Mit 147 km/h durch Horentaltunnel gerast: «Das waren die dümmsten Sekunden meines Lebens»

Als die AZ am 16. Oktober erstmals über den Raser schrieb, der mit mehr als 140 km/h durch den Horentaltunnel gebrettert war und vor Bundesgericht vergeblich um seinen Führerausweis kämpfte, waren die Leserkommentatoren mit Vermutungen rasch zur Stelle: «Mir ist kein ‹richtiger Schweizer› bekannt, der einen BMW M3 fährt, das sind fast ausschliesslich Leute aus dem ehemaligen Jugoslawien», schrieb einer. Und ein anderer sah diese These dadurch bestätigt, dass der Anwalt des Beschuldigten, dessen Name im ansonsten anonymisierten Bundesgerichtsurteil ersichtlich war, nicht Müller oder Meier lautete, sondern Melunovic.

Doch das Klischee vom Balkan-Raser bewahrheitet sich nicht. Das zeigte sich an der Verhandlung diese Woche vor dem Bezirksgericht Aarau, wo die strafrechtliche Seite des Falles verhandelt wurde. Der Beschuldigte entpuppte sich als freundlicher Mittzwanziger aus der Region mit einem typisch deutsch-schweizerischen Namen und einem sauberen Vorstrafenregister. Er ist offenbar so zuverlässig, dass er nach seiner Handwerker-Lehre gleich im Lehrbetrieb bleiben durfte.

Fünf Angehörige standen ihm im Gerichtssaal bei – und sein Verteidiger Kenad Melunovic, einer der angesehensten Strafrechtsanwälte im Aargau, oft mit Raserfällen betraut. Mit seinem Mandanten hatte Melunovic ausgemacht, dass dieser möglichst keine Aussage machen soll. «Das waren die dümmsten und teuersten Sekunden meines Lebens», sagte der Beschuldigte nur. Er zeigte sich einsichtig. Den Fahrausweis ist er auf unbestimmte Zeit los, demnächst steht eine psychologische Begutachtung im Hinblick auf seine künftige Fahrtauglichkeit an.

Ein zweiter Sportwagen fuhr ihm hinterher

Weil der Beschuldigte die Aussage verweigerte, erfährt die Öffentlichkeit von der Tat nur, was Assistenzstaatsanwalt Alex Dutler vor Gericht vortrug. Der Beschuldigte war demnach einer zivilen Polizeipatrouille aufgefallen, wie er an einem Abend im Mai 2018, kurz vor 21 Uhr, den Kreisel südlich des Horentaltunnels (Staffeleggstrasse) mit seinem 420-PS-starken BMW M3 Coupé ziemlich rassig befuhr und dann im Tunnel verschwand, dicht gefolgt von einem Alfa Romeo. Die Polizeipatrouille folgte den beiden Sportwagen, kam aber schon im Tunnel kaum hinterher, weil der BMW stark beschleunigte und ein mit normaler Geschwindigkeit fahrendes Auto überholte – wenigstens auf der Überholspur.

Als die Polizei die beiden Fahrer endlich stellen konnte, gab der Beschuldigte zu, zu schnell gefahren zu sein. Wie schnell, musste allerdings mühsam rekonstruiert werden. Mit Hilfe der Verkehrssicherheitskameras im Horentaltunnel berechnete ein Gutachter aufwendig, dass der Beschuldigte auf den ersten 281 Metern des Tunnels auf 147,6 km/h beschleunigt hatte. Das sind 67,6 km/h zu viel. Wer ausserorts mindestens 60 km/h zu schnell fährt, gilt automatisch als Raser. Der Strafrahmen beträgt ein bis vier Jahre Freiheitsstrafe. Im vorliegenden Fall beantragte die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von 14 Monaten bedingt sowie eine Busse von 3500 Franken.

Dürfen die Kameraaufnahmen verwendet werden?

Anwalt Melunovic forderte einen Freispruch – aus prozessrechtlichen Gründen. Er argumentierte, die Aufnahmen der Tunnel-Kamera, welche eigentlich nur der Verkehrsicherheit dienen soll, dürften nicht als Beweis herangezogen werden. Es handle sich um die «Frucht des verbotenen Baumes», die man nicht verwenden dürfe. Melunovic argumentierte mit zwei aktuellen Bundesgerichtsentscheiden, wonach beispielsweise Aufnahmen privater Dashcams nicht als Beweismittel dienen dürfen.

Die Strafprozessordnung sieht zwar vor, dass auch rechtswidrig erlangte Beweise zugelassen werden, falls eine schwere Straftat vorliegt. Das sei hier aber nicht der Fall, betonte Melunovic. Vor wenigen Jahren hätte es für den selben Vorfall nur einen Strafbefehl gegeben, mittlerweile seien die Raserdelikte «vom Volk zu einer pseudo-schweren Straftat heraufstilisiert worden». Der Staatsanwalt selber habe gesagt, das Verschulden des Fahrers wiege gerade noch leicht.  Die Strassenverhältnisse waren zum Tatzeitpunkt gut und es herrschte kaum Gegenverkehr.

Das Gesamtgericht unter Gerichtspräsident Andreas Schöb sah es anders: Es verurteilte den Beschuldigten zu 14 Monaten Haft bedingt und einer Busse von 2500 Franken. Schöb sagte, erstens handle es sich um legale Aufnahmen einer Kamera, die entsprechend gekennzeichnet sei. Zweitens sei das Gericht der Meinung, dass die Aufnahmen selbst dann verwendet werden dürften, wenn sie nicht rechtmässig erstellt worden wären. Es handle sich beim Delikt des Beschuldigten um ein Verbrechen, eine «Verletzung elementarster Verkehrsregeln». «Wir sind hier nicht mehr im Bereich leichter Delikte – wir sind weit, weit darüber», schloss der Richter.

 
Die Verfahrens- und Parteikosten muss der junge Mann selber tragen, ebenso das administrative Verfahren beim Strassenverkehrsamt. Alles in allem liegt der Betrag, den er zahlen muss, deutlich im fünfstelligen Bereich.