel angekommen. Die Extremsommer 2003 und 2018 könnten künftig ganz normale Sommer sein. Solche Sommer kombiniert mit der Niederschlagsveränderung: Das wird den Wald sichtbar verändern.

 

Kläys hartnäckigster Gegner im Kampf um einen gesunden Wald ist zurzeit eindeutig der Borkenkäfer. Genauer: der grosse achtzähnige Fichtenborkenkäfer, auch Buchdrucker genannt. Gesunde Fichten können mit ihrem Harz das fresslustige Insekt, das sich in die Rinde bohrt, abwehren. Geschwächte Bäume können das nicht – zumal diese einen für die Käfer verräterischen Duft ausströmen. Haben die Käfer einen Baum einmal richtig angezapft, gibt es kein Halten mehr. Das Zuhause, das sich die Tiere bohren, nennen Biologen Rammelkammer. Wenn es hier zur Sache geht, ist der Baum kaum mehr zu retten – obwohl man ihm das noch nicht ansehen würde. Einzig das Bohrmehl, das die Käfer auf den Boden rieseln lassen, deutet auf den Befall hin.

Dann aber geht es ruckzuck: Unzählige Larven treten ihre Fresstour durch die Rinde an. Die Gänge, die sie dabei anlegen, unterbrechen den Saftstrom; es ist fast so, als ob die Käfer dem Baum allmählich die Kehle zuschnüren würden. Der beginnt, sein Nadelkleid abzuwerfen.

«Das kann man sogar hören», sagt Kläy. Und tatsächlich: Im Waldstück mit den 60 befallenen Fichten, in das er uns geführt hat, ist ein leises Rieseln zu hören – massenhaft grüne Nadeln, die zu Boden fallen. «Es dauert nur Tage, bis ein Baum abgestorben ist. Hohe Temperaturen plus Tropennächte: Da hat der Käfer 24 Stunden offen», sagt er und zeigt nach oben: «Diese Fichten sind leider tot. Ein stilles Sterben.»

Kläy hat keine Wahl: Alle befallenen Bäume müssen in den nächsten Tagen und Wochen weg. Auch aus Sicherheitsgründen: Abgestorbene Bäume fallen bei Sturm eher um. Das Abholzen von 60 stolzen Fichten tue weh, sagt er. Jahrzehntelang sei das Waldstück gepflegt worden; Fichten sind Wertträger: «Sie geben einen schönen Holzertrag.» Der Borkenkäfer macht aber einen Strich durch die Rechnung: Er trägt Pilzsporen am Körper, die er auf die befallenen Bäume überträgt. Das Holz färbt sich blau, weshalb es als Bauholz kaum noch zu gebrauchen ist. Vom Borkenkäfer und Bläuepilz befallenes Fichtenholz ist deshalb nur noch rund die Hälfte wert: Statt 110 bis 120 Franken noch 50 bis 60 Franken pro Kubikmeter. Ganz abgesehen davon, dass die Fläche, auf denen plötzlich ein paar Dutzend stattliche Bäume fehlen, künstlich verjüngt werden muss – also Bäumchen gesetzt werden müssen. Das ist aufwendig, weil nun andere gefrässige Tiere ins Spiel kommen: Wild beispielsweise, das sich gerne an Jungpflanzen verköstigt. Nötig wird also Wildschutz .

Herr Kläy, konkret: Wenn es mit den Sommern so weitergeht: Was bedeutet das für den Zofinger Wald?

Dann hat die Fichte längerfristig keine Chance mehr. Die Hauptabwehr der Fichte gegen den Käfer ist die Harzproduktion, die braucht Wasser und Energie. Bei wenig Wasser und hohen Temperaturen geht der Baum in einen Survival-Modus über, er kann nichts mehr in die Verteidigung investieren. Wenn der Borkenkäfer einfliegt, ist eine geschwächte Fichte schutzlos ausgeliefert.

Sind auch andere Baumarten betroffen?

Wir hatten im Frühjahr einige Ausfälle bei Weisstannen, auch durch den Befall des Weisstannenborkenkäfers. Das gleiche Muster: Durch die Niederschlagsarmut werden sie zur leichten Beute. Das sind zwar Einzelfälle, macht uns aber schon auch Sorgen.

In einigen Schweizern Wäldern haben die Buchen arg gelitten. Wie sieht es damit in der Region Zofingen aus?

Buchen wachsen bei uns vor allem im Osten Zofingens. Im Vergleich zu anderen Regionen ist deren Zustand noch gut, wir haben bis jetzt wenig Buchenschäden.

Was man von den Eschen nicht behaupten kann, oder?

Ja, sie werden durch die Eschenwelke dezimiert. Ein Pilz befällt die Bäume und bringt sie zum Absterben. Das ist auch in Zofingen ausgeprägt der Fall. Die Esche ist die zweit- oder dritthäufigste Laubbaumart in der Region, und die wird sehr dezimiert. Wir rechnen damit, dass fünf bis zehn Prozent der Bestände übrig sein werden. Auch auf die Esche können wir nicht mehr setzen.

Fichten, Weisstannen, und Buchen sind die wichtigsten Baumarten in der Region …

…, ja, und alle sind stark unter Druck. Und zwar nicht erst in 50 Jahren – die Fichte ist es schon jetzt. Wenn die drei wichtigsten Baumarten gefährdet sind, gibt das schon zu grosser Besorgnis Anlass.

Haben wir also im Zofinger Wald ein Waldsterben?

Noch ist die Lage nicht dramatisch und ich vermeide das Wort Waldsterben, zudem gibt es grosse Unsicherheiten bei den Szenarien zum Klimawandel. Um das Ökosystem Wald mache ich mir langfristig keine Sorgen. Es gibt wahrscheinlich Zerfallsphasen und einen Baumartenwechsel, beides über lange Zeiträume. Aber der Wald wird sich anpassen. Die Frage ist, was wir vom Wald wollen. Den erneuerbaren Rohstoff Schweizer Holz möchten wir weiter produzieren. Die Frage ist: Können wir das noch? Mit welchen Baumarten? Und: Wie hoch ist der Aufwand, um den Wald als Freizeitpark offen und sicher zu halten? Dann müssen wir eventuell andere Finanzierungsmodelle finden, weil der Holzertrag nicht mehr reicht. Man muss sich also grundlegende Gedanken machen, wie man die Waldleistungen künftig sicherstellen kann.

Wie wird sich der Wald in den nächsten Jahrzehnten verändern?

Die Trauben-Eiche zum Beispiel kann mit einem trockeneren Klima besser umgehen. Das ist eine Massnahme, die wir bereits umsetzen: Wir nehmen die Stiel-Eichen zurück und bringen vermehrt Trauben-Eichen ein. Die Lärche könnte in Zukunft gut passen, auch Douglasien. Wir probieren jetzt diverse Baumarten und Mischungen aus, zum Beispiel eine Lärchen-Ahorn- oder eine Tannen-Eichen-Mischung. Wichtig ist, das Risiko zu verteilen. Also: Nicht auf eine Baumart setzen, sondern diversifizieren, um künftig Flächenausfälle zu vermeiden. Man weiss nie: In 20 Jahren kommt vielleicht ein Lärchenpilz.

Zur Person

Matthias Kläy (47) leitet seit dem 1. November 2018 den Forstbetrieb Region Zofingen. Dazu gehören die Wälder der Ortsbürgergemeinden Rothrist, Strengelbach und Zofingen. Kläy hat einen Abschluss in Betriebswirtschaft und studierte später Umweltwissenschaften an der ETH Zürich. Er war unter anderem Leiter Finanzen & Controlling beim Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum. Bevor er nach Zofingen kam, war er sieben Jahre lang beim Bundesamt für Umwelt tätig, zuletzt als Leiter einer Sektion, die sich unter anderem mit der Anpassung des Waldes an den Klimawandel beschäftigt. Kläy ist Vater von zwei Kindern; er wohnt in Boll bei Bern.

Kein Bild, das man sich im Sommer wünscht: Fichten, die gefällt werden mussten, weil sie vom Borkenkäfer befallen waren.
Kein Bild, das man sich im Sommer wünscht: Fichten, die gefällt werden mussten, weil sie vom Borkenkäfer befallen waren.
Kläy mit einem Stück Rinde, auf dem Käfer Bohrgänge hinterlassen haben.
Kläy mit einem Stück Rinde, auf dem Käfer Bohrgänge hinterlassen haben.