Michael von der Heide feiert ein dreifaches Jubiläum – die selbstironische Dramaqueen mit dem Unterhaltungstalent

Da kommt er herein, zurück zum Tatort und fühlt sich hier sichtlich wohl: Michael von der Heide betritt den Zürcher Schiffbau, auf dessen Bühne er immer wieder steht, vor allem bei Christoph Marthaler. Entdeckt nämlich hat ihn dessen damalige Frau, Catriona Guggenbühl. Und noch bevor er sich hinsetzt, setzt sich beim Gegenüber der Eindruck fest: Dieser Mann ist der seelenvollste Schweizer Entertainer. Und auch mit einem grossen Star teilt er augenscheinlich Schönes: Von der Heide hat die Beine von Marlene Dietrich. Sie scheinen dort zu enden, wo bei anderen der Hals beginnt.

Man muss ihn einfach mögen, auch jenseits seiner Sensationsbeine. Diese selbstironische Dramaqueen mit dem Unterhaltungstalent. Sein Lachen ist breit, sein Gesicht offen, Starallüren wischt er mit einer lässigen Bewegung vom Tisch. Pferde stehlen, das könnte man mit ihm!

Doch das Treffen findet nicht auf einem Ponyhof statt, sondern im Theater, dem Ort des feierlichen Anlasses sozusagen: Michael von der Heide, Besitzer einer Goldenen Schallplatte, feiert, in eigenen Worten: «50 Jahre Leben, 30 Jahre Bühne und 25 Jahre Tonaufnahmen.»

Die Geburtstagsparty steigt am 19. Oktober, doch schon am 3. September geht die neue Doppel-CD in den Verkauf, «Echo», neue Songs und ein Best-of aus seiner Karriere, ein Echo als Rückblick und Vorausschau quasi. Das Album ergänzt ein 50-seitiges selbstproduziertes Riesen-Booklet mit Souvenirs, Texten und Bildern von Weggefährten und Freundinnen.

Jugenderinnerung: Michael von der Heide und Paola Felix, 1998.

Jugenderinnerung: Michael von der Heide und Paola Felix, 1998.

zvg

Kim Wilde stieg für ihn vom Poster herunter

Michael von der Heide, unser Michi, er ist ein Phänomen. Als Schweizer Künstler hat er es wie keiner geschafft, die West- mit der Deutschschweiz zu versöhnen, und den Glamour gemeinsam mit der Bodenständigkeit zu einem Tänzchen aufzufordern. Michael National ist breitenverträglicher als Stephan Eicher, weltläufiger als Kuno Lauener, doch schweizerischer wiederum als Endo Anaconda: Er ist der Mann für alle Fälle. Und das können selbst alte Züri-Lieder sein oder Gastspiele mit Christoph Marthaler in Chile, Moskau oder Israel.

Als er mit einer Marthaler-Inszenierung im Londoner Royal Opera House gastierte, lud er seine Bekannte Kim Wilde ein. Und yes, sie kam. Sie erwies ihm die Ehre und war für ihn quasi von dem Bravo-Poster gestiegen, das er von seinem Idol im Kinderzimmer hängen hatte. Und auch er ist ein Idol.

Zur gesellschaftlich relevanten Stimme macht ihn sein Nimbus: Von der Heide ist ein Vertreter einer genderfluiden Zeit, die das Spiel mit den Geschlechtern und das Schrille sucht. Einer Zeit, in der wir Zeitgenossen das Auffällige, Anormale allerdings lieber anderen überlassen. Stars zum Beispiel.

Everybody’s Darling Michael – gerne ein bisschen androgyn, wenn’ s sein darf auch verrucht – führt die Spannungen und das Spannende dieses Jahrzehnts in seiner Person zusammen. Er ist nicht zu fassen, und ähnlich agil segelt er künstlerisch zwischen Chansons, Jazz und Pop und versteht sich mit den unterschiedlichsten Weltstars, mit denen er zusammengearbeitet hat: Jane Birkin, Nina Hagen, Ute Lemper, die Liste ist ein Who’s who der starken Frauenstimmen.

Weibliche Stars seien interessanter als Männer: «Sänger sind oft in ihrem Image gefangen», meint er aus Erfahrung. Starke Frauen, seine Mutter als Erste, haben seine Karriere stets begleitet. Angeführt wird die Parade der Influencerinnen von Paola Felix. Ihr Auftritt als 18-Jährige am Eurovision Songcontest war Michaels «Erweckungserlebnis».

«Sie hat geglitzert, war glamourös, als Italienerin hatte sie mehr Stil als Schweizer Showstars.» Und Michi aus Amden wusste: Das will ich auch. Den Fun und den Fummel, sie waren damals gemeint. Nicht aber die Niederlage, die ihm die Teilnahme am Songcontest etliche Jahre später schliesslich selber eingebracht hatte. Sie tat weh.

Sie sangen zusammen den «Kriminaltango». Michael von der Heide und Nina Hagen, 2002.

Sie sangen zusammen den «Kriminaltango». Michael von der Heide und Nina Hagen, 2002.

Mathias Bothor

Platzhalter für Sophie Hunger in Paris

Wie eine Unschuld vom Lande, imprägniert von Piaf und Brel aus dem Küchenradio, wie Michael, der gelernte Pflegefachmann, im Laufe von 30 Jahren ein Schweizer Weltstar wurde, das ist ein Stoff, aus dem Filme gemacht werden. Heimatfilme etwa, mit einem Schuss Hollywood allerdings. Der Streifen, würde er gedreht, hätte bereits einen Regisseur, es ist – oder wäre – Micha Lewinsky.

In den frühen 90er-Jahren hatte jener den Sänger ermutigt, eine LP zu produzieren. Michael galt damals als Geheimtipp illegaler Zürcher Bars, interpretierte Frauentexte ironisch, sang in schnoddrigem Züri-Dialekt, war Rowdy von Dodo Hug und Babysitter von Vera Kaas Sohn – und, er übte daneben seinen Beruf als Pfleger aus. «Eine LP, wie soll das gehen?»

Doch der Zeitpunkt der Ermutigung war perfekt. Eben erst war er aus der Romandie als jeune homme au pair zurück, hatte nun die französische Sprache im Blut – und seine Lust auf die Bühne war entsprechend gross. Mit Französisch eine Nische bespielen, wieso nicht? In der Westschweiz hatte ihn seine Gesangslehrerin auf das Repertoire von Patricia Kaas aufmerksam gemacht, die ihre erste Platte veröffentlichte. Wäre das ein Weg? Er war es nicht, Michael von der Heides Weg nämlich war immer sein eigner.

Dass daran womöglich auch sein Durchbruch scheiterte, ist ein anderes Kapitel. Amerika? Das ist nicht seine Kultur. Und seine Kultur, den hiesigen Kulturraum, ihn braucht er. Um die Jahrtausendwende lebte er in Paris und sang in der Folge mit Jane Birkin, Carla Bruni und trat im Vorprogramm der Grande Dame des französischen Chansons auf, Juliette Greco.

Rückblickend lässt sich über die Pariser Episode sagen: Der Verantwortliche von Sony Frankreich, ­Patrick David, der aus Michi einen kunstsinnigen Songwriter auf internationaler Flughöhe mache wollte, biss sich an seinem Zögling die Zähne aus. Michi desertierte – und machte damit einer anderen Entdeckung Platz, Sophie Hunger. ­Patrick David ist heute ihr Manager.

Kinderarbeit in Amden, schwules Leben jenseits des Boulevards

Aufgewachsen ist Michael über dem Walensee. Und dort soll der Kleine offenbar schon im Alter von zarten sechs Jahren aus seiner Überzeugung, seine Stimme zu Geld machen zu wollen, nicht hinter dem Berg gehalten haben. Er wollte Sänger werden.

Also stellte er sich Touristen in den Weg, blickte treuherzig, was er auch heute noch kann, und dann begann er zu singen. «Du und ich sind Bruederli, schaffe tuemer liederli, du und ich händ Geld im Sack, die andere nume Schnupftabak.» Kaum war das Lied fertig, streckte der kleine Michi seine Hand aus – und forderte seine gerechte Gage. Vorwitzig, ja, das sei er schon immer gewesen.

Er war nicht wie die anderen, nicht damals in Amden und auch später nicht. Gut erinnert er sich an die Episode, als die Frau des Försters seine Mutter am Ärmel zupfte und meinte: «Du de Michi isch glaub schwul.» Seine Mutter, durch nichts zu erschüttern: «Das kann nicht sein, er ist erst fünf!».

Von der Heide lebt zwar offen homosexuell, doch bis es so weit war, dauert es beinahe 20 Jahre. Erst dann traute er sich eine Beziehung mit einem Mann zu, vorher «gab es für mich das Thema Schwulsein nicht». Was alle um ihn herum sahen, wollte er sich nicht eingestehen. Heute sind sein Partner, der Couturier Willi Spiess, und er schon seit 26 Jahren in Paar.

Für den Boulevard ist Homosexualität noch immer ein gefundenes Fressen und ein Quotentreiber, ist seine Meinung. Auch das ist ein Grund, dass der Vorzeige-Schwule darüber in der Öffentlichkeit lange schwieg; er entwickelte allerdings eine andere Strategie. Ein Geschäftsmodell aus purer Intuition. «Als Schwuler möchte ich bewusst in der Breite arbeiten. Ich will schliesslich in Zürich genauso auftreten wie beispielsweise in Adelboden. Schwulsein ist schliesslich ganz normal.»

Das ist wohl so, und doch: Normal ist ­Michael von der Heide in keiner Weise. Zum Glück für uns alle. Andernfalls hätte dieses Land einen Künstler weniger, der das Talent hat, für alle genau das zu verkörpern, was ihnen fehlt: den Glamour, das andere, die grosse weite Welt – und immer wieder, die Liebe.

Michael von der Heide Echo. Doppel-Best-of-Album. 30 Songs und 50-seitiges Buch mit Bildern und Zitaten von Freundinnen und Freunden.