
Mit Nachbarschaftshilfe in die vierte Säule investieren
Das Bett neu beziehen, die Pflanzen giessen, mit dem Hund spazieren gehen oder jemanden beim Einkauf begleiten, aber auch miteinander Zeit verbringen oder einen Jass klopfen: kleine Arbeiten, dank denen ältere Personen länger im gewohnten Daheim bleiben können und nicht vereinsamen. Aber auch Junge sollen profitieren können: Zum Beispiel, wenn jemand die Blumen giesst oder den Briefkasten leert während der Ferien. Genau dies ermöglicht KISS: Nachbarschaftshilfe für Jung und Alt. Tandems, bestehend aus Gebenden und Nehmenden, erbringen die gewünschten Dienstleistungen ganz nach dem Motto KISS – Keep it small and sim-ple (Halte es klein und einfach). Der Gebende kann sich danach die geleisteten Stunden gutschreiben lassen, dem Nehmenden werden sie abgebucht. «Kiss ist die vierte geldfreie Vorsorgesäule», sagt Judith Schreyger, die Oftringer Präsidentin des im Oktober 2018 gegründeten Vereins. Neben AHV, Pensionskasse und freiwilligen finanziellen Ansparungen in der dritten Säule sieht sie die Nachbarschaftshilfe KISS als die vierte Vorsorge-Säule. Im Herbst dieses Jahres soll die Genossenschaft KISS Wiggertal (Aargau) aus dem Verein hervorgehen. Ab dann können sich Gebende und Nehmende im Raum Oftringen finden und sich gegenseitig unterstützen.
Infoveranstaltung am Donnerstag
KISS ist schweizweit organisiert. Die Vision ist, dass die ganze Schweiz mit einem flächendeckenden Netzwerk überspannt wird. Bereits gegründet ist der schweizerische Dachverein, ihm gehören elf aktive KISS-Genossenschaften in der ganzen Schweiz an. Im Aargau gibt es einen Förderverein, der bei der Gründung der Genossenschaften mit Rat und Tat weiterhilft. Wer sich an einer KISS-Genossenschaft beteiligen möchte, bringt einmalig 100 Franken als Genossenschaftskapital ein – dafür kann er anschliessend im Rahmen von KISS Dienstleistungen beziehen und erbringen. «Jung oder Alt – wir wollen generationenübergreifend die Menschen ansprechen», sagt Judith Schreyger.
Die Chancen stehen gut, dass bis Ende Jahr auch in Oftringen eine Genossenschaft gegründet worden ist. Die Vorarbeiten dazu erledigen Judith Schreyger und ihr Team. Sie ist über ein Buch von Susanna Fassbind auf die Idee von KISS gestossen und war sogleich fasziniert. «Eine Sozialraumanalyse in der reformierten Kirchgemeinde Oftringen hat vor einigen Jahren gezeigt, dass in Oftringen und Umgebung eine generationenübergreifende Nachbarschaftshilfe sowie Freiwilligenarbeit Thema sind», erzählt sie. Judith Schreyger unterhielt sich in ihrem Bekanntenkreis über ihre Idee und stiess auf Begeisterung. So hat sich mit Judith Schreyger, Margrit Boschung, Peter Frech, Vreni Zimmerli, Irene Kyburz und Rosmarie Hasler ein Team formatiert, das KISS in Oftringen einführen wird. Am Donnerstag wird diese Startergruppe der Bevölkerung und den Institutionen in der Region Oftringen KISS vorstellen. Mit dabei sein werden auch Martin Villiger, Präsident des Aargauer Fördervereins, sowie Ruedi Aschmann, Geschäftsleiter der bestehenden KISS-Genossenschaft Reusstal-Mutschellen. Sie erzählen von Erfahrungen aus der Praxis.
Bald Gründung Genossenschaft
Bis zur Gründung der Genossenschaft im Herbst ist noch einiges zu tun. Es sind unter anderem rechtliche Fragen zu klären, Räumlichkeiten für die Genossenschaft müssen gefunden und Sponsoren vom Sinn und Zweck von KISS überzeugt werden. Ausserdem muss geklärt werden, ob KISS Wiggertal (Aargau) nur in Oftringen tätig sein wird oder auch Aarburg, Rothrist, Safenwil und Murgenthal in einer ersten Phase abdecken soll. Langfristig hofft Judith Schreyger nicht nur auf Sponsorenbeiträge von Oftringer Unternehmen und Institutionen, sondern auch auf Beiträge von der Gemeinde. Denn dadurch, dass ältere Menschen länger zu Hause bleiben oder kranke Menschen in ihrem Umfeld gesund werden, können Kosten für Heimaufenthalte eingespart werden. Wobei, darauf legt Judith Schreyger wert, KISS nicht die Spitex ersetzen soll: Es werden keine Pflegedienstleistungen angeboten. Aber kleine Aufgaben im Haushalt wie Kochen, Glühbirne wechseln oder ein Bett neu beziehen, das soll von den KISS-Tandems künftig unbürokratisch erledigt werden.
Informationsveranstaltung KISS Wiggertal (Aargau) am 14. März in der Aula des Primarschulhauses Oberfeld von 19 bis 20 Uhr.
Nachbarschaftshilfe in der Region
Strengelbach
2012 hat Tobias Flotron, der damalige Sozialdiakon des Kirchkreises Strengelbach der reformierten Kirche Zofingen, eine Nachbarschaftshilfe realisiert. Sie hatte einige Interessenten, es waren aber zu wenige, um wirklich erfolgreich zu werden. 2015 wurde die Arbeit aufgegeben – unter anderem, weil Projektleiter Tobias Flotron wegzog.
Zofingen
Der Verein KISS Region Zofingen wurde im Dezember 2018 gegründet. Seither trifft sich der fünfköpfige Vorstand unter der Leitung von Präsidentin Liliane Hofer zu regelmässigen Sitzungen. Im September 2019 soll die Genossenschaft gegründet werden. 2020 werden die ersten Tandems mit der Nachbarschaftshilfe beginnen.