
Migros Klubschule befindet sich im Krebsgang – auch wegen Konkurrenz auf Social Media
Sie gilt als Anlaufstelle, wenn es um Weiterbildung geht: die Migros Klubschule – eines der grossen Kultur-Vermächtnisse von Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler. 1944 wurde sie gegründet: In einem Inserat der hauseigenen Zeitung «Brückenbauer» erschien ein Inserat für Kurse in Italienisch, Französisch, Englisch, Spanisch und Russisch. Eineinviertel Stunden pro Woche kosteten monatlich 5 Franken. Das Echo war riesig, grössere Räumlichkeiten wurden nötig. Bald kamen Kurse fürs Malen, Reiten und Fotografieren hinzu. Und ab den 50er-Jahren warb die Migros für ihre Eurocentres-Sprachschulen im In- und Ausland.
Die Klubschule ist zwar betriebswirtschaftlich organisiert, dank dem «Migros-Kulturprozent» aber nicht gewinnorientiert. So investierte die Migros zuletzt mehr als 60 Millionen Franken in ihre Bildungsangebote. Das freiwillige Engagement ist in den Statuten der Genossenschaft verankert, um der Bevölkerung einen breiten Zugang zu Kultur und Bildung zu verschaffen.
«Linkedin» geht in die Offensive
Vor einigen Tagen verschickte die Detailhändlerin eine Medienmitteilung mit dem Titel: «Klubschule Migros – für Bildungshungrige weiterhin die Nummer 1.» Das stimmt, zählte sie doch über 340 000 Kursteilnehmende im vergangenen Jahr. Doch was im Schreiben nicht steht, ist, dass sich die Klubschule im Krebsgang befindet. Dies zeigt ein Blick in die Archive. In 90er-Jahren buchten noch über eine halbe Millionen Leute Kurse bei der Migros. Und allein in den letzten fünf Jahren sank die Teilnehmerzahl um 11 Prozent.
Der Rückgang ist symptomatisch für die ganze Branche. Der Bildungsmarkt befinde sich in einer Transformationsphase, sagt eine Migros-Sprecherin. Das Bedürfnis nach Aus- und Weiterbildung sei nach wie vor hoch, doch die Kundenbedürfnisse hätten sich geändert. Heute werde situativ gelernt, viele Leute möchten selber entscheiden, wo und wann sie lernen. Zudem hätten sie Zugriff auf verschiedenste Kanäle und Mittel. Felix Meyer, Chef der Migros-Genossenschaft Luzern, nannte erst kürzlich gegenüber CH Media einen konkreten Grund für die sinkenden Kursteilnehmerzahlen: «Im Internet sind Schulungen und Bildungsangebote kostenfrei verfügbar.»
Laut Bildungsökonom Stefan Wolter wurden anfangs nur wenige Kurse angeboten, mittlerweile decken solche MOOCs praktisch das ganze Spektrum von Studiengängen ab und zudem können die Kurse auch mit Zertifikaten abgeschlossen werden. Auch die ETH ist auf den MOOC-Zug aufgesprungen und bezeichnet ihre Gratis-Lektionen als «Visitenkarte», da die Lehrinhalte allen Interessierten weltweit offenstehen. Allerdings würde nur ein Bruchteil der Personen, die einen Kurs anfangen, diesen auch abschliessen, so Wolter. Zudem würden auch die Fachhochschulen für einen umkämpften Markt sorgen, da sie ihr Angebot für Weiterbildungskurse stark vergrössert hätten, sagt Wolter.
Doch nun ist die Klubschule mit einem weiteren Konkurrenten konfrontiert: Der Social-Media-Plattform Linkedin, quasi ein Facebook für Berufstätige, die ihr professionelles Netzwerk erweitern möchten. Viele neue Geschäftsbeziehungen, Jobinterviews und Anstellungen entstehen heute via Linkedin. Der Silicon-Valley-Riese, dem über eine halbe Milliarde Nutzer angehören, hat 2015 die Online-Lernplattform Lynda.com für 1,5 Milliarden Dollar aufgekauft und wirbt nun mit seinem «Linkedin Learning»-Angebot: Mitglieder können gegen eine zusätzliche Gebühr diverse Kurse online belegen, und nach Abschluss, das virtuelle Diplom direkt ihrem Online-Linkedin-Profil hinzufügen.
Die Migros-Sprecherin sagt, die Online-Konkurrenz mache sich auch bei Sprachkursen bemerkbar. Tatsächlich gibt es zahlreiche Gratis-Videos und Apps wie zum Beispiel «Duolingo», das vom Schweizer Informatiker Severin Hacker mitgegründet wurde. Der Eurocentres-Sprachschulen hat sich Migros allerdings im vergangenen Jahr entledigt – Stellenabbau inklusive.
Anti-Stress-Kurse boomen
Doch nicht nur Englisch-, Französisch- oder Mandarin-Kurse haben heute einen schwereren Stand. «Wurde früher noch der Kurs ‹Basisküche› besucht, wird heute ein Youtube-Video nachgekocht», sagt die Migros-Sprecherin. Auch viele Office-Probleme würden über eine einfache Google-Abfrage gelöst und nicht mehr über einen mehrwöchigen Excel-Kurs.
Was bleibt der Klubschule also? Gefragt sind laut der Sprecherin insbesondere künstlerische, körperliche und rein kognitive Tätigkeiten, die man gemeinsam mit anderen Teilnehmern machen wolle. «Es bestätigt sich immer wieder, dass der Austausch in der Gruppe für den Lernerfolg zentral ist.» Gerade in der heutigen, digitalisierten Welt gebe es viele Menschen, die den Unterricht vor Ort bevorzugen würden. «Der soziale Aspekt wird wichtiger, gemeinsam lernt es sich leichter.» Weiterhin populär sind Kurse wie Pilates, Bodytoning und Yoga. Zudem ist die Migros bemüht, mit Trend-Themen auf sich aufmerksam zu machen. So lancierte sie 2017 einen Sprachkurs für das fiktive «Klingonisch», bekannt aus «Raumschiff Enterprise», oder für das aus den USA bekannte «Ballett-Workout».
Die Migros will zudem ihre «Online Academy» mit Internetkursen in den kommenden Jahren ausbauen. Dabei gehe es auch darum, den Präsenzunterricht mit Online-Kursen kombinieren zu können und die Business-Module zu verkürzen. Und mit dem «Podclub» biete man seit drei Jahren kostenlose, unterhaltsame Podcasts zum Sprachenlernen an, so die Sprecherin. Die Ironie beim Digital-Ausbau: Am stärksten zulegen konnten im letzten Jahr Achtsamkeitskurse, die sich mit der so genannten «Mindfulness Based Stress Reduction» auseinandersetzen, also der Reduktion von Stress in der heutigen, von der Digitalisierung geprägten Welt.