Mit 180 km/h und geklautem Töff vor Polizei geflüchtet: Aargauer Bachelorette-Kandidat muss ins Gefängnis

Am Ende der Verhandlung vor dem Aargauer Obergericht schluchzte der Angeklagte, putzte sich mit einem Taschentuch die Nase und sagte mit kaum hörbarer Stimme: «Ich ziehe die Berufung zurück.» Damit steht fest: Der heute 31-jährige Stefan S. (Name geändert) muss für 18 Monate ins Gefängnis. Oberrichter Jann Six, der die Verhandlung leitete, sagte zum Angeklagten: «Sie hatten die Wahl zwischen zwei schlechten Entscheidungen, aber Sie haben aus Ihrer Sicht die bessere getroffen.»

Stefan S., der vor vier Jahren Kandidat bei der Fernsehshow «Bachelorette» war und im letzten Jahr Bodybuilding-Weltmeister in seiner Kategorie wurde, sass wegen schwerer Verkehrsdelikte und weiterer Straftaten vor den Oberrichtern. 2009 wurde er erwischt, als er ohne Führerausweis mit dem Auto unterwegs war, später kamen bandenmässiger Diebstahl und Hehlerei dazu. 2013 stellte Stefan ein Video auf Youtube, das ihn und einen Kollegen zeigt, die sich in der Region Rheinfelden mit ihren Motorrädern immer wieder überholen. Die beiden fuhren dabei innerorts in einer 60er-Zone mit mehr als 140 km/h.

2015 schliesslich flüchtete Stefan mit seinem Töff vor einer Polizeikontrolle. Dabei überholte er andere Autos links und rechts und raste teilweise mit 180 km/h über Autobahnen und Landstrassen.

Gemeinnützige Arbeit, bedingte Strafe, U-Haft …

Die zahlreichen Straftaten hatten Folgen für den muskulösen bärtigen Mann, der mit seiner Freundin zur Verhandlung erschien. Zuerst wurde er zu gemeinnütziger Arbeit in der Küche eines Altersheims verurteilt, es folgte eine bedingte Gefängnisstrafe von 18 Monaten, nach der Raserflucht auf dem Motorrad sass er 23 Tage in Untersuchungshaft.

Anfang Juli 2018 verurteilte ihn das Bezirksgericht Rheinfelden dann zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe. Zwei Jahre davon wurden unbedingt ausgesprochen, ein Jahr bedingt. Obwohl Stefan in der Probezeit der früheren bedingten Haftstrafe erneut delinquiert hatte, verzichtete das Bezirksgericht darauf, den Vollzug der 18 Monate Haft anzuordnen.

 

Dennoch focht der junge Mann, der inzwischen mit seiner eigenen Firma Nahrungs-ergänzungsmittel verkauft und als Fitnesscoach tätig ist, das Urteil des Bezirksgerichts an. Mehrfach beteuerte Stefan, dass ihm seine Verfehlungen leidtäten, er sich für die Raserfahrten schäme, ihm sein Verhalten peinlich sei. Oberrichter Six entgegnete, ganz offenbar hätten die früheren, milden Strafen bei ihm nichts bewirkt. Stefan räumte kleinlaut ein, er habe lange gebraucht, um sich zu ändern. Er betonte aber, in den letzten vier Jahren habe er sich nichts mehr zuschulden kommen lassen. «Ich bin heute eine ganz andere Person, habe zwei Firmen aufgebaut, arbeite zielgerichtet und diszipliniert.»

Oberrichter empfiehlt Rückzug der Berufung

Die Raserdelikte bestritt Stefan bei der Befragung nicht: «Ich bin schuldig und heute sehr froh, dass es damals keinen Unfall gab und niemand verletzt wurde.» Inzwischen habe er sich bei einem Verkehrspsychologen begutachten lassen, die Fahrprüfung wiederholt und den Ausweis wieder erhalten. «Töff fahre ich nicht mehr, davon habe ich mich verabschiedet», ergänzte Stefan. Heute wisse er auch, dass der Raserfilm auf Youtube keine coole Idee gewesen sei, sondern eine Dummheit.

Oberrichter Six sagte, diese Aussagen klängen alle vernünftig. Die Justiz habe Stefan aber viele Chancen gegeben, die er nicht genutzt habe. Dieser bat dennoch um Milde. «Mein Ziel ist es, dass ich nicht inhaftiert werde.» Trotz der Vorstrafen beantragte der Angeklagte nur zwei Jahre Gefängnis bedingt, die Staatsanwaltschaft forderte vier Jahre unbedingt.

Six empfahl Stefan, seine Berufung zurückzuziehen. Der Oberrichter liess durchblicken, dass eine erneute bedingte Strafe unrealistisch sei. Vielmehr könnte Stefan eine viel längere Zeit hinter Gittern drohen. Wenn das Gericht dem Staatsanwalt folge und den Vollzug der früheren bedingten Haftstrafe anordne, könnten es über fünf Jahre werden. Nach einer Pause stimmte Stefan dem Rückzug der Berufung zu.

Damit muss er anderthalb Jahre ins Gefängnis – das Urteil des Bezirksgerichts wird korrigiert. Die Aufteilung der dreijährigen Strafe in zwei Jahre unbedingt und ein Jahr bedingt ist unzulässig. Der unbedingte Teil darf nicht mehr als die Hälfte der ganzen Strafe betragen. Richter Six sagte am Ende: «Es hätte viel schlimmer kommen können. Nutzen Sie die Zeit, Sie haben Qualitäten und denken positiv.»