Mehrfach prämierter Bio-Senf entsteht in einem Zofinger Gartenhaus

Ein unscheinbares Haus in einem Zofinger Einfamilienhaus-Quartier, hinter einer Lärmschutzwand rauschen regelmässig Züge der Linie Olten–Luzern vorbei. In Stiefeln und mit roter Arbeitsschürze öffnet Reto Lutz die Türe – sein Arbeitstag hat heute Morgen trotz Ferien offensichtlich früh begonnen. Unverzüglich führt er seinen Gast durchs Wohnzimmer in den Garten, wo ein kleines Gartenhäuschen steht. «Das ist mein Refugium», stellt der 57-Jährige klar, der seit fast zwanzig Jahren in Zofingen wohnt. Boden und Wände im Häuschen sind mit Platten verkleidet, im Hintergrund steht eine Mühle, links zwei kleine Öfen sowie ein Regalwagen mit sieben gedeckten Kunststoffwannen. Die Platzverhältnisse sind eher eng. Kaum zu glauben, dass in diesem Häuschen jährlich zwischen anderthalb und zwei Tonnen Zofinger Bio-Senf produziert werden.

Die Herstellung von Senf in Handarbeit ist das grosse Hobby von Reto Lutz, für das er einen ansehnlichen Teil seiner Freizeit einsetzt. Seit nunmehr 25 Jahren. «Ein idealer Ausgleich zu meinem Beruf», meint er. Denn als Leiter Finanzen und Personalwesen im Alterszentrum Sunnmatte in Kölliken bewegt er sich dort vorwiegend in der nüchternen Welt der Zahlen.

Ein Aprikosensenf zu Weihnachten

Mit dem «Senfen» begonnen hat Reto Lutz 1997. Angeregt wurde er dazu von einem interessanten Artikel über einen privaten Senfhersteller. Im gleichen Artikel sei auch ein Rezept zu einem speziellen Weihnachtssenf veröffentlicht worden. «Diesen Aprikosensenf habe ich dann selber hergestellt», erinnert sich Lutz, der den Senf zum grossen Teil zu Weihnachten verschenkt hat, worauf er viele positive Rückmeldungen erhalten habe. Die Lust auf mehr war in Lutz geweckt, zumal es für ihn damals zunehmend schwieriger wurde, handelsüblichen Senf zu konsumieren. Er vertrug keinen Branntweinessig, der als Grundzutat in den meisten industriell hergestellten Senfsorten enthalten ist. Auf den Konsum von Senf zu verzichten, war für Reto Lutz keine Alternative. Also machte er sich ans Tüfteln. Schon bald folgten ein Feigen-, dann ein Zwetschgensenf nach eigenen Rezepturen. «Ja, der allererste Aprikosensenf war der einzige Senf, den ich je nach einem übernommenen Rezept hergestellt habe», erinnert sich Lutz. Heute gehören über 25 verschiedene Senfsorten zu seinem Standardsortiment, dazu kommen saisonale Spezialitäten wie etwa der Bärlauchsenf im Frühling.

Halbprofessionelle Herstellung

Der Ausbau seines «gut aufgebauten Hobbys», wie Lutz seine Berufung scherzend umschreibt, erfolgte in kleinen Schritten. Neben einem schrittweisen Ausbau von Menge und Sortiment wurde auch die Ausrüstung mit den Jahren immer professioneller. Erfolgte die Herstellung der verschiedenen Senfsorten zu Beginn noch mit einem Haushaltmixer, erlaubte der Wechsel auf einen leistungsfähigen Proficutter eine erste Ausweitung der Produktion. «Seit rund elf, zwölf Jahren betreibe ich nun die Senfherstellung halbprofessionell», stellt Reto Lutz fest. Die Anschaffung einer 700 Kilogramm schweren Senfmühle mit einem Granit-Mahlstein erlaubte es Reto Lutz vor drei Jahren, seine Produktion weiter zu verbessern. «Mit der Mühle lassen sich Chargen von 20 Kilogramm Senf aufs Mal verarbeiten», sagt der Zofinger Senfhersteller, der seit 2014 auch mit der Bio-Knospe zertifiziert ist.

Trotz professioneller Ausrüstung ist eines gleich geblieben. «Die Herstellung von handwerklichem Senf in bester Qualität braucht Zeit», betont Reto Lutz. Lutz entnimmt dem Regalwagen eine Kunststoffwanne, in der 20 Kilogramm Grundmasse ruhen. Die Grundmasse sei für alle Senfsorten ähnlich. Sie enthalte neben Senfkörnern auch Salz und Kurkuma. Dazu komme die Flüssigkeit – Essig, Verjus, Süssmost oder anderes, je nach Sorte. «Die Grundmasse muss etwa drei Tage anziehen, erst dann kommt sie ein erstes Mal in die Mühle», erklärt Reto Lutz. Dann setzt Lutz die Mühle in Gang, füllt die Öffnung des Granitsteins mit der Grundmasse und hilft mit dem Rührstab nach – damit sich die Masse nochmals vermischt. Dann ist Geduld gefragt. Lutz füllt von Zeit zu Zeit Grundmasse nach und langsam füllt sich auch das Auffangbecken mit der nun deutlich feineren Senfmasse. «Aus dieser Masse werde ich Alpenkräutersenf herstellen, der mir ausgegangen ist», erläutert Lutz weiter. Gewürze, Kräuter oder Früchte in getrockneter Form fügt Lutz erst beim letzten Mahlgang hinzu, so lässt sich der Flüssigkeitshaushalt des Senfs besser steuern. «Beim Alpenkräutersenf kommen die Kräuter beim zweiten Mahlgang hinzu», erklärt Lutz, bei anderen Senfsorten brauche es bis zu vier Mahlgänge, um die gewünschte feine Konsistenz zu erreichen. Der Mahlstein dreht und langsam, aber sicher leert sich die Wanne mit der Grundmasse. «So, wir machen Pause», sagt Reto Lutz. Unsere Schleimhäute sind sichtlich gereizt, wir blinzeln einander nur noch an. «Der Mahlvorgang setzt ätherische Öle frei», erklärt Reto Lutz. Und tatsächlich hängt in einer Ecke des Häuschens sogar eine Gasmaske. «Die muss ich mir aufsetzen, wenn ich scharfe Senfe oder Dijon-Senf herstelle – dann geht es nicht anders», sagt Reto Lutz. Das seien diejenigen Sorten, die man mit braunen Senfkörnern herstelle, während man für die milden und mittelscharfen Senfsorten gelbe Senfkörner verwende. Apropos Senfkörner: Reto Lutz hat sogar einen Senfkaviar als Spezialität in seinem Sortiment. Dieser besteht aus ganzen Senfkörnern mit Honig.

Seit Jahrtausenden beliebt als Gewürz

Die Senfpflanze ist seit Jahrtausenden bekannt. Bei archäologischen Ausgrabungen in Westchina wurden in einem Gefäss Senfsamen entdeckt, deren Ursprung Experten bis in die Zeit von 4800 vor Christus einschätzten. Von Senf als Gewürz war erstmals bei den alten Griechen und Römern die Rede. Im Mittelalter verbreitete sich der Anbau der Senfpflanze auch in Mitteleuropa immer mehr, Senf wurde damals zu einem beliebten Gewürz und auch zur «Würze der Armen». Ab dem 18. Jahrhundert wurde die Senfproduktion industrialisiert. Ein gewisser Herr Thomi aus Langenthal war übrigens der Erste, welcher einen Industriesenf in eine Aluminiumtube abfüllte.

Die Rezept-Vielfalt ist fast grenzenlos

Doch zurück zum handwerklich hergestellten Senf. «Das Schöne an meinem Hobby ist, dass ich alles selbst machen kann», stellt Reto Lutz zufrieden fest. Dass dabei vieles möglich ist, zeigt ein Blick auf sein grosses Sortiment. Vom fruchtigen Aprikosen- über den süssen Honigsenf, vom milden Haselnuss- bis hin zum scharfen Dijonsenf ist für jeden Geschmack etwas dabei. Ob mit Kräutern, Gewürzen oder Früchten, Lutz hat schon vieles ausprobiert. «Es funktioniert fast alles», sagt er, «nur Erdbeersenf stelle ich nicht mehr her.» Denn dieser verändere nach drei Monaten seine rote Farbe und erhalte ein ganz unappetitliches Aussehen. «Fehlschläge gehören einfach dazu», so Reto Lutz. Aber sie werden den Zofinger Senfhersteller nicht davon abhalten, weiter an neuen Rezepturen zu tüfteln. Mit immer wiederkehrendem Erfolg, werden doch seine Senfe immer wieder prämiert wie jüngst bei der Verleihung der Bio-Gourmet-Knospe. Mit dem Senfkaviar, dem Alpenkräuter-, dem Honig- sowie dem Dijon-Senf wurden gleich vier Zofinger Bio-Senfe prämiert.

Erhältlich sind sie übrigens unter www.bio-senf.ch, bei zahlreichen Wiederverkäufern oder am Zofinger Samstagsmarkt, bei dem Reto Lutz jeweils persönlich anwesend ist.