
«Miserabler Lohn, Znüni liegt nicht drin»: Lastwagenfahrer klagt über extreme Arbeitsverhältnisse – das sagen drei Aargauer Transport-Unternehmer
Chauffeurmangel: So sieht die Situation in der Schweiz aus
Die Chauffeure sind in den Fokus gerückt. Wegen England, das heisst der dort allenthalben auftretenden Knappheiten. Leere Regale, leere Zapfsäulen – 90’000 bis 100’000 Camionneure fehlen dem Land, je nach Branchenverband. Die Situation in der Schweiz ist deutlich entspannter, aber auch hier drohen Knappheiten. Geburtenreiche Jahrgänge gehen in Pension. «Nächstes Jahr werden bei uns neun Chauffeure pensioniert, aber nur drei schliessen ihre Ausbildung ab», sagt zum Beispiel Hans-Peter Dreier, CEO und Mehrheitsaktionär der Dreier AG aus Suhr im Aargau.
Rund 600 Mitarbeitende zählt sein Unternehmen mit Niederlassungen in Deutschland, Luxemburg, Spanien, Marokko und der Schweiz. Rund 500 davon in der Schweiz (wovon rund 400 Chauffeure sind), hier macht sein Unternehmen auch rund 80 Prozent des Umsatzes. Seit 1975 bildet die Dreier AG eigenen Nachwuchs aus. Aber pro Jahrgang kommen nur drei bis vier aus der Lehre. «Den Rest muss ich auf dem freien Markt suchen», sagt Dreier. Er ist nicht allein. Laut Nutzfahrzeugverband Astag hängten in den letzten Jahren jährlich LKW-Fahrer ihren Beruf an den Nagel, während jährlich bloss 2000 Neue dazu kommen – Fahrerinnen, Quereinsteigende oder Lehrabgänger.

Ohne Transportbranche kein Wirtschaftsaufschwung. Ohne Chauffeure keine Transporte. Der Mangel an Camionneuren in England hat die Branche auch in der Schweiz in den Fokus gerückt. Fahrer sind knapp, auch hierzulande. Über die Ursachen gehen die Meinungen auseinander.
Brisanter Vorschlag: Fahrer in Afrika ausbilden?
Der Mangel an Chauffeuren hat hohe Wellen bis in die Schweiz geworfen. Daniel Schöni, Transportunternehmer und Patron der Schöni Transport AG mit Hauptsitz in Rothrist, hat im SRF-Tagesgespräch die Idee ins Spiel gebracht, den zunehmenden Mangel mit ausländischen Fahrern zu decken. Und da in Polen junge Menschen heute eher Informatik studieren, als sich zum Chauffeuren ausbilden zu lassen, zugleich viele Menschen aus afrikanischen Ländern wegen Armut und Hunger in den Norden flüchten, könnte man doch vor Ort LKW-Fahrer ausbilden und dann in die Schweiz holen.
Das wiederum hat Routiers Suisse, die Gewerkschaft der Chauffeure auf die Palme gebracht. Der Mangel sei von den Transportunternehmen selbst verschuldet. Die Löhne zu tief (gerade beim Transport von Komplettladungen), die Arbeitszeiten viel zu hoch (mit teils illegalen Praktiken zur Vertuschung) und zu unregelmässig, um ein Sozialleben zu gestalten. Auch wegen der Verhältnisse auf den Schweizer Strassen. Zudem sei die Ausbildung teurer geworden, langwieriger auch, obligatorische Weiterbildungen inklusive. Dies jedoch sei ein wichtiger Beitrag zur Verkehrssicherheit, so die Position von Routiers Suisse. Die Gewerkschaft fordert: mehr Lohn plus ein schweizweiter Gesamtarbeitsvertrag für die Branche.

Ein Kran entlädt Container von Lastwagen im Hafen von Kleinhüningen in Basel. Die Branche boomt, der Arbeitsaufwand ist immens, es fehlt fast überall an Chauffeuren.
Daniel Schöni wollte keine Stellung mehr nehmen, nachdem er die Debatte mit seiner Afrika-Idee losgetreten hatte. Deshalb haben wir bei anderen Transportunternehmern im Aargau nachgefragt, bei Routiers Suisse angeklopft und mit einem Chauffeur telefoniert.
Chauffeur klagt über extreme Arbeitsbedingungen: «Der Lohn ist miserabel»
Wir haben bei einem nachgefragt, der von dieser Knappheit selbst betroffen ist, bei einem Chauffeur, der hier nicht namentlich genannt sein möchte. Er blickt auf über 30 Jahre auf Schweizer Strassen zurück, fährt täglich durchs Land. Auslandfahrten sind selten geworden. Er sagt: «Wir arbeiten viel mehr als früher, ich bin geneigt zu sagen sicher doppelt so viel. Das mag anders sein für einen Kipperfahrer im Baustellenbereich, wo die Arbeitszeiten aufgrund von Lärmbestimmungen klar eingegrenzt sind. Aber wer Transporte fährt im Inland, der weiss, wovon ich spreche.»
Im Oktober arbeitete er zwischen 55 und 65 Stunden pro Woche. Im ganzen Jahr hat er schon weit über 200 Überstunden angesammelt. Dass er die Zeit kompensieren kann, glaubt er kaum. Es wäre ein ganzer Monat mehr Ferien. Und er sagt:
«Die Arbeitszeiten sind immer extremer geworden. Znüni liegt eigentlich nicht mehr drin, Mittag sowieso nicht und die Pause am Nachmittag schon gar nicht. Während dem Abladen schalten wir auf Pause, dass wir durchkommen.»
Und die Bezahlung? Knapp 5000 Franken brutto. Er ist ein älterer Arbeitnehmer, lebt eher in einem Randgebiet. «Die Entlöhnung ist miserabel dafür, was wir für Stunden klopfen», sagt er. «Das Fahren muss schon eine Leidenschaft sein, wenn man diesen Beruf wählt.» Das hat auch sein Sohn gemacht. Der habe bei einem grossen Schweizer Transportunternehmen angeheuert, um die Ausbildung als Chauffeur zu machen. «Als ich jung war konnte man die Ausbildung für 3000 Franken machen, heute kostet sie 16’000 Franken. Das kann nicht jeder bezahlen und dann heuert er bei einem der Grossen an und wird dazu verpflichtet während drei Jahren für 4000 Franken pro Monat zu fahren. Das ist doch ein Affront», sagt er.
Das sagen die Transportunternehmer: «Wer im Aargau nicht zufrieden ist, geht heute und hat morgen fünf andere Angebote»
Hans-Peter Dreier, CEO Dreier AG, rund 600 Mitarbeitende, Hauptsitz: Suhr

Hans-Peter Dreier, CEO der in Suhr ansässigen Transportfirma Dreier AG, mit seinem Vater Hans-Rudolf und seinem Sohn Pascal (v.r.n.l.).
Hans-Peter Dreier ist breit aufgestellt. Die Dreier AG, wo er Mehrheitsaktionär ist, transportiert Komplettladungen genauso wie sie im Systemverkehr (bspw. Paketpost) sowie im Textil-, Baustoff- und Lebensmittel-Transport aktiv ist. Er sagt: «Es ist eine Herausforderung heute gute Leute zu finden.» Das liege auch an der raschen Erholung der Wirtschaft. Zu Beginn der Krise habe man aufgehört, neue Mitarbeitende einzustellen, weil man nicht wusste, wohin es geht. Doch die Erholung kam rasch. Dreier sagt:
«Die Nachfrage ist richtig in die Höhe geschnellt und wir wurden volumenmässig fast überfahren.»
Die Knappheit an Fachpersonal sieht er jedoch nicht als Problem, sondern als Herausforderung. Seit Jahrzehnten bilde er mit seinem Unternehmen eigene Fahrer aus. Und man sei neue Wege gegangen. «Es gibt viele Jobs im Transportbereich, die auch Frauen problemlos machen können. Auch mit schweren Lastwagen», sagt Dreier. In seinem Unternehmen habe der Frauenanteil auf jeden Fall zugenommen. Heute beschäftige man zehn Fahrerinnen fest. Hinzu kämen 5 Aushelferinnen. Man habe auch Teilzeitpensen ermöglicht, beschäftige ältere Chauffeure, die nicht mehr einen ganzen Tag fahren wollen, fördere Quereinsteiger. Dreier:
«Bei uns hat ein Manager während einem Time-out den Lastwagenführerschein gemacht. Er kommt heute noch regelmässig und fährt für uns.»
Zu den tiefen Löhnen meint er: «Im Aargau kommt ein Anhängerzugfahrer, der sein Metier kennt, mit Lohn, Spesen und Zulagen alleweil auf Minimum 5500 Franken.» Hungerlöhne von unter 4000 Franken, das könne man sich im Transportkanton Aargau gar nicht leisten. «Wer hier als Chauffeur nicht zufrieden ist, geht am Abend und hat am nächsten Morgen drei andere Angebote auf dem Tisch», so Dreier zum harten Wettbewerb um die besten Arbeitskräfte im Aargau.
Stefanie Heimgartner, CEO Heimgartner Transport AG, 8 Mitarbeitende, Hauptsitz: Gebenstorf

Stefanie Heimgartner, SVP-Nationalrätin
Die Aargauer SVP-Nationalrätin ist zugleich auch Vizepräsidentin der Aargauer Sektion des Schweizerischen Nutzfahrzeugverbands (Astag). Sie gehört mit ihren acht Mitarbeitenden zwar nicht zu den Grossen im Transport-Geschäft, aber ihr Wort hat politisches Gewicht. Sie sagt: «Es hat eine gewisse Logik, dass die Gewerkschaften jetzt laut nach mehr Lohn rufen. Es ist Herbstzeit, die Zeit der Lohnverhandlungen.» Es ist ihr wichtig, zu betonen, dass das Transportbusiness nicht zu den Tiefstlohnbranchen zählt. Löhne von 4000 Franken und weniger sind für sie kaum vorstellbar. Und sie sagt:
«Eine Erhebung von Routiers Suisse selbst hat ja ergeben, dass der Durchschnittslohn bei 5700 Franken liegt.»
Das kann Routiers Suisse nicht so stehen lassen. Generalsekretär David Piras sagt: «Die Zahl stimmt. Aber man muss dabei bedenken, dass eher die gut bezahlten Chauffeure bei uns Mitglied sind und auch eher solche an der Umfrage teilgenommen haben.» Die niedrigsten gemeldeten Löhne lagen jedoch bei 3500 Franken, so Piras. Routiers Suisse fordere deshalb im nationalen Transport einen verbindlichen Mindestlohn, mit dem man in der Schweiz eine Familie ernähren könne. Klare Zahlen habe man noch nicht definiert. Zudem müsse der Beruf attraktiver gemacht werden. Piras: «Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, solche die einen Stundenlohn im Fokus haben, aber auch solche, welche die Vereinbarkeit des Berufs mit einem modernen Gesellschaftsleben ermöglichen.»

David Piras, Generalsekretär Routiers Suisse, fordert einen schweizweiten Mindestlohn für Chauffeure.
Man hätte ja schon Mindestlohnvereinbarungen entgegnet Heimgartner. Diese variieren jedoch von Sektion zu Sektion, sind also in Zürich anders als im Aargau oder in Genf. Je nach Kategorie und Berufserfahrung beträgt er im Aargau zwischen 3800 und 4800 Franken. Laut Routiers Suisse liegt der Durchschnittslohn im Kanton Aargau bei 5418 Franken (mit der von Piras angeführten Einschränkung, dass Routiers-Suisse-Mitglieder eher gut verdienen), wobei der tiefste gemeldete Lohn bei 3750, der höchste bei 7750 Franken lag.
Heimgartner sagt: «Ich kann mir schlicht nicht vorstellen, dass es bei uns Usus sein soll, dass ein Chauffeure 4000 Franken und weniger verdient.» Wie hoch der Durchschnittslohn ihrer Mitarbeitenden ist, will sie nicht sagen, meint aber:
«Ich habe langjährige Mitarbeiter, die teils 25 Jahre und länger dabei sind. Wir zahlen anständige, branchenübliche Löhne inklusive 13. Monatslohn. Klar werden auch bei uns Überstunden geleistet, die können aber eins zu eins bezogen werden.»
Die Knappheit an Fahrern will sie nicht in Abrede stellen. «Die Astag ist zwar bestrebt möglichst viele Schweizer Fahrerinnen und Fahrer anzustellen, den Nachwuchs zu fördern und auch sonst die Attraktivität des Berufs zu fördern, aber ohne ausländische Fahrer geht es nicht», sagt Heimgartner. Das sei aber auch im öffentlichen Verkehr und auf der Schiene nicht anders. Die Lücke mit Fahrern aus Afrika zu decken, wie Schöni vorschlug, könne nicht das Ziel sein. Heimgartner: «Das war eine pointierte Aussage von Herr Schöni, mit der er auf das Problem aufmerksam gemacht hat. Man darf diesen Vorschlag nicht zu wörtlich nehmen.»
Nils Planzer, CEO Planzer Transport AG, rund 5400 Mitarbeitende, Hauptsitz: Dietikon ZH

Nils Planzer, CEO des Logistikunternehmens Planzer in Dietikon. Am 05. Maerz 2013
Die gestiegene Nachfrage nach Transportdienstleistungen und damit nach Chauffeuren kriegt auch Nils Planzer zu spüren. 20 bis 30 Camionneure suchten sie derzeit, sagt er. Er ist Patron des grössten familiengeführten Transportunternehmens der Schweiz mit hierzulande rund 4900 Mitarbeitenden rrund 530 weitere Menschen arbeiten für Planzer in Deutschland, Liechtenstein, Italien und Frankreich in dort ansässigen Filialen). Derzeit würden zudem Überstunden geleistet. «Welche selbstverständlich kompensiert werden können», so Planzer.
Chauffeure aus der fernen Fremde (Afrika) zu holen, wie es Daniel Schöni vorschlug, findet Planzer «befremdend». Er halte nichts von dieser Idee. «Für die spannende und abwechslungsreiche Tätigkeit suchen wir tolle Menschen, welche es auch hier gibt», ist Planzer überzeugt. Zudem würden in seinem Betrieb rund 30 Personen pro Jahr erfolgreich die Ausbildung zum Strassentransportfachmann oder zur Strassentransportfachfrau abschliessen.
Dass dabei faire Löhne wichtig sind, ist für Planzer klar. Der Durchschnittslohn in seinem Unternehmen liege zwischen 5000 und 6000 Franken.
«Unsere Fahrerinnen und Fahrer haben zudem bis zu acht Wochen Ferien und erhalten einen 13. Monatslohn»
, sagt Planzer. Sie könnten sich darüber hinaus bei qualitativ guter Arbeit einen sogenannten Quali-Bonus von bis zu einem Monatslohn erarbeiten. Und Planzer Transporte habe ein grosszügiges Spesenreglement. Der Patron ist überzeugt, dass man mit gutem Lohn auch gute Leute findet. «Deshalb haben wir in den letzten Jahren praktisch jedes Jahr die Löhne erhöht», so Planzer.
«Es ist vor allem der Stundenlohn, der nicht stimmt», sagt David Piras. Und der Lohn sei zuletzt nicht so gestiegen, dass der Beruf Chauffeur im Wettbewerb auf dem freien Arbeitsmarkt für die infrage kommenden Personen attraktiv geblieben sei. Seine Position bei den Lohnverhandlungen ist klar. «David Piras macht einen guten Job. Unser Beruf gilt wie die Pflegeberufe als systemrelevant, es läuft wieder rund, seine Mitglieder wären enttäuscht, wenn er nicht in Erscheinung treten würde», sagt Hans-Peter Dreier.
