
Mitten in der Pandemie: Kantonsspital Aarau trennt sich vom Chefarzt der chirurgischen Intensivstation
Wieder muss ein Chefarzt des Kantonsspitals Aarau (KSA) den Hut nehmen. Die Spitalleitung hat Rolf Ensner, der seit 2007 die chirurgische Intensivstation geleitet hat, gekündigt. Die Mitarbeitenden haben laut AZ-Informationen am letzten Freitag davon erfahren.
Der Zeitpunkt der Kündigung erstaunt. Wegen der Coronapandemie waren die Spitäler – allen voran die Intensivstationen – stark gefordert. Auf der operativen Intensivstation seien bisher 120 Covid-Patientinnen und -Patienten behandelt worden; auf der medizinischen 34, sagt Otto Hilfiker. Er war von 1984 bis 2007 Bereichsleiter perioperative Medizin und Chefarzt Anästhesie am KSA.
Hilfiker kennt Ensner gut und erinnert sich, dass er – quasi als letzte Amtshandlung – 2007 zusammen mit ihm neue Beatmungsgeräte für die chirurgische Intensivstation angeschafft hat. Diese Geräte hätten sich während der Pandemie sehr bewährt, sagt Hilfiker.
Und ausgerechnet jetzt hat sich die Spitalleitung vom Chefarzt der operativen Intensivmedizin getrennt.
Eine intensivmedizinische Klinik statt zwei
Die Medienstelle des Spitals bestätigt die Kündigung. Als Gründe nennt KSA-Sprecherin Isabelle Wenzinger die gleichen, die am Freitag auch in der Meldung im Intranet des Spitals aufgeführt wurden. Es gab «unüberbrückbare Differenzen über die Führung und Entwicklung der neuen intensivmedizinischen Klinik».
Die Spitalleitung plant, bis spätestens zum Bezug des Neubaus die chirurgische und die medizinische Intensivstation zusammenzuführen und unter eine gemeinsame Leitung zu stellen. Die Geschäftsleitung habe dies bereits im Herbst 2018 entschieden, sagt Wenzinger. Damit werde eine «branchenübliche strukturelle Bereinigung» vollzogen.
Wegen Corona werden die Kliniken früher zusammengeführt
Bis der Neubau steht und bezugsbereit ist, dauert es allerdings noch mehrere Jahre. Dass die intensivmedizinischen Kliniken bereits per Sommer 2021 zusammengeführt werden, erklärt Wenzinger mit der Coronapandemie.
Durch die Herausforderungen der vergangenen Monate sei ein enges Zusammenarbeiten der beiden Kliniken bereits unabdingbar gewesen. «Deshalb haben wir uns entschieden, die Umsetzung vorzuziehen», sagt Wenzinger.
Die Zusammenlegung führe zu einer Effizienzsteigerung und mindere die Leistungsfähigkeiten der Klinik keinesfalls. Wenzinger versichert:
«Die Versorgung der Patientinnen und Patienten auf beiden Intensivstationen bleibt zu jeder Zeit in höchster Qualität gewährleistet.»
Der ehemalige Bereichsleiter der perioperativen Medizin am KSA, Otto Hilfiker, sagt, Ensner habe die Spitalleitung davor gewarnt, die Zusammenlegung der beiden Kliniken schon im Sommer 2021 noch mitten in der Pandemie zu vollziehen. Hilfiker vermutet, dass Ensner damit bei der Geschäftsleitung in Ungnade gefallen ist.
Ehemaliger Chefarzt findet den Entscheid «skandalös»
Er versteht den Entscheid der Spitalleitung nicht. Die operative Intensivstation des KSA sei besser aufgestellt als die medizinische. Sie sei eine A-Klinik, besitze also die Anerkennung für die Ausbildung der Ärztinnen und Ärzte in Intensivmedizin.
Die medizinische Intensivstation hingegen habe diese Anerkennung nie beantragt. Laut Hilfiker ein Grund, weshalb es für den Leiter der Klinik schwer war, Oberärztinnen und Oberärzte zu finden. Für ihn ist klar:
«Die KSA-Geschäftsleitung opfert mit ihrem Entscheid den Leiter der erfolgreichen Intensivstation zu Gunsten der nicht erfolgreichen.»
Diesen Entscheid könne man ruhig als «skandalös» bezeichnen, findet Hilfiker. Er ist überzeugt, dass sich die Abwanderung qualifizierter Ärztinnen und Ärzte am KSA weiter fortsetzen wird. «Es wird immer schwieriger, Chefarztstellen mit gut qualifizierten Bewerberinnen und Bewerbern zu besetzen», warnt er.
Wer die zusammengeführte Klinik leitet, ist noch offen
Wer die neue intensivmedizinische Klinik des grössten Spitals im Aargau dereinst leiten wird, will das Spital «innert Monatsfrist» bekanntgeben.
Bereits klar ist, dass es nicht Marc Michot, der bisherige Chefarzt der medizinischen Intensivstation, sein wird. Michot bleibt zwar – anders als Ensner – am KSA, wird künftig aber unter der neuen Klinikleitung tätig sein.